Nach der Abberufung der Intendanten:Mit einem Wisch ist alles weg

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Da blickten sie noch strahlend in die Zukunft: Carmen Bayer (rechts) und Werner Steer bei der Wiedereröffnung des Deutschen Theaters 2014. (Foto: Robert Haas)

Carmen Bayer und Werner Steer haben als Intendanten das Deutsche Theater wieder zum Strahlen gebracht. Nach deren Kündigung durch den Aufsichtsrat sieht man in der Branche den Spielplan, langjährige Partnerschaften und die Linie des Hauses in Gefahr.

Von Michael Zirnstein, München

Im Musical ist meist klar, wer gut und wer böse ist. Gut, bei "Jekyll & Hyde" ist das wegen der Zerrissenheit der Forscher-Monster-Hauptfigur etwas komplizierter. Ziemlich sicher aber ist, wenn das Stück am Mittwoch, 2. Februar, anläuft im Deutschen Theater, dann werden die Theaterleiter nicht mehr die Gäste im Foyer begrüßen wie seit 14 Jahren: Carmen Bayer mit elegantem Lächeln, Werner Steer mit kumpelhaftem Schulterklopfer. Der Aufsichtsrat hat die beiden Intendanten zum 1. Februar freigestellt. Es geht um 130 000 Euro, die den Mitarbeitern für MVV-Tickets und die Mehrkosten im teuren München hätten ausbezahlt werden sollen wie bei allen städtischen Tochterunternehmen. Dies ist aber nicht geschehen. Weil rechtlich gar nicht klar gewesen sei, ob das während der Kurzarbeit in der Pandemie hätte passieren dürfen, erklärt die Theaterleitung. Der Aufsichtsrat aber sieht die Vertrauensbasis zerstört. Wer nun wann von was etwas wusste und tat oder nicht, das dürfte diverse Gremien und die Justiz länger beschäftigen.

Und auch, ob so eine harte Maßnahme gerechtfertigt war angesichts dieser doch lösbar erscheinenden Problematik - und vor allem angesichts der langjährigen Arbeit von Carmen Bayer und Werner Steer. Sie haben den "Palast des Lächelns" an der Schwanthalerstraße zum wichtigsten Show- und Musical-Haus in München, wohl gar in Süddeutschland aufgebaut: mit (vor der Pandemie) jährlich zwischen 300 000 und 350 000 Gästen in 400 Vorstellungen. Mehr kann kein Theater in München vorweisen. Dass der Aufsichtsrat im November 2019 die Verträge von Bayer und Steer bis 2025 verlängert habe, spreche "für eine bis dahin erfolgreiche Leitung der Bühne der Stadt", schreibt anerkennend auch das Kulturreferat. Dessen Leiter Anton Biebl trägt als Mitglied des Aufsichtsrates die Kündigung mit.

Überraschte Kooperationspartner

In der deutschen Entertainment-Branche ist man geschockt. "Ich bin aus allen Wolken gefallen", sagt zum Beispiel Daniel Nicolai, Leiter des English Theatre Frankfurt, das heuer noch mit "Young Frankenstein" ans Deutsche Theater kommt. "In der Pandemie versuchen alle Häuser wie verrückt, alles am Laufen zu halten", und München würde "mit so einer starken Reaktion" in der eh angespannten Corona-Lage alles aufs Spiel setzen: "Normalerweise wird das erst mal geklärt vom Aufsichtsrat, mit den Geschäftsführern und Mitarbeitern. Und hier legt man mit der Vehemenz von Twitter und ,Me Too' los!" Auch Philip Maldeghem vom Landestheater Salzburg wundert sich: "Das Deutsche Theater füllt seine Nische in der Münchner Kulturlandschaft gut und klug aus, es ist sehr gefährlich, das in einem Streit zu gefährden."

