Süddeutsche Zeitung

Deutsches Museum:"Schiffe haben eine große Anziehungskraft auf Menschen"

Um fast 4000 Exponate kümmert sich Daniela Menge im Deutschen Museum. Die Kuratorin für Schifffahrt arbeitet an der Neukonzeption der Ausstellung - und muss auch der Handy-Generation gerecht werden.

Von Martina Scherf

Daniela Menge streicht zärtlich über die alten Planken der Maria. Das Schiff ist in die Jahre gekommen, sein Holz hat Risse, sein Mast kann die Segel nicht mehr tragen, doch ein stattliches Schiff ist Maria noch immer. 1880 für den Fischfang auf der Nordsee gebaut, erzählt sie vom harten Leben der Männer auf See, von Stürmen und Havarien, vom Beginn der Globalisierung und vom Niedergang der Segelschifffahrt.

Sie ist eine der Ikonen des Deutschen Museums und empfängt seit Jahrzehnten die Besucher im Erdgeschoss in Halle 1. Das Museum ohne Maria? "Undenkbar", sagt Daniela Menge. "Deshalb werden wir sie pflegen und behalten." Seit einem guten Jahr ist sie Kuratorin für Schifffahrt im Deutschen Museum und mit der Neugestaltung ihrer Abteilung nach der Sanierung beschäftigt.

Welche Aura ein solch altes Schiff wie der Fischewer Maria aus Finkenwerder entfalten kann, hat sie erst kürzlich wieder erfahren. Ein Ewer ist ein Schiff mit flachem Kiel, das auch im Watt liegen kann, und Maria fuhr mit den Fischern der Nordsee 70 Jahre lang aufs Meer, bevor sie in den Fünfzigerjahren auf der Isarinsel ihren letzten Liegeplatz fand. Menge ging also vor einigen Wochen mit einem Gutachter aus Hamburg durch das Schiff, um zu prüfen, was ihm fehlt und wie aufwendig die Sanierung werden würde. Als sie in der Kajüte saß, "da kamen Kinder und fragten: Sind Sie Kapitänin? Oder Piratin? Was hat das Schiff? Es muss unbedingt hier bleiben!"

Dafür wird die Kuratorin sorgen, versichert sie, auch wenn das Lifting Zeit und Geld kostet. "Schiffe haben eben eine große Anziehungskraft auf Menschen", sagt Menge, 49. Sie selbst segelt seit Kindesbeinen an, und weil sie das Meer liebt, ging die geborene Göttingerin einst zum Studium nach Kiel. Geografie und Kommunikationsdesign, das war die ideale Voraussetzung für die spätere Museumsarbeit. Sie hat dann am Theater in Göttingen als Bühnenbildnerin und Plakatmalerin gearbeitet, für eine Agentur in Hamburg Ausstellungen konzipiert, am Medienforum in Kiel Fotografen unterrichtet und schließlich am Exzellenzcluster "Ozean der Zukunft" der Uni Kiel und des Helmholtz-Zentrums für Meeresforschung wissenschaftliche Themen für Besucher aufgearbeitet.

Seit 2012 ist sie am Deutschen Museum. Die damals neue Ausstellung zur Meeresforschung hat sie mitentwickelt, die Kraftmaschinenabteilung und die Sonderausstellung zum Anthropozän über die Frage, wie tief greifend der Mensch die Erde verändert hat. Nun ist sie in ihrem Lieblingsbereich, der Schifffahrt angekommen. 4000 Quadratmeter, fast 4000 Exponate, vom Eskimo-Kanu bis zum Tauchroboter, gehören jetzt in ihre Obhut.

Früher hatten die Museumsbesucher noch Ehrfurcht vor den Objekten und ihrer Geschichte, sagt sie. "Das ist leider verschwunden." Und während sie es ausspricht, setzt ein Vater seine kleine Tochter in die venezianische Gondel, deren Lack schon deutlich gelitten hat. Disneyland oder historisches Museum? Den Unterschied muss man offensichtlich erst erklären. Dem Panzertaucher im Untergeschoss, einer stählernen Rüstung gegen den Druck in großer Tiefe, haben sie den Arm abgerissen, erzählt Menge, "weil sich die Leute rein stellten, um Selfies zu schießen". Jetzt steht er hinter Glas.

Solche Überlegungen müssen bei der Neukonzeption neben den wissenschaftlichen Daten und Fakten auch eine Rolle spielen. Einerseits will man etwas zum Anfassen bieten, und Menge kann das gut verstehen: "Wir haben so schöne Dinge hier, die Taue und Schoten, das Holz und die Mechanik, da will man halt drüber streichen", sagt sie. Andererseits muss man die Objekte schützen. Überhaupt wird einiges anders werden in der Präsentation. "Die Welt verändert sich so rasant, da können wir nicht mehr für Jahrzehnte planen", sagt Menge. Maschinen hinstellen, Texttafel dazu, wie zu früheren Zeiten, das geht heute nicht mehr. Menge denkt über Wechselstationen nach, die einzelne Inhalte vertiefen und immer wieder aktualisiert werden können.

Aber natürlich bleiben die Objekte das Herzstück jeder Ausstellung. "Auch der Renzo wird bleiben", sagt Menge und geht weiter zu dem großen Stahlschiff am Ende der Halle, "wo soll der auch hin"? Renzo, Baujahr 1931, ist ein schwarzer Koloss aus Italien. Er steht für den Beginn der maschinenbetriebenen Schifffahrt. Mit seiner kohlebefeuerten Dampfmaschine hat er jahrzehntelang Frachtkähne durch die Lagune von Venedig geschleppt - und damit auch die Globalisierung gefördert.

Geschichten erzählen, das ist für Daniela Menge eine Möglichkeit, Menschen für die Technik zu begeistern. Sie kann sich auch vorstellen, zu den wunderbaren Dioramen, die in den museumseigenen Werkstätten hergestellt werden, Virtual-Reality-Anwendungen anzubieten, die auf dem Handy abzuspielen sind. Eines steht in der Ausstellung zur Meeresforschung, Menge hat seine Entstehung begleitet, und zeigt den Forscher Charles Wyville Thomas an Bord der Challenger. Man könnte dabei den Wind pfeifen lassen und das Schiff zum Wanken bringen, während Thomson in der Kajüte seine Reagenzgläser befüllt. Die Reise der Challenger dauerte vier Jahre lang (1872-1876), sie war die erste globale See-Expedition und begründete die systematischen Ozeanografie.

Im Untergeschoss der Schifffahrtsabteilung wartet eine weitere Ikone des Museums: die U1, das erste U-Boot der Kaiserlichen Marine. Millionen von Besuchern haben dort schon gestanden und sich mit leichtem Gruseln gefragt, warum ein Mensch so etwas macht: sich in einem Stahlkäfig ins Meer versenken lassen, um feindliche Schiffe abzuschießen. Wolfgang Petersens Film "Das Boot" hat die unheimliche Atmosphäre an Bord eindrücklich geschildert. "Aber es geht noch schlimmer", sagt Menge und dreht sich um. Da steht ein kleines Zwei-Mann-U-Boot, ein sogenannter Seehund. "Das waren reine Selbstmordkommandos." Die Männer saßen tagelang eingezwängt auf ihrem Sitz, wie lebendige Bomben, jederzeit bereit, fürs Vaterland zu sterben. Wie hält man so etwas aus? Auch solche Fragen will die Kuratorin in Zukunft thematisieren.

Und noch ein Thema liegt ihr am Herzen: die Seenotrettung. Draußen, im Museumsgarten, steht die Theodor Heuss, ein Rettungskreuzer aus den Sechzigerjahren. Das Thema hat durch das Flüchtlingssterben im Mittelmeer heute eine neue Dimension erhalten. Und Menges Mitarbeiter Benedikt Funke, studierter Kapitän, bringt da eigene Erfahrung mit: Er hat die Iuventa , ein privates Rettungsschiff, vor der libyschen Küste gesteuert, bevor es in Italien festgesetzt wurde. Ein Dokumentarfilm hat die dramatischen Szenen an Bord der Iuventa  festgehalten.

Menge ist stolz auf ihr "kleines, feines Team", das spürt man. Neben dem Kapitän sind da noch ein Seefahrts- und ein Technikhistoriker. "Man braucht sehr viel Expertise an unserem Haus, aber dann auch jemanden, der das Fachwissen herunterbricht auf allgemein verständliches Niveau", sagt sie. Vor allem aber brennt sie selbst für ihre Themen rund um Museum und Meer. Wenn 2025 das ganze Haus wieder eröffnet wird, zu seinem 100. Geburtstag, dann kann sich die Kuratorin auch wieder stärker der Forschung widmen. Denn das gehört auch zu ihren Aufgaben: die Geschichte der Seefahrt und die Hintergründe der Exponate in der Sammlung zu erforschen. "Darauf freue ich mich schon", sagt sie.

Der Beruf ist ihr so wichtig dass sie nun schon seit Jahren in Kauf nimmt, ihre Familie, die in Kiel lebt, nur jedes zweite Wochenende zu sehen. Doch das Nordlicht wird noch länger in München bleiben. Sie hat die Stadt lieben gelernt, sagt sie, und schwärmt von den kulturellen Angeboten. "Mittlerweile mag ich sogar die Berge", sagt sie und lacht. Noch lieber aber geht sie segeln auf der Ostsee.

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Quelle:
SZ vom 16.04.2019/vewo
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