Deutsche Meisterin im Luftgitarrespielen:Musik an, Hirn aus

19th Air Guitar World Championships in Oulu

Auf der Bühne ist Sabrina Schramm "Lady Liberty". Eine Kunstfigur, ein wildes Alter Ego. Privat ist die Marketing-Expertin zurückhaltend.

(Foto: dpa)

Jeder Akkord muss sitzen: Sabrina Schramm alias "Lady Liberty" ist Deutsche Meisterin im Luftgitarrespielen. Dabei vibriert sie am ganzen Körper, zuckt wild - und begeistert die Heavy-Metal-Fans.

Von Mirjam Wlodawer

Alle Männer versuchen es. Aber keiner kann es so gut wie Sabrina Schramm. Die 23-Jährige ist Deutsche Meisterin im Luftgitarrespielen. An diesem Abend ist sie Teil der Menge, die vor der Bühne, auf der die Band Striker spielt, in wilde Zuckungen verfällt und auf imaginäre Gitarrensaiten eindrischt. Die meisten Männer schlagen kraftvoll, zugleich aber ziemlich unkoordiniert auf ihr unsichtbares Instrument. Dazu nicken sie monoton mit dem Kopf.

Sabrina Schramms Spiel auf der Luftgitarre gleicht hingegen einem aggressiven Tanz. Sie schleudert ihr schwarzes Haar in die Luft, greift gleichzeitig einen Akkord, rutscht mit ihren Fingern den imaginären Bund der Gitarre entlang. Ihr Körper scheint zu vibrieren und dem Rhythmus der Musik zu folgen, während ihre Beine schon zum Sprung ansetzen. Neben ihr misslingt einem Mann der Versuch, es ihr gleichzutun. Er hat seine Krücke als Instrumentenersatz geschnappt und drischt auf sie ein, als handle es sich um eine besonders robuste E-Gitarre.

Das Lied ist zu Ende, Sabrina Schramm grinst. Auf ihrer Stirn glänzen feine Schweißtropfen, ihr langes schwarzes Haar ist zerzaust, die goldene Kette um ihren Hals ist beim Tanzen zerbrochen. "Das ist mir in Finnland dauernd passiert", sagt sie und versucht die Glieder der Metallkette wieder zusammenzufügen. Wenige Wochen ist es her, da stand Sabrina Schramm dort auf der Bühne. In der finnischen Großstadt Oulu. Vor 7000 Menschen. Als Deutsche Meisterin im Luftgitarrespielen war die 23-Jährige zur Weltmeisterschaft eingeladen worden: 1,80 Meter groß, füllige Figur, die rauchige Stimme einer Rockerin - auf der Bühne ist Schramm "Lady Liberty". Eine Kunstfigur, ein wildes Alter Ego, gehüllt in eine Amerika-Flagge.

"Das Bekloppteste, was es in München gibt"

Vor einem Jahr erst verwandelte sich die Marketing-Expertin in "Lady Liberty". Im Münchner Club Backstage entdeckte sie damals ein Plakat, auf dem die bayerische Meisterschaft der Luftgitarre angekündigt wurde. "Das ist das Bekloppteste, was es in München gibt, habe ich gedacht", sagt Schramm. Doch sie gewann auf Anhieb. Mit 20 Freunden reiste sie im April in einem Kleinbus zur Deutschen Meisterschaft nach Koblenz - und gewann erneut. Ein paar Monate später kam dann die Einladung zur Weltmeisterschaft im finnischen Oulu.

Die Nacht vor ihrem Auftritt hatte Sabrina Schramm durchgefeiert. "Windhammer", "The Bandit" oder "The Destroyer" hießen die anderen Luftgitarristen, die aus aller Welt angereist waren, um den Titel zu holen. Wo so viele verrückte Leute aufeinander treffen, darf der Spaß nicht zu kurz kommen. Kurz vor dem Auftritt dann doch Nervosität.

"Eigentlich mache ich mir sehr oft darüber Gedanken, was andere denken", sagt Schramm. Auf der Bühne ist sie ein Orkan, privat auch eine verletzliche junge Frau. Weil sie Angst vor Ablehnung und dummen Sprüchen hatte, verheimlichte sie ihr Hobby lange Zeit. Erst als sie für die Weltmeisterschaft in Oulu Extra-Urlaub nehmen musste, erzählte sie ihren Kollegen in der Marketingabteilung, dass sie Luftgitarre spielt.

"Musik an, Hirn aus"

Luftgitarre hat für Schramm viel mit Freiheit zu tun. Sich von dem zu befreien, was andere von einem denken. "Musik an, Hirn aus", sagt sie und grinst. Nur leider funktioniert das nicht immer. Als in Oulu Fernsehteams auf Sabrina Schramm zustürmten, um sie zu interviewen und mehrere Tausend Zuschauer auf ihren Auftritt warteten, da hätte sie am liebsten einen Rückzieher gemacht. Ein paar tröstende Worte von den Konkurrenten, ein paar Arme, die sich beruhigend um sie legten - schon ging es raus auf die Bühne.

