Süddeutsche Zeitung

"Rilke Projekt" auf Tournee:Lass den Panther aus dem Käfig

Wie Rainer Maria Rilke heute wirkt: Das erfolgreichste deutsche Lyrik-Unternehmen geht im 21. Jahr auf Tour, prominent besetzt mit Dietmar Bär, Ralf Bauer und Nina Hoger.

Von Michael Zirnstein

An Rilke, das weiß man noch aus der Oberstufe, kann man viel herumhirnen. Dietmar Bär stimmt ihn lieber an. So gibt er das Poem "Eingang" eben "mal kurz zum Anschmecken", wie er es dichterisch infiziert nennt: "Wer du auch seist: am Abend tritt hinaus aus deiner Stube, drin du alles weißt; als letztes vor der Ferne liegt dein Haus: wer du auch seist ..." Das klingt eine Weile nach. Dann versucht sich Bär doch an einer Interpretation, zumal es in den nächsten Versen noch um einen "schwarzen Baum, den man vor den Himmel stellt" gehe: "Rilke hat immer eine Metaebene: Man lässt die Welt los, wenn man sie begriffen hat - ein Übergang vom irdischen Leben in einen anderen Bereich. So sehe ich das Gedicht."

Man merkt sofort, der 61-jährige Dortmunder ist drin im Thema und eine Idealbesetzung für das "Rilke Projekt". Ein Wunschkandidat, wie Angelica Fleer und Richard Schönherz alias Schönherz & Fleer sagen. Das Frankfurter Ehepaar lernte sich vor 25 Jahren kennen (so lange, wie Bär und Klaus J. Behrendt schon als Tatort-Kommissare Schenk und Ballauf ermitteln), seit 21 Jahren bringen die beiden das Werk des 1875 in Prag geborenen, 1926 in Montreux gestorbenen österreichischen Lyrikers mit Musik auf die Bühne und auf Platte. Es ist ein erstaunlicher Erfolg: Das erste Album verkaufte sich 150 000 Mal, das zweite 100 000 Mal, nun ist schon das sechste "Das ist die Sehnsucht" erschienen. Zur Popularität tragen sicher die inzwischen mehr als 50 Interpreten bei, große Namen aus allen Ecken und Generationen der deutschen Kultur: Mario Adorf, Nina Hagen, Udo Lindenberg, Peter Ustinov, Robert Stadlober, Udo Lindenberg, Peter Maffay, Ben Becker ... Die Macher wählen "nach Intuition" aus, wer das jeweilige Gedicht, einen Text oder Brief "am authentischsten rüberbringen könne".

Wie 2001 Münchens Promi-Schneider Rudolph Moshammer. Der sei mit Rolls Royce und Hund Daisy im Luis-Vuitton-Täschchen vor dem Studio erschienen. "Wir dachten, er sei ganz zart besaitet, und das ,Liebeslied' würde ihn ansprechen - und so war es dann auch. Er war extrem gut vorbereitet, ihm war das wichtig." Das "Liebeslied" ist auch - obwohl Rilkes Werk unerschöpflich sei - auf dem neuen Album drauf, diesmal gesungen von Alina Süggeler (Frida Gold) und Cassandra Steen. Ein Duett zweier junger, starker Frauen - da geben die Projektleiter durchaus eine Interpretationshilfe für die 100 Jahre alte Ballade. "Das passt in unsere Zeit", sagt Schönherz. "Und wir sehen diese Liebe gar nicht so erotisch", ergänzt Fleer, "sondern eher kosmisch, als das, was uns alle verbindet und schwingen lässt." So klingt es: "Doch alles, was uns anrührt, dich und mich, nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich, der aus zwei Saiten eine Stimme zieht. Auf welches Instrument sind wir gespannt? Und welcher Geiger hat uns in der Hand? O süßes Lied."

Da ist die Musik schon im Wort angelegt. Auf Platte und Bühne machen die jazzig-seelenvollen, hip-hoppigen, kammermusikalischen Kompositionen einen großen Teil des Zaubers aus. Ali Neander (Rodgau Monotones, Moses Pelham) spielt zum Beispiel Gitarre. Und erstmals ist auch der Münchner Holzbläser und Feingeist Mulo Francel (Quadro Nuevo) dabei.

Diese Art der Inszenierung schafft einen ganz neuen Zugang, findet Dietmar Bär. So durchbreche man vielleicht die "Traumata aus der Schulzeit". Wer hat nicht den "Panther" im Käfig durchgekaut (Stichworte: Symbolismus, Dinggedicht)? Auf der Bühne wird es sinnlicher, wenn ihn sich Ralf Bauer zur Musik krallt. Aber nicht unernst. Die Tournee zum Projekt führt Bär, an der Seite von Bauer und Nina Hoger, zurück zu seinen Ursprüngen. Schon auf der Westfälischen Schauspielschule in Bochum habe er in der Sprecherziehung oft mit dem "Echtermeyer von Wiese"-Band gearbeitet, "ein großer Klopper, ein Rundumschlag durch die deutsche Poesie". Zwar hieß es damals witzigerweise in den Klassen gern "Was du machst, ist Rilke bei Kerzenschein", also "zu viel Pathos, too much". Er habe deswegen etwas schmunzeln müssen, als die Einladung zum Projekt kam. Aber dann entdeckte er den von ihm hochverehrten Jürgen Prochnow als einen Vorgänger auf der Liste - als Theatermann vielen unbekannt, wie Bär etwa in seiner Rolle als Kleists Dorfrichter Adam in Bochum. Jedenfalls die Schönheit des Wortes zu vermitteln, dass sei doch elementar wichtig in seinem Beruf. Da sei schon "eine Unkultur im Umgang mit dem Sprechen klassischer Texte" zu erkennen.

Die jungen Menschen lieben zwar wieder Reime, hören Hip-Hop und gehen auf Poetry-Slams, aber auch ihnen will Bär etwa mit dem "Lied vom Meer" oder "Herbsttag" zeigen: "Das hier sind die Ahnen, hört mal zu, die haben immer noch etwas zu sagen. Das ist kein lustiges Ene-mene-mu-und-raus-bist-du, es ist keine Berieselung - es ist Auseinandersetzung."

Auch für die Initiatoren hat Rainer Maria Rilkes Werk eine zeitlose Gültigkeit. "Wir haben die Zeilen schon Hunderte Male gehört, sie verlieren nie ihren Glanz, ihre Kraft, ihre Schönheit", sagt Fleer, "niemand findet solche Worte für die Seelenzustände." Und Schönherz liebt gerade "das Offene, das Weite, das Geheimnisvolle". Sollte jemand die Rätsel nicht entschlüsseln können, ist er in guter Gesellschaft: Auch Burgtheater-Schauspieler Peter Simonischek drang nur bis zu einem gewissen Punkt durch. "Es sagte, er lese die Texte, aber er wisse nicht, ob er die letzte Tür aufstoßen konnte", erinnert sich Angelica Fleer an die Zusammenarbeit. "Das ist das Schöne an Rilke: Er rührt in uns etwas an, das wir nicht in Worte fassen können."

Rilke Projekt, Fr., 30. Sep., 20 Uhr, Deutsches Theater, München

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