Musical in München:Fesselndes Doppelspiel

Musical in München: "Schafft die Männer ran", singt die Prostituierte Lucy. In dieser Rolle kehrt die Münchnerin Miriam Neumaier ans Deutsche Theater zurück, wo sie zuletzt "die Uschi" in "Der Schuh des Manitu" spielte.

"Schafft die Männer ran", singt die Prostituierte Lucy. In dieser Rolle kehrt die Münchnerin Miriam Neumaier ans Deutsche Theater zurück, wo sie zuletzt "die Uschi" in "Der Schuh des Manitu" spielte.

(Foto: Rolf Ruppenthal/Deutsches Theater)

Die erotische Horror-Story "Jekyll & Hyde" ist die erste Premiere am Deutschen Theater München nach der Absetzung der Intendanten. Regisseur Andreas Gergen bringt drei Darsteller von "Der Schuh des Manitu" zurück.

Von Michael Zirnstein

Niemals sollte man zu viel heraushören aus einem Musical über die echte Welt. Auch wenn es sich gerade jetzt so sehr anböte, da das reale Drama um das Deutsche Theater und die Horrorgeschichte von "Jekyll & Hyde" an der Schwanthalerstraße verschmelzen. Als hätte der Komponist Frank Wildhorn die Titel seiner Lieder nicht 1990 für das Doppelleben-Bühnenstück am Alley Theatre Houston geschrieben, sondern 2022 für das Doppelspitzen-Endspiel in Münchens Show-Palast: Was sich hier genau um die Entlassung der beiden Geschäftsführer Carmen Bayer und Werner Steer durch den Aufsichtsrat abspielt, liegt für die Öffentlichkeit ja "Fern und im Dunkeln" ("Lost In The Darkness") hinter den "Fassaden" ("Facade"); Gerichte werden nun wohl in dieser "Konfrontation" bei der "Suche nach der Wahrheit" über nicht ausbezahlte Gehaltszulagen entscheiden.

Während vor allem Werner Steer sich im "Taumel der Verzweiflung" an die Öffentlichkeit wandte, nach 14 Jahren Geschäftsführung sein "Lebenswerk" gefährdet sah und sich anbot "Nimm mich, wie ich bin", empfahl ihm die Kulturbürgermeisterin Katrin Habenschaden: "Lass es los". Jedenfalls sehen Freunde des Theaters in dem Leitungswechsel ein "Gefährliches Spiel" und haben "Angst", denn "Die Verwandlung" könnte tiefgreifend sein und das bunte, qualitätsvolle Programm zur privatisierten Monokultur mutieren. Derweil wurde von Seiten der Stadt jedenfalls der Ruf laut "Schafft die Männer ran!", und man holte Thomas Linsmayer von der Pasinger Fabrik, um als Interimsintendant erst einmal Ruhe reinzubringen. Am Montag setzte der Münchner Kulturmanager und Jurist seine Unterschrift unter den Vertrag, und jetzt zählt also bis 31. August 2022 "Nur sein Blick" im Deutschen Theater. Fortsetzung folgt.

Musical in München: Thomas Linsmayer - hier in der Mitte bei der Vertragsunterzeichnung mit der Zweiten Bürgermeisterin Katrin Habenschaden und Kulturreferent Anton Biebl - ist bis 31. August Übergangs-Leiter des Deutschen Theaters München.

Thomas Linsmayer - hier in der Mitte bei der Vertragsunterzeichnung mit der Zweiten Bürgermeisterin Katrin Habenschaden und Kulturreferent Anton Biebl - ist bis 31. August Übergangs-Leiter des Deutschen Theaters München.

(Foto: LHM)

Aber the show must go on, und damit wirklich zurück auf die Bühne ... Wenigstens im nächsten Musical ist alles klar, schon seit der Vorlage "Der seltsame Fall des Dr. Jekyll and Mr. Hyde" von Robert Louis Stevenson und nach gut 30 Verfilmungen gilt als bekannt: Jekyll und Hyde sind zwar ein- und derselbe Mensch, aber der hat eben zwei gegensätzliche Charaktere, der eine gut, der andere böse. Moment, wirft da der Regisseur Andreas Gergen ein, so einfach sei das nun auch nicht: Vielmehr befinde man sich hier in der psychologischen Welt von Freud, in einem Dreieck, in dem das Ich, also die Person, zwischen dem Über-Ich, also den Regeln der Gesellschaft, und dem Es, dem inneren Trieb, stehe.

