Museumswerkstätten:"Putzen ist bei uns das A und O"

Lesezeit: 3 min

Wieder präsentabel: Karen Wolter mit einer Hausbibel aus dem Jahr 1719. (Foto: Robert Haas)

Alte Bücher, die restauriert werden müssen, Spitzentechnik, die als Modell zum Anfassen nachgebaut wird: Was das Deutsche Museum zeigt, wird vorher in den Werkstätten mühevoll hergerichtet. Am Samstag können Besucher hinter die Kulissen schauen.

Von Patrik Stäbler

Der hölzerne Buchdeckel ist an vielen Stellen zersplittert, der Einband dreckverkrustet, an den papiernen Seiten haben Mäuse Fraßspuren und Silberfische kleine Gänge hinterlassen. Kurzum, dieser Familienbibel von 1719 sieht man an, dass sie jahrhundertelang eifrig gebraucht und von Generation zu Generation weitergegeben wurde - bis sie eines Tages bei Karen Wolter landete, die die Bibel aus der Hand ihrer Großmutter erhalten hat. Wolter interessierte sich allein schon berufsbedingt für den dicken Wälzer und nahm ihn mit an ihren Arbeitsplatz im Deutschen Museum, als Anschauungsmaterial.

Altes, aber wertvolles Stück: "Man holt da viel Dreck raus." (Foto: Robert Haas)

"Solche Bücher bekommen wir hier zum Restaurieren", sagt Karen Wolter, während sie durch die Familienbibel blättert - beziehungsweise durch das, was davon übrig ist. Die 32-Jährige leitet die Buchbinderei im Deutschen Museum, wo auf engem Raum mehrere Arbeitstische sowie Gerätschaften von der Schneidemaschine bis zum Drucker stehen. Um die ramponierte Bibel zu restaurieren, müsse man sie zunächst vorsichtig reinigen, sagt Karen Wolter - "Putzen ist bei uns das A und O". Hierzu nehme man kleine Besen, Schwämme und spezielle Radiergummis. "Man holt da viel Dreck raus", sagt sie und hebt zum Beweis ein Marmeladenglas in die Höhe, voll mit Staub und Schmutz, den sie bei einer Restaurierung aus dem Buch geholt hat. Nach dem Reinigen, sagt Wolter, klebe sie dann die Bruchstellen auf den einzelnen Seiten, und zwar mit Kleister und teurem Japanpapier.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

All diese zeit- und oft auch nervenraubende Feinarbeit geschieht in der Regel hinter verschlossenen Türen. An diesem Samstag jedoch öffnet nicht nur die Buchbinderei ihre Pforten fürs breite Publikum, es öffnen zum Tag der offenen Werkstätten ganze zehn der 24 Arbeitsbereiche im Deutschen Museum. Dann können sich die Besucherinnen und Besucher unter anderem im Elektroniklabor, bei den Mechanikern und in der Druckerei ein Bild davon machen, wie die mehr als 70 Handwerker und Künstlerinnen Ausstellungsstücke restaurieren sowie neue Exponate anfertigen.

Zum Beispiel in der größten aller Museumswerkstätten, bei den Modellbauern, wo auf einem Tisch gleich hinter dem Eingang eine silberne Kugel mit einem halben Meter Durchmesser thront, die entfernt an den Todesstern aus "Star Wars" erinnert. Tatsächlich sei dies jedoch ein Nachbau der sogenannten "Target-Kammer" der Laserfusionsanlage der National Ignition Facility (NIF) in Kalifornien, wo an der Kernfusion geforscht werde, erläutert Claus Grünewald. Dieses Modell im Maßstab 1:20 soll dereinst in der Sonderausstellung "Licht und Materie" zu sehen sein - als Exponat zum Anfassen, weshalb man es aus Aluminium und Kunststoff "etwas stabiler" baue, sagt der Werkstattleiter. Um die Target-Kammer möglichst detailgetreu nachzubauen, habe man zunächst einen 3D-Entwurf am Computer entwickelt und anschließend ein Vormodell aus Styropor angefertigt. Als Vorlage hätten die Modellbauer dabei bloß auf einige wenige Fotos zurückgreifen können, erzählt Grünewald. Denn die streng geheimen Baupläne wollte die NIF nicht herausrücken.