"Sabrina hat eine extreme Präsenz. Ihre Energie kann einen echt umhauen", sagt Mathias Mertens. Der Medienwissenschaftler richtet die Deutsche Meisterschaft der Luftgitarre aus und veranstaltet sogar Uni-Seminare zu diesem Thema. Der Experte weiß: Als die Gitarre von 1957 an in der Rock 'n' Roll-Musik immer mehr als Soloinstrument in Erscheinung trat, fühlten sich viele Sänger dazu animiert, das Gitarrenspiel auch optisch zu imitieren. Elvis Presley, der King of Rock 'n' Roll, soll, so heißt es, einer der ersten Luftgitarristen gewesen sein.

Auf der Bühne im Backstage zelebriert an diesem Abend die kanadische Band Striker trashigen Achtzigerjahre-Heavy-Metal. Langhaarige Jungs mit nacktem Oberkörper und engen Polyesterleggins röhren und kreischen in die Mikrofone, als ginge es darum, noch vor Ende des Konzerts die Stimme zu verlieren. Das Lied "We don't play by the rules" war in Oulu Sabrina Schramms Wettkampflied. Um das Gitarrenspiel möglichst realistisch zu imitieren, hat sie wochenlang Konzertmitschnitte von Striker auf Youtube studiert.

Jeder Griff, jeder Akkord muss stimmen

Luftgitarristen wie Sabrina Schramm wollen nicht einfach nur wild in der Luft rumfuchteln. Sie wollen bei den Zuschauern die Illusion erzeugen, sie hielten eine echte Gitarre in der Hand. Dafür muss jeder Griff, jeder Akkord, den der Luftgitarrist greift, mit dem Gitarrensolo in der Musik übereinstimmen. Erst dann ist die Illusion perfekt. Tagelang studierte die 23-Jährige diese Videos. Denn wenn Striker-Gitarrist Chris Segger auf seiner Gitarre einen C-Akkord anschlägt, dann muss auch Sabrina Schramm ihren Zeigefinger auf den ersten Bund, ihren Mittelfinger auf den zweiten Bund und ihren Ringfinger auf den dritten imaginären Bund ihrer Luftgitarre legen. Technische Präzision und große Posen.

Wochenlang übte Schramm im Wohnzimmer ihrer kleinen Obermenzinger Wohnung für den großen Auftritt. Sie drehte die Musik laut, warf die Haare aggressiv in die Luft und rutschte auf den Knien herum, bis diese mit grünen und blauen Flecken übersät waren. Für die WM sollte jede Pose sitzen.

"Luftgitarre auf der Bühne zu spielen hat nichts Spontanes mehr. Das ist eine einstudierte Choreografie, eine Performancekunst", erklärt Mathias Mertens. Es ärgert den Medienwissenschaftler, wenn der professionelle Charakter dieser Auftritte verkannt und gespöttelt wird, Luftgitarristen seien einfach nur zu blöd, um Gitarre zu spielen.

60 Sekunden Zeit hat man, um zu überzeugen

Dass aus dem Spiel auf der Luftgitarre mehr wurde als eine spontane Reaktion auf Musik, ist letzten Endes drei finnischen Studenten zu verdanken. 1996 kamen sie auf die Idee, am Rande eines Musikfestivals in Oulu die erste Weltmeisterschaft der Luftgitarre auszurufen. Vorbeieilende Festivalbesucher ließen sich überreden, an dem ungewöhnlichen Wettbewerb teilzunehmen. Weil jede Weltmeisterschaft ein Punktesystem braucht, wendeten die drei Studenten einfach das Punktesystem des Eiskunstlaufes an. Seitdem kann jeder Luftgitarrist pro Auftritt 4,0 bis 6,0 Punkte sammeln. 60 Sekunden Zeit hat er, um die Jury von seinem Talent zu überzeugen.

Neben technischer Präzision werden Bühnenpräsenz und Airness bewertet. "Das ist so etwas wie die künstlerische Ausdruckskraft des Luftgitarristen", erklärt Mathias Mertens. Sabrina Schramm bringe viel davon mit. "Sie spielt nicht einfach zur Musik, sondern die Musik geht durch sie durch", sagt Mertens.

Aggressiv und selbstbewusst schlägt sie die Saiten

Als Sabrina Schramm in Oulu als "Lady Liberty" die Bühne betrat , merkte man ihr die Nervosität und die durchwachte Nacht nicht an. Aggressiv und selbstbewusst schlug sie mit großen Gesten auf die Gitarrensaiten ein. So wie es sich für eine Heavy-Metal-Gitarristin gehört.

Dann wieder zupfte sie einzelne Akkorde behutsam und präzise mit ihren Fingerspitzen, während die schwarzen Haare wild um ihren Kopf rotierten: grimmige Miene während der Performance. Ein erleichtertes und ein wenig ungläubiges Lächeln ins Publikum, als alles vorbei ist. Mit 31 Punkte wird "Lady Liberty" Neunte der Luftgitarrenweltmeisterschaft. Immerhin.

"Um Luftgitarre spielen zu können, muss man sich in der Musik verlieren können", sagt Sabrina Schramm. Gerade das sei aber das Schwierigste, wenn man oben auf der Bühne stehe und so viele Augenpaare auf einen gerichtet seien. Wenn es einem trotzdem gelinge, sich ganz auf die Musik zu konzentrieren und alles andere auszublenden, sei das der schönste Moment. "60 Sekunden Rumgehampel und dann blickt man auf und 7000 Leute grinsen einen an. Das ist einfach unglaublich!"

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