Süddeutsche Zeitung

Altes Handwerk:Vom Museum vergessen

Seit 22 Jahren führt Glasbläser Frank Liebmann seine Kunst im Deutschen Museum vor. Bald gibt es dort keinen Platz mehr für ihn.

Von Frederik Kastberg und Ben Kutz

Es wäre das Ende der längsten Ära im Leben von Frank Liebmann, aber ganz bestimmt nicht das erste Ende. Sein Job als Gitarrist in der Thüringer Partyband Rampling Stamps ist schon lange Geschichte, sein Beruf als Glasgerätebläser, also als Hersteller von Laborgeräten, zu DDR-Zeiten sowieso. Und dass es "natürlich Schwachsinn" gewesen sei, kurz nach der Wende in der thüringischen Provinz einen Plattenladen zu eröffnen, wollte Liebmann damals "halt nicht wissen". Alles lang vorbei, alles weit weg. Seit 22 Jahren arbeitet er nun als Glasbläser im Deutschen Museum. Doch auch diese Ära wird im Dezember vermutlich enden.

Wie so oft in den vergangenen zwei Jahrzehnten sitzt Frank Liebmann an seinem Brenner in der zweiten Etage des Deutschen Museums. Er trägt ein T-Shirt der finnischen Metal-Band Oranssi Pazuzu, vor ihm lodert eine Flamme aus Gas, Pressluft und Sauerstoff, gleich daneben liegen ein paar schlichte Glasrohre, aus denen er seine Kunstwerke herstellt. Es ist faszinierend, wie Liebmann aus einem Glasrohr Kugeln bläst, wie er zwei Rohre zusammenschmilzt, wie er aus einem spitzen Rohr einen flachen Glasteller formt. So leer wie heute sei sein Arbeitsplatz aber schon lange nicht mehr gewesen, erzählt Liebmann. Kein Wunder: Bei fast 30 Grad im Schatten sonnen sich die Leute lieber an der Isar oder suchen Abkühlung im Eisbach, anstatt im Deutschen Museum einem Glasbläser bei der Arbeit zuzugucken. Nur einer ist immer da: Die Goldmaske des altägyptischen Pharaos Tutanchamun starrt den 53-Jährigen durch eine Glasvitrine an. "Den bemerke ich gar nicht mehr", sagt Liebmann und lacht.

Doch das echte, menschliche Publikum liebt er - und es habe ihm im vergangenen Jahr, als das Museum wie so vieles schließen musste, deswegen umso mehr gefehlt. Wenn sich dann doch ein paar Besucher an diesem schwülwarmen Julitag bis zu seinem Stand verirren, ist Liebmann erst richtig in seinem Element. Er beschreibt die physikalischen Eigenschaften seines Werkstoffs, erklärt seine nächsten Arbeitsschritte, beantwortet Fragen und hört gar nicht mehr auf mit dem Reden.

Liebmann freut sich, als Familie Geiser aus Hamburg stehen bleibt. Und die freuen sich, ein bisschen Abwechslung im Museumstrott zu haben. Die Lernwelle am Stand sei wirklich hoch, sagen sie. "Es ist einfach lebendig - im großen Unterschied zu allem anderen hier."

Eigentlich wollte Liebmann nach dem Abitur Lehrer werden. Oder Journalist. Seine Noten seien sehr gut gewesen, erzählt er. Doch sein Vater hatte einen anderen Plan für ihn. Liebmann ist in Lauscha aufgewachsen. Im Örtchen in Südthüringen, nicht weit entfernt von Coburg, hat Glas eine lange Tradition. Glasbläser hatten in der DDR eine gewisse Narrenfreiheit. Während die allermeisten Arbeiter in volkseigenen Betrieben gearbeitet haben, waren die Glasbläser ihre eigenen Chefs. "Die haben so ein bisschen gelebt wie Gott in Frankreich, also denen ging's super", sagt Liebmann. Diese "kleine autonome, exotische Künstlergilde" hatte Vorteile, die selten waren im Arbeiter-und-Bauern-Staat. "Die konnten mit dem Glas ein bisschen dealen, es gab eben unterm Ladentisch alles, was es sonst nicht gab", sagt Liebmann. Ein Stück Glaskunst war schnell gegen eine Kiste Radeberger oder die neuste Schallplatte eingetauscht. Dinge eben, die es nur unter dem Ladentisch gab. Sein Vater habe ihm dann eine Broschüre von Schott Jena mitgebracht - eine Traditionsfirma, die Laborgeräte herstellt. "Das war an sich schon spektakulär, so farbige Broschüren gab es ja kaum in der DDR." Und als er dann das erste Mal ein Stück Glas in der Hand hatte, das weich und formbar wurde, "da kommt schon so ein Funke, wo man denkt: Okay, da ist was."

Diese Begeisterung erkennt man auch heute noch in den Augen hinter seiner Brille, wenn er im Deutschen Museum vor seiner Flamme sitzt. Es macht ihm Spaß, das Glas so zu formen, wie er es am Ende haben will. Vorsichtig zieht er einen glühenden Glasstab auseinander, drückt ihn zusammen oder pustet behutsam hinein, damit ein Hohlraum entsteht. Gerade arbeitet er an einem Tintenfässchen, wie es später auch in seinem Shop im Deutschen Museum zu kaufen sein wird. "Vom Produkt her ist das jetzt nichts Besonderes", sagt er, "da würde ich jetzt nicht drauf unterschreiben." Mehr Stolz verbindet er mit seinen bunten Vasen, die in mehreren beleuchteten Regalen rund um seinen Arbeitsplatz stehen.

Viele Stunden kann es dauern, bis das Glas aus unterschiedlichen Farben so kunstvoll verdreht ist, dass es hübsch aussieht und Liebmann zufrieden mit seiner Arbeit ist. "Das macht mir aus dem Stand vermutlich nicht jeder Glasmacher nach", sagt er selbstbewusst.

Dass er in seiner Arbeit so viele kreative Freiheiten hat, war nicht immer so. Nach dem Ende seiner Ausbildung 1987 zieht Liebmann zurück nach Lauscha. Dort will er den Glasbläser-Traum leben, den ihm sein Vater in Aussicht gestellt hatte. Doch zurück in der Heimat hat der Staat erst mal andere Aufgaben für Liebmann. Ein halbes Jahr lang muss er Christbaumkugeln im Akkord produzieren. Den ganzen Tag macht er nichts anderes, als Glasrohlinge aufzupusten. 800 bis 1000 Stück, Tag für Tag. "Das war Sklavenarbeit auf besserem Niveau", sagt er. "Wenn du da Pipi machen warst, musstest du die drei Minuten abends dranhängen."

Doch als diese Einstiegshürde gemeistert ist, darf er endlich das tun, was er will: als selbständiger Kunstglasbläser arbeiten. Frei sein im unfreien Land. Diese Vorzüge genießt Liebmann allerdings nicht mal zwei Jahre, dann ist die DDR Geschichte. Nach der Wende weiß er erst mal nicht so recht, wo es für ihn hingehen soll. Wochenlang reist er durch Portugal, Marokko, Spanien und das Atlasgebirge. Auch wegen dieser neuen Freiheiten sieht er die Wende grundsätzlich als "unglaublichen Gewinn". Er merkt aber auch, wie es ihn geprägt hat, in der DDR aufgewachsen zu sein. "Ökonomisch waren wir im Osten nicht so auf Effizienz getrimmt. Es war nicht so eine Ellenbogengesellschaft", sagt Liebmann. Zu Hause in Lauscha eröffnet er einen Plattenladen - in einem Ort mit damals knapp 4000 Einwohnern. Der Laden ist von Anfang an zum Scheitern verdammt, insgeheim weiß Liebmann das damals selbst schon. Doch er kann dem Gedanken nicht widerstehen, dem Osten endlich seine geliebte Musik näherzubringen, schließlich waren "Westplatten" bis zur friedlichen Revolution absolute Mangelware. Zur gleichen Zeit tingelt er als Gitarrist mit seiner Cover-Band durch ganz Mitteldeutschland und hält mit den Einnahmen seinen Laden gerade so über Wasser. Oft spielen sie drei Gigs pro Wochenende und bringen es damit zu etwas Berühmtheit im Osten. "Zwischenzeitlich hatten wir mal einen eigenen Sattelschlepper", erzählt Liebmann, "aber der Rock 'n' Roll ist woanders gerettet worden, wenn überhaupt." Doch das Geld stimmt. Und Liebmann entdeckt seine Leidenschaft, vor Menschen zu stehen und sie zu unterhalten.