Modellbauer Claus Grünewald mit einer historischen Eisfabrik im Miniaturformat. (Foto: Robert Haas)
Über die Schulter schauen lässt sich auch Elisabeth Straßer in ihrer Bildhauerwerkstatt. (Foto: Robert Haas)

Dass in den Werkstätten des Deutschen Museums nicht nur Neues geschaffen, sondern auch Altes bewahrt wird, zeigt sich einen Tisch weiter. Dort ist ein meterlanges Modell einer Eisfabrik aus dem Jahr 1900 aufgebaut, dem man sein Alter deutlich ansieht. Bevor dieses Schmuckstück aus dem Fundus des Museums ab 2028 in der Ausstellung "Energie und Dampf" gezeigt werden kann, müssen die Modellbauer es umfassend restaurieren. "Da ist auch noch eine Reihe von Schweinehälften dabei", sagt Claus Grünewald und klappt eine Kiste auf, in der die Miniaturmodelle der Tierkörper wie Sardinen nebeneinander liegen. "Die müssen am Ende ins Kühllager."

Nur eine Türe neben den Modellbauern betritt man eine weitere Werkstatt mit hohen Decken. Durchs offene Fenster ist das Rauschen der Isar zu hören. Auf Tischen und in Schränken stehen hier allerlei Büsten und Skulpturen, in den Regalen reihen sich Dutzende Gläser mit verschiedenen Substanzen, an der Wand hängt eine Postkarte mit dem Bild einer Engelsfigur. Dazu die Aufschrift: "Gips verleiht Flügel." Bereits seit 26 Jahren ist dies der Arbeitsplatz von Elisabeth Straßer, Leiterin der Bildhauerwerkstatt.

Was sie an ihrem Job besonders liebe, sagt sie, "ist die Kombination aus Wissenschaft, und wie wir sie in unsere Sprache übertragen". Auch Straßer und ihre zwei Kolleginnen sind aktuell mit den Vorarbeiten für die Sonderausstellung "Licht und Materie" beschäftigt, die 2024 Jahr eröffnet werden soll. Unter anderem tüfteln sie an fünf "Szenoramen", wie Straßer sie nennt. Also Dioramen, die jedoch mehrere Schaukästen-Bilder umfassen und damit eine Geschichte erzählen - etwa über die Erfindung des Radars oder die legendäre Debatte zur Quantenmechanik zwischen Niels Bohr und Albert Einstein.

Hierzu fertigen die Bildhauerinnen kleine Gipsfiguren der Forscher an und kombinieren diese mit Originalexponaten und Hintergründen, um im Stile einer Graphic Novel eine Episode der Wissenschaftsgeschichte zu erzählen. "Mit solchen Szenoramen wollen wir den Besuchern die Schwellenangst vor der Physik nehmen", sagt Elisabeth Straßer. "Wir versuchen nicht, das zu erklären wie in einem Lehrbuch. Wir erzählen die Geschichte dazu." Und beim Tüfteln an dieser Geschichte kann man den Bildhauerinnen am Samstag über die Schulter blicken.

Erstmals seit 2019 veranstaltet das Deutsche Museum am Samstag, 13. Mai, wieder einen Tag der offenen Werkstätten. Diese können von 8 bis 16 Uhr im Rahmen von 90-minütigen Führungen besichtigt werden. Die Teilnahme ist kostenlos; Reservierungen sind am Veranstaltungstag an Ort und Stelle ab 7.45 Uhr möglich.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusProtest gegen Auftritt von Daniele Ganser in München
:"Unverständlich und gefährlich"

Daniele Ganser gilt als Star der verschwörungsideologischen Szene. Die Israelitische Kultusgemeinde, der Antisemitismus-Beauftragte und andere Experten üben scharfe Kritik am geplanten Auftritt des Schweizer Historikers im Münchner Circus Krone. Dort versteht man die ganze Aufregung nicht.

Von Martin Bernstein

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: