150 Jahre DAV:"Olympia ist eines der größten Probleme des Vereins"

150 Jahre DAV: Bergsteiger Rudi Berger in der Fleischbank Südostverschneidung im Wilden Kaiser.

Bergsteiger Rudi Berger in der Fleischbank Südostverschneidung im Wilden Kaiser.

(Foto: Privat)

Rudi Berger und Lorenz Teply stehen für zwei ganz unterschiedliche Generationen von DAV-Mitgliedern. Wenn es um Naturschutz oder Kommerz am Berg geht, teilen sie aber so manche Ansicht.

Interview von Nadine Regel

Der Deutsche Alpenverein (DAV) feiert am Donnerstag seinen 150. Geburtstag. Rudi Berger, 85, ist seit 1953 bei der Sektion München und damit eines der Mitglieder, das am längsten mit dem DAV verbunden ist. In seinen 66 Jahren Mitgliedschaft hat er sich als Naturreferent vor allem für Umwelt- und Naturschutz eingesetzt. Lorenz Teply, 24, steht für die neue Generation im DAV. Er studiert Elektro- und Informationstechnik an der TU München und ist seit drei Jahren ehrenamtlich Jugendreferent der Sektion München. Ein Gespräch über Professionalisierung, die olympische Fehlentscheidung und Zukunftsvisionen.

SZ: Sind Sie gerne Mitglied beim DAV?

Rudi Berger: Wenn ich jetzt nochmal vor der Entscheidung stehen würde, Mitglied beim DAV zu werden, dann würde ich mich dagegen entscheiden.

Lorenz Teply: Ich bin gern dabei. Die Jugendarbeit ist sensationell. Man kann sich super entfalten. Aber ja, es gibt auch gewisse Baustellen.

Hoppla, da schwingt ja ein gewisser Unmut mit.

Berger: Natürlich, schließlich hat sich der DAV mit seinem Einstieg bei Olympia endgültig von seinen Wurzeln entfernt. Und dann finde ich die ganze Professionalisierung schlecht. Früher war ich als Naturreferent noch ehrenamtlich im Einsatz. Da konnte ich auch mal Dinge sagen und tun, die der Sektion nicht gepasst haben. Heute ist das Amt bezahlt und es besteht eine gewisse Abhängigkeit. Der DAV nähert sich in seinen ganzen Strukturen der Wirtschaft an.

Teply: Gut, aber man kann den DAV nicht so lassen, wie er vor 30, 40 Jahren war. Wir haben immerhin 1,3 Millionen Mitglieder. In der Sektion München allein sind es etwa 175 000 Mitglieder. Ohne professionelle Strukturen ist das nicht stemmbar. Ich merke es jetzt als Jugendreferent, dass ich bestimmte Bereiche automatisieren muss. Zum Beispiel beim Datenschutz. Der Verein bleibt aber ein Verein. Ich finde eher, dass die Kommerzialisierung im DAV falsch ist. Aber auch hierzu gibt es Gegenströmungen.

Aber das war noch nicht immer so, oder?

Berger: Unsere Sektion hat mal Jutebeutel ausgegeben, mit dem Aufdruck: "Alles für das Mitglied." Das klingt nach Mediamarkt und Co. Die Leute sollten Mitglied werden, um dem Verein bei seiner Dienstleistung für die Gesellschaft zu helfen und damit als Bergsteiger auch sich selbst.

Was ist daran verwerflich?

Berger: Der Verein ist nicht nur dafür da, zu geben. Nein, auch die Mitglieder sollten etwas für den Verein tun. Ansonsten wird aus dem Verein ganz schnell ein Konzern.

Wie steht es also um den DAV?

Teply: Gar nicht so schlecht. Es hat sich zum Beispiel eine neue Gruppe in der Sektion München gebildet: Quo Vadis DAV. Da wird über die Zukunft des Vereins diskutiert. Unsere Sektion als Gründungssektion hat insgesamt auch eine gewisse Vorbildwirkung. Wir waren es, die E-Bike-Ladestationen auf unseren Hütten verboten haben. Wir haben das Hüttensymposium "Wie viel Komfort brauchen wir?" angestoßen, wir bemühen uns um eine bessere Partizipation für alle, wir beschäftigen Umweltmitarbeiter in der Sektion.

Berger: Von Anfang an hat es Leute gegeben, die gegen diese Entwicklung waren. Die konnten das trotzdem nicht aufhalten. Es gibt ein organisches Wachstum und ein Wachstum durch Düngung. Und das Serviceangebot des DAV mit seiner Totalversicherung ist wie ein Dünger. Weil die Leute das gerne annehmen und vielleicht auch mal eine zu schwierige Route ausprobieren - die Bergrettung wird es schon richten. So entwickelt sich das immer weiter. Jetzt sind wir schon bei Olympia.

Teply: Oh ja, Olympia ist eines der größten Probleme des Vereins.

Warum das?

Teply: Der DAV hatte sich damals gegen die Winterspiele entschieden, aus Umweltgründen, obwohl die Sommerolympiade auch nicht viel besser ist. Außerdem passt der große Fokus auf Leistungssport meiner Meinung nach einfach nicht zum DAV. Klar, beim Bergsteigen geht es auch mal darum, als Erster am Gipfel zu sein, aber Olympia ist nochmal was ganz anderes.

Berger: Es ist ein Unterschied, ob ich eine Leistung ihrer selbst Willen erbringe oder ob ich mich steigern muss, weil ich sonst einen Sponsor verliere. Für mich sind die Kletterer, die zu Olympia gehen, zweibeinige Plakatständer. Der Olympische Sport dient nur der Sportindustrie. Der DAV hat da nichts verloren. Es ist aber auch schwierig - Ehrenmitglied sein und trotzdem lästern (lacht). Aber was soll ich machen.

Teply: Das ist es aber, was ich am Alpenverein so schätze. Dass es so eine hohe Diversität gibt, die auch oft kooperativ ist.

150 Jahre DAV: Die Bergsteiger Rudi Berger (links) und Lorenz Teply engagieren sich ehrenamtlich bei der Sektion München des Deutschen Alpenvereins.

Die Bergsteiger Rudi Berger (links) und Lorenz Teply engagieren sich ehrenamtlich bei der Sektion München des Deutschen Alpenvereins.

(Foto: Michael Artur Koenig)

Aber das Thema Olympia kann man trotzdem nicht aus der Welt räumen.

Teply: Wenn man schon dabei ist, sollte man zumindest Zeichen setzen, was Nachhaltigkeit und Soziales angeht. Mit Olympia hätte man eine riesige Bühne.

Berger: Sportkletterer können sich jederzeit organisieren und trotzdem im DAV bleiben und olympisch klettern. Aber der DAV ist nun mal als Bergsteigerverein gegründet worden und hat deshalb bei Olympia nichts verloren.

"Wir spiegeln die Gesellschaft und nicht mehr nur die Sicht der Bergsteiger"

Was ist so problematisch daran, dass sich der DAV als Verein professionalisiert?

Berger: Nehmen wir den Hüttenreferent als Beispiel. Der ist nicht mehr ehrenamtlich, sondern hauptamtlich angestellt. Er sieht alles... (Berger kramt umständlich in der Hosentasche und holt seinen Geldbeutel hervor, den er dann vor sein Gesicht hält) durch diese Brille. Der arbeitet wie ein Wirtschaftsprüfer. Die Referenten früher haben sich noch für die Wirte eingesetzt, jetzt geht es nur um die Wirtschaftlichkeit.

Teply: Das ist schon sehr pauschal. Anreize müssen geschaffen werden, so läuft es eben. Es sollte aber nicht darum gehen, den Hüttenbetrieb zu maximieren. Sondern zum Beispiel darum, eine Hütte umweltverträglicher zu gestalten. Ein Hauptamtlicher kann sich viel tiefer in die Materie einarbeiten. Er wird dafür bezahlt. Ich denke, viele Sachen sind als Ehrenamtlicher inzwischen schwierig zu gewährleisten, weil sich die Erde einfach weiterdreht.

150 Jahre DAV: Lorenz Tepley beim abendlichen Biwak auf einer Alpendurchquerung.

Lorenz Tepley beim abendlichen Biwak auf einer Alpendurchquerung.

(Foto: Privat)

Aber wie wollen Sie diese Entwicklung aufhalten, Herr Berger?

Berger: Wir sollten uns als Verein viel stärker abgrenzen. Aber die Verantwortlichen tun jetzt alles, um mit dem Mainstream mithalten zu können.

Teply: Das find' ich schwierig. Wir sind als sehr mitgliedsstarker Verein repräsentativ - wir spiegeln die Gesellschaft und nicht mehr nur die Sicht der Bergsteiger.

Berger: Man kann aber nicht fragen, was die Mehrheit will. Das wäre populistisch. Wir müssen Ideen entwickeln und versuchen, dafür Mehrheiten zu gewinnen. Was wir heute brauchen, sind Bremsen und nicht noch mehr Angebote.

Was sollte der DAV zukünftig tun?

Berger: Der DAV sollte sich zurücknehmen und sich auf seine eigentlichen Aufgaben zurückbesinnen. Also die Bergwelt als Naturraum erhalten.

Teply: Es gibt wegen des Klimawandels auch immer mehr zu tun, der setzt der Infrastruktur in den Bergen jetzt schon zu. Natur- und Umweltschutz sollten insgesamt mehr gestärkt werden. Und noch ein Thema aus der Jugend: Wir wollen die Partizipation und Mitbestimmung vor allem der Ehrenamtlichen stärken.

Berger: Damit sind wir ja wieder beim Anfang der Diskussion.

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