Deswegen kommt eine Stellenausschreibung wie gerufen. 1999, der Plattenladen ist inzwischen endgültig Geschichte, hält ihm ein Bekannter eine Zeitungsannonce unter die Nase. Gesucht wird dort ein Glasbläser im Deutschen Museum in München. Nach etwas Überlegung bewirbt er sich - und bekommt die Stelle schließlich. Der Umzug nach München kommt genau zur richtigen Zeit, die Stadt wird Liebmanns neue Heimat. Lediglich ein "bisschen bunter" hätte er sie sich manchmal gewünscht. Und wenn Liebmann am Anfang die Wahl gehabt hätte, hätte er das Museum auch "lieber nach Berlin gebeamt".

Aber er und München haben über die Zeit doch zueinander gefunden. Spätestens seit vor sieben Jahren seine Tochter in München zur Welt gekommen ist, will er sowieso hierbleiben. Reichlich Abwechslung bietet ihm sein Job ohnehin: "Ich habe Leute aus der ganzen Welt getroffen: Brasilianer, Amerikaner, Israelis. Ich konnte die fragen, wie das denn mit den Palästinensern ist, bin mit denen ins Gespräch gekommen, habe private Kontakte gemacht."

Bis zu 100 Besucher habe er bei einigen seiner Vorstellungen, die er zweimal täglich gibt, in seiner kleinen Werkstatt gehabt. Mit manchen von ihnen war er hinterher sogar noch ein Bier trinken.

Damit ist wohl bald Schluss. Der zum Jahresende auslaufende Vertrag mit dem Museum wurde nicht verlängert. Grund dafür ist die laufende Generalsanierung des Hauses. Der Teil, in dem Liebmann seinen Gasbrenner stehen hat, wird von 2022 an geschlossen. Im neuen, bereits fertigen Teil des Museums gab es keinen passenden Ort für die Glasbläserei. Man habe ihn "mehr oder weniger ein bisschen vergessen", sagt Liebmann. Das Museum bedauere den Auszug, auch, weil man sich der Beliebtheit des Standes bewusst sei. Generaldirektor Wolfgang Heckl habe sich persönlich für eine Ausweichlösung eingesetzt, teilte das Museum auf Anfrage mit. Man hoffe aber, im zweiten Bauabschnitt wieder einen dauerhaften Ort für den Stand zu finden. Der Haken: Dieser soll erst 2028 eröffnet werden.

Ganz aufgegeben hat Frank Liebmann die Hoffnung, dass es doch noch irgendwie weitergeht, dennoch nicht. Er möchte selbst noch einmal das Gespräch mit dem Museum suchen. Trotzdem denkt er langsam über einen Plan B nach. "Wenn im Dezember doch Schluss sein sollte, würde ich gern weiter meine bunten Gefäße machen und mit dem Glas zusammen Spaß haben." Doch nur am Brenner zu stehen, das reicht Liebmann eigentlich nicht. "Ich will auch Leute dabeihaben, die das interessiert, denen ich etwas erklären kann." Ein Job, den es so in Deutschland vermutlich genau einmal gibt: am Glasbläserstand im Deutschen Museum.

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Quelle:
SZ vom 15.07.2021
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