Design:Ring-Recycling

Design: Neue Ringe, geschmiedet aus dem Gold, das sich Oma und Opa vor Jahrzehnten über die Finger schoben, das ist eine von Judith Lorenz' Schmuckgeschichten.

Neue Ringe, geschmiedet aus dem Gold, das sich Oma und Opa vor Jahrzehnten über die Finger schoben, das ist eine von Judith Lorenz' Schmuckgeschichten.

(Foto: Robert Haas)

Zum Dahinschmelzen - Goldschmiedemeisterin Judith Lorenz hat sich in ihrer Werkstatt darauf spezialisiert, aus altem Schmuck neuen zu machen

Von Jan Schwenkenbecher

Auf dem Glasteller liegen: zwei Ringe, eine Brosche, eine Kette. Alles Altgold. Ein Kundenauftrag. Goldschmiedemeisterin Judith Lorenz schreitet zur Tat. Sie rubbelt den Schmuck an einem Schieferplättchen auf, dann kippt sie verschiedene "Probiersäuren" über den schwarzen Stein, die unterschiedlich reagieren, je nach Goldgehalt. "Ich prüfe immer erst mal, ob auch drinnen ist, was drauf steht", sagt Lorenz. Sie meint die Legierung. Denn später, wenn sie alles zersägt hat, darf sie nur Gleiches mit Gleichem zusammenschmelzen - um neue Ringe daraus zu gießen.

Wenn die Kunden kommen, haben sie oft schon Gold dabei, wenn sie gehen, nehmen sie dasselbe Gold wieder mit. Nur eben in anderer Form. Neue Ringe aus altem Gold, das ist Lorenz' Kerngeschäft. Und es läuft. Neu ist die Idee nicht, aber Lorenz ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Im Glockenbach-Viertel ist es bereits dunkel, Menschen eilen über die Gehwege, haben die Kapuzen auf- und die Reißverschlüsse zugezogen. Regen nieselt. Die meisten haben Feierabend, und genau deswegen ist Lorenz noch da. Ihre Werkstatt, ihr Laden, "Skusa Schmuckgeschichten", liegt in einem Hinterhof, etwas versteckt durch einen Feigenbaum. Drinnen bollert ein Ofen. Die 38-jährige Judith Lorenz, Mädchenname Skusa, wuselt an der hölzernen Werkbank auf und ab, walzt, zieht, staucht, schnitzt, gießt. Schmiedet Ringe und Ketten. Oder, um in ihrer Sprache zu bleiben: Schmuckgeschichten. Was etwas arg pathetisch klingt. Aber wenn dann am Ende zwei neue Ringe da liegen, geschmiedet aus dem Gold, das sich Oma und Opa vor Jahrzehnten über die Finger schoben, als sie sich gegenseitig Treue für den Rest ihrer Leben versprachen, hört sich "Geschichte" plötzlich gar nicht mal so falsch an.

Auch den Kunden scheint Lorenz' Schmuckgeschichte zu gefallen - was bei ihr so klingt: "Heute bin ich soweit, dass ich an meinen freien Tagen auch meistens wirklich nicht rein komme."

Der Markt wächst, auch weil mehr Paare heiraten. 2015 lag die Zahl der geschlossenen Ehen in Deutschland zum ersten Mal seit 2000 wieder bei mehr als 400 000. Doch dass immer mehr Leute zu ihr kämen, liege daran, sagt Lorenz, dass sie "wissen wollen, woher das kommt". Und wo wüsste man das besser, als wenn man den Rohstoff selbst liefert. Lorenz liegt da im Trend: Nicht mehr Fairtrade, sondern Recycling ist in. Statt gutem, gar keinen Konsum. Und Qualität sticht Preis - gut ist jetzt geil. Und auch wenn Lorenz nicht "craft-jewellery" verkauft, sondern handgemachte Schmuckgeschichten, sieht der Kunde bei ihr genau das, was er heute sehen möchte, wenn er einen Laden betritt: ihre vom Staub geschwärzten Finger. Sie macht den Job, einfach "weil er mir Spaß macht" und "weil mir Schmuck gefällt".

Wie lange sie schon schmiedet? Lorenz steht auf, geht hinter die Werkbank, schaut an der Rückseite des Raums auf eine Pinnwand, sagt "da". Auf dem Rahmen stehen mit Kuli geschriebene Jahreszahlen. Los geht es mit "A 2008", A wie August. Bis 2011 sind die Zahlen blau, ab 2012 schwarz. Da kam sie ins Glockenbach, in den Hinterhof.

In München ist sie schon länger, 1999 zog sie zum BWL-Studium von Böblingen an die Isar, unterrichtete nach der Uni an einer Wirtschaftsschule. "Was nicht unbedingt ein Glücksgriff war", sagt Lorenz. Nach einem Halbjahr ging sie wieder. Wobei sie sich dazu entschloss, nicht nur die Schule, sondern auch den Beruf zu wechseln. Nur wohin, das war damals die Frage. Heute sagt sie: "Ich habe versucht zu überlegen, was ich eigentlich machen will."Damals probierte sie einfach verschiedene Berufe aus. Sie begann ein Praktikum beim Radio, schmiss es nach einer Woche. Probierte es in einer Werbeagentur, was auch nichts war. Dann begann sie ein Praktikum in einer Goldschmiede. Wieso? "Ich glaube, ich war mit 18 mal in so einer Werkstatt, und das hatte ich irgendwie noch positiv in Erinnerung." Das Praktikum begann, nach dem ersten Löten habe sie gewusst: "Das ist es." Dann folgten drei Jahre Ausbildung, von A 2008 an arbeitete sie zunächst in einer Werkstattgemeinschaft im Westend, machte nebenbei die Meisterprüfung. 2012 zog sie dann - mit neuem Kugel- schreiber - ins Glockenbach-Viertel. Am Anfang sei es ihr noch schwer gefallen, Kunden in ihren Hinterhof zu locken. Aber heute, nach ungefähr fünf Jahren, "ist es so, dass ich sagen kann, jetzt gibt es viel zu tun."

Doch obwohl es der Markt war, der auf sie zukam, nicht umgekehrt, weiß Lorenz, gebührend mit ihm umzugehen. Auf ihrer Webseite sind viele große Bilder, alles ist kleingeschrieben, die Kollektionen heißen "Blütenzauber", "Tautropfen" oder "Ringspiel". Im Laden, wo nahezu alles aus Holz ist, serviert Lorenz jedem Kunden erst mal einen Milchkaffee. Mit viel Schaum. Sie passt damit gut in die Peripherie des Gärtnerplatzes, wo man ja auch ziemlich gut faire Klamotten und viele verschiedene Sorten Gin kaufen kann. Sie hat halt auch BWL studiert.

Ein Mann kommt rein, Anfang 30, blonder, aber nicht allzu aufdringlicher Undercut. Man grüßt. Er holt ein Schmuckstück ab, wünscht beim Gehen einen schönen Feierabend. "Tschüss", sagt Lorenz, und geht wieder hinter die Werkbank. Sie hat noch zu tun.

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