Das Deutsche Theater ist nicht einfach ein Gastspielhaus für Tournee-Veranstalter von Shows, Revuen und Musicals. Carmen Bayer und Werner Steer waren mehr als bloß Vermieter einer Bühne mit dem Motto: "Komme, wer zahle." Die Zahlen stimmten, die Stadt musste in normalen Jahren nur etwa drei Euro pro Ticket zuschießen. "Das Deutsche Theater muss man sich nicht leisten, das hat man", sagt Steer. Er und Carmen Bayer reisten und redeten als Intendanten viel, um in ihrem Unterhaltungs-Genre ein Programm zwischen Publikumsrennern, Klassikern, innovativen Formaten, charmanten Salonabenden, Tanzbällen, Kindertheater und sogar Nachwuchsarbeit (mit der Theaterakademie August Everding) fein austarieren zu können. Sie überzeugten den Musical-Riesen Stage Entertainment, seine Klassiker wie "Elisabeth" nicht nur im Theater des Westens in Berlin zu zeigen, sondern auch in ihrem identisch großen Haus in München einen Standort aufzubauen. Auch die Kontrahenten BB Promotion buchen das Deutsche Theater mehrmals im Jahr gleich für mehrere Wochen (2022 etwa für "Berlin Berlin" oder "Cats"): "Es ist das Gastspielhaus überhaupt für uns in München", sagt Geschäftsführer Ralf Kokemüller.

So sehen das auch kleinere Partner, wie Daniel Nicolai. Ohne Bayer und Steer würde er mit seinem englischsprachigen Stücken in München nicht stattfinden, weiß er: "Welches Tournee-Theater dort würde denn einen komplizierten Sondheim wie ,Sweeney Todd' riskieren?" Als die Münchner Intendanten vor Jahren immer wieder bei ihren Premieren in Frankfurt vorbeischauten, hätte man sich gewundert: "Was wollen die aus dem Riesenhaus hier in unserem kleinen Theater?" Carmen Bayer habe aber unbedingt ein Publikum für englischsprachiges, ambitioniertes, durchaus spleeniges Theater bei sich erziehen wollen, sie habe Vertrauen aufgebaut und ihn überzeugt, "dass das schon klappen wird". Die Frankfurter Stücke mit Darstellern aus England waren immer Highlights, die vergleichsweise lichteren Reihen nahm man dabei in München in Kauf.

Stimmen im Stadtrat fordern eine Privatisierung

Mit dem "Schuh des Manitu" zündeten Bayer und Steer dann die nächste Stufe: Sie kratzten Geld zusammen, um selbst in eine Produktion einzusteigen. "Die Leidenschaft war spürbar", sagt ihr Partner dabei, Philip Maldeghem vom Landestheater Salzburg, "der Impuls, selber zu produzieren, war richtig", findet er, "so bekommt München viel Theater für wenig Geld. Jetzt riskiert die Stadt, dieses zarte Pflänzchen zu zertreten." Denn schon die Rückkehr der umjubelten Western-Komödie im Sommer ist nun in Gefahr; und weitere eigene Stücke mit Salzburg, etwa einem Musical über den "Boandlkramer", über das Steer, wie er sagt, mit Bully Herwig schon nahezu einig war, sind in weite Ferne gerückt. Überhaupt klaffen im Spielplan '22 und '23 sowieso noch monatelange Lücken. Ob eine gerade gesuchte Interimsleitung die angebahnten Verträge und Projekte wie "Dracula" wird eintüten können, bezweifelt Steer, da Kooperationen in der Branche "sehr an den Nasen" hängen.

Die Frage ist aber auch, wie es mit der großen Linie des Deutschen Theaters weitergeht. Es werden schon Stimmen im Stadtrat laut, die eine Privatisierung fordern. Wie in Hamburg könnte dann ein jahrelang laufendes Stück Touristen in die Stadt locken. Steer und Bayer machten das Gegenteil: Ihre Gäste kamen wegen des abwechslungsreichen, nie elitären, doch meist qualitätvollen Programms nicht einmal alle drei Jahre ins Deutsche Theater, sondern mehrmals im Jahr, die meisten aus der Stadt selbst und dem Umland. Ein Deutsches Theater für München.

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