Tatsächlich schrieb schon Vladimir Nabokov über ein Missverständnis mit dem Buch seines Kollegen. Nämlich dass Doktor Henry Jekyll, der durch seinen Selbstversuch ein Heilmittel für seinen schizophrenen Vater im Koma entwickeln wollte, schon in seiner viktorianischer Zeit durchaus auch als unmoralisch angesehen wurde. Auf der anderen Seite erregt das mordende, lüsterne Monster Edward Hyde, dass er in sich durch die Droge entfesselt, durchaus Mitleid oder zumindest Identifikationspotenzial. Jeder von uns habe eine solche animalischen Seite, sagt Gergen, "und es wäre ja blöd, die nicht auszuleben". Gilt das auch für ihn, der nicht nur einst als Gerd Dudenhöffers Fernseh-Sohn Stefan in der Serie "Familie Heinz Becker" überaus sympathisch rüberkam, sondern auch als Regisseur von bisher 80 Musicals, Operetten und Opern in seinen Teams als überaus beliebt gilt: "Ach, Sie würden sich wundern, wenn Sie mich mal in Berlin im Berghain oder einem anderen Club tanzen sehen."

Musical in München: Andreas Gergen hat als Regisseur 80 Musicals, Opern und Operetten inszeniert. Als Stefan in der TV-Serie "Familie Heinz Becker", aber auch in Musicals wie "Der Glöckner von Notre Dame" hat der Berliner selbst gespielt.

Andreas Gergen hat als Regisseur 80 Musicals, Opern und Operetten inszeniert. Als Stefan in der TV-Serie "Familie Heinz Becker", aber auch in Musicals wie "Der Glöckner von Notre Dame" hat der Berliner selbst gespielt.

(Foto: Andrea Peller)

Die Schauspieler jedenfalls folgen dem 48-Jährigen gern. Aus seiner Inszenierung von der "Schuh des Manitu" bringt er gleich drei ans Deutsche Theater zurück: Miriam Neumaier, "die Uschi", darf sich auch als Lucy auf dem Straßenstrich lasziv in Zeug werfen. "Da geht es richtig zur Sache", sagt Gergen, wenngleich Neumaier die Lucy eher "eher sensibel, zerbrechlich" spiele. Er kennt die Münchnerin schon, seit er sie in der Abschlussklasse der Everding-Akademie betreute. Während Fabio Diso im "Manitu" noch als Halb-Grieche den Publikums-Hit "Ich trinke Ouzo, und was machst du so?" zwitscherte, zerreißt er sich nun zwischen Jekyll and Hyde - eine Doppelrolle, die übrigens David Hasselhoff in der letzten Broadway-Besetzung von 2000 eindrucksvoll verkörperte, der "Bay Watch"-Star habe sich so sehr verausgabt, dass er zwischen den Nummern aus Sauerstoffflaschen am Bühnenrand nachtanken musste, weiß Gergen von Frank Wilhorn (was er nicht wusste: dass David Hasselhoff auch schon im Deutschen Theater gesungen hat). Und "Winnetouch" Marc Seitz ist auch dabei, allerdings nicht als Darsteller, sondern als musikalischer Leiter. Gergen hat seinen alten Kumpel von der Hochschule der Künste in Berlin damit beauftragt, die 30 groß orchestrierten Nummern für ein Sieben-Personen-Ensemble neu zu arrangieren.

Musical in München: "Ich trinke Ouzo, und was machst du so" sang Fabio Diso in "Der Schuh des Manitu". Nun zerreißt er sich in der Hauptrolle zwischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde.

"Ich trinke Ouzo, und was machst du so" sang Fabio Diso in "Der Schuh des Manitu". Nun zerreißt er sich in der Hauptrolle zwischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde.

(Foto: Rolf Ruppenthal/Deutsches Theater)

Die Abnahme durch den Komponisten sei gar kein Problem gewesen, sagt Andreas Gergen. Er und der New Yorker Frank Wildhorn kennen sich gut, seit sie zusammen "Der Graf von Monte" für die Weltpremiere in St. Gallen stemmten und auch als Workshop-Fassung an den Broadway brachten, sie machten "Dracula" in Graz und arbeiten gerade an einem Musical über Peter den Großen in St. Petersburg. Wildhorn fand durchaus gewagt, in was Gergen da das oft operettenhaft-süffige "Jekyll & Hyde" für die Freiluftbühne in Merzig 2019 verwandelt hatte: in eine ziemlich erotische, fast bis nur auf die Songs entkleidete, von 180 auf 105 Minuten gestraffte Pandemieversion mit nackter Ausstattung mit LED-Wand, Balkongerüst und ein paar Metallstühlen, auf denen alle Darsteller auf ihren Einsatz warten. "Bei Brecht würde man das V-Effekt nennen, dass wir als Spiel im Spiel die Geschichte vorführen, aber nicht die Realität behaupten."

Die Bühnenarbeit ist Gergen jedenfalls näher als die Intendanz eines Theaters. Eine solche wurde ihm immer wieder angedient, seit er von 2004 bis 2006 das Berliner Schlossparktheater leitete und mit Krachern wie "Pinkelstadt (Urinetown)" füllte. "Aber ich möchte inszenieren, meine Fantasien umsetzen", sagt er, "mit Politik und dem ganzen Kram möchte ich mich nicht mehr auseinandersetzen."

Jekyll & Hyde, Mittwoch 2. Februar bis Sonntag, 13. Februar, Deutsches Theater

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