U-Bahn-Ausbau:Deutsche Bahn setzt München massiv unter Druck

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So stellen sich die Planer den Bahnhof am Hauptbahnhof für die neue Linie U9 vor. (Foto: MVG)

Das Staatsunternehmen kündigt eine mögliche Forderung über 700 Millionen Euro an, falls die Stadt die U9 streicht. Es geht um die zweite S-Bahn-Stammstrecke. Der Stadtrat steckt in einer Zwickmühle.

Von Heiner Effern, Klaus Ott und Andreas Schubert

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ist, wegen des Desasters bei der zweiten Stammstrecke der S-Bahn, auf den Vorstand der Deutschen Bahn (DB) nicht gut zu sprechen. Jetzt könnte sich das ohnehin angespannte Verhältnis noch weiter verschlechtern. Denn das Staatsunternehmen DB setzt die Stadt beim Ausbau des Nahverkehrs in München massiv unter Druck. Sollte der Stadtrat die geplante U9 streichen, dann hätte das nach Angaben der Bahn erhebliche Konsequenzen für den Bau der zweiten Stammstrecke. Der Stadtrat will an diesem Mittwoch die Weichen für die U9 stellen.

Die zweite Stammstrecke, die bereits viel teurer und viel später fertig wird als zuletzt geplant, würde sich ohne U9 weiter "verzögern und verteuern". Das teilte die Bahn auf Anfrage der SZ mit. Bei der Stadt, so wiederum deren Angaben, hat die Bahn bereits "mögliche Forderungen von rund 700 Mio. Euro angemeldet". Und zwar für den Fall, dass die Stadt die geplante Haltestelle der U9 am Hauptbahnhof nicht errichtet. Diese Haltestelle der U9 ist Teil der aktuellen Planung für die zweite Stammstrecke.

(Foto: MVG)

"Mit einer Ablehnung der U9 wäre ein großer Aufwand für eine erneute Umplanung am Hauptbahnhof verbunden", erklärte die Bahn auf die SZ-Anfrage. Die beiden Projekte, die U9 und die zweite Stammstrecke, sind am Hauptbahnhof eng miteinander verbunden. Das eine Projekt hängt vom anderen ab, und umgekehrt. Dass die Bahn der Stadt bei einer Absage an die U9 700 Millionen Euro in Rechnung stellen könnte, das hat die Stadtkämmerei dem Stadtrat in einer Vorlage für die Sitzung an diesem Mittwoch mitgeteilt.

Die Stadt nimmt die Drohung der Bahn sehr ernst

Nach Ansicht der von Christoph Frey (SPD) geleiteten Stadtkämmerei gibt es gegen "mögliche Zahlungsforderungen der DB" überzeugende Gegenargumente. Die Stadtkämmerei verweist in ihrer Vorlage für den Stadtrat auf ein entsprechendes Rechtsgutachten. Dass es überhaupt schon ein solches Gutachten gibt, dokumentiert, wie ernst die Stadt die Drohung der Bahn nimmt und wie ernst die Lage ist.

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Der Stadtrat kommt durch die Drohung der Bahn noch mehr in die Zwickmühle. Die um die Münchner Finanzen sehr besorgte Stadtkämmerei fordert das Stadtparlament auf, die mit 560 Millionen Euro kalkulierte Haltestelle der U9 am Hauptbahnhof nicht zu bauen. Formal geht es jetzt im Stadtrat nur um diese Haltestelle, tatsächlich aber um die ganze U9 quer durch die Innenstadt. Die neue U-Bahn soll irgendwann im nächsten Jahrzehnt für mehr Entlastung beim Verkehr sorgen. Bei einer Absage an die Haltestelle am Hauptbahnhof wäre aber das ganze Projekt hinfällig.

Trotz der Warnung des Kämmerers, sozusagen des städtischen Finanzministers, vor nicht verkraftbaren Schulden zeichnet sich eine Mehrheit für die U9 ab. Die grün-rote Koalition und Oberbürgermeister Dieter Reiter befürworten die neue Linie ebenso wie die dritte große Fraktion, die CSU. Abzuwarten bleibt aber, wie Grüne, SPD und CSU auf die Drohung der Bahn reagieren. Und welche Wirkung der Appell der Stadtkämmerei hat.

Sollte der Stadtrat das Geld für die Haltestelle der U9 am Hauptbahnhof nicht freigeben, dann schließt sich das Zeitfenster für den Ausbau der Münchner U-Bahn gleich für mehrere Jahrzehnte. Umgekehrt besteht das Risiko, dass der Stadt mangels Fördermittel des Bundes das Geld für die auf bis zu zehn Milliarden Euro kalkulierte U9 ausgeht. Die 560 Millionen Euro für die Haltestelle der U9 am Hauptbahnhof wären dann verschwendetes Geld.

OB Reiter sagt, es gebe "unzweifelhaft ein finanzielles Restrisiko"

OB Reiter steht jedenfalls zum Bau der U9. Der Kämmerer habe, wie es seine Aufgabe sei, zu den finanziellen Risiken ausführlich Stellung genommen. "Auf diese Risiken habe ich selbst im Vorfeld der Entscheidung hingewiesen", erklärt Reiter. Der OB räumt ein, dass es "unzweifelhaft ein finanzielles Restrisiko" gebe, was eine ausreichende Finanzierung durch Bund und Land betreffe. Trotzdem werde er "nach intensiver Abwägung von Chancen und Risiken" für den vorsorglichen Bau der Haltestelle der U9 am Hauptbahnhof stimmen.

Reiter geht es nach seinen Worten darum, "nicht jetzt schon ein zukunftsfähiges U-Bahnnetz mit der U9 zu verhindern". Wenn die Stadt gemeinsam mit Bund und Land ernsthaft eine Verkehrswende wolle, müssten Projekte wie die U9 und die zweite S-Bahn-Stammstrecke "verwirklicht und gemeinsam finanziert werden". Die Grünen wiederum schieben die Schuld an dem Dilemma auf Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Wissing drücke sich "beharrlich vor einer verlässlichen Aussage" über einen Zuschuss des Bundes.

Mona Fuchs, Sprecherin der Fraktion Grünen/Rosa Liste, bezeichnet die U9 als unabdingbar für eine Verkehrswende. "Wir sind überzeugt, dass die Bundesregierung mittelfristig nicht darum herumkommt, die U9 gemeinsam mit dem Freistaat anteilig zu fördern." Verkehrsminister Wissing "sollte schleunigst seine Hausaufgaben machen". Auch Nikolaus Gradl, verkehrspolitischer Sprecher der SPD/Volt-Fraktion, drängt auf ein Votum für die U9. Die bestehenden Linien der U-Bahn seien "gerade in den Hauptverkehrszeiten am Limit". Wirkliche Entlastung in der Innenstadt werde nur eine neue Nord-Süd-Verbindung über den Hauptbahnhof bringen.

Auch die Christsozialen bleiben bei ihrem Ja für die U9. "Wer von Verkehrswende spricht, muss zuerst an die U-Bahn denken, sie ist das Rückgrat des MVG-Netzes", sagt Fraktionschef Manuel Pretzl. "Der Bau der U9 ist die wichtigste Investition in unser zukünftiges Verkehrsnetz. Es war nie geplant, dass die Stadt sie alleine finanziert." Wer die Verkehrswende wolle, müsse jetzt "das Geld in die Hand nehmen", fordert Pretzl. Dagegen stimmen will die Fraktion Linke/Die Partei. "Wir lassen uns von der Bahn nicht erpressen", sagte Fraktionssprecher Stefan Jagel.

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