Der Weg zur eigenen Immobilie (1):Kaufen oder mieten?

Die Schlüsselfrage der privaten Altersvorsorge ist nicht einfach zu beantworten. Kühl rechnen hilft, löst aber nicht alle Rätsel.

Catherine Hoffmann

Die meisten Deutschen möchten sich im Laufe ihres Lebens einen ganz bestimmten Wunsch erfüllen: Sie wollen ein Haus oder eine Wohnung ihr Eigen nennen. Leicht zu realisieren ist dieses Vorhaben nicht, das machen schon allein die Zahlen deutlich: Obwohl 85 Prozent der Bundesbürger statt zur Miete lieber im Eigenheim leben würden, wohnen nur 42 Prozent in den eigenen vier Wänden. Viele potentielle Käufer schreckt die hohe finanzielle Belastung ab, denn ohne einen Kredit aufzunehmen, können sich die wenigsten eine Wohnung oder gar ein Haus leisten.

Die Wirtschaftskrise und die damit verbundene Jobunsicherheit machen die Entscheidung nicht einfacher - einerseits. Andererseits sind die Zinsen als Folge des globalen Finanzdebakels außerordentlich niedrig. Das mache Immobilien zu einer attraktiven Geldanlage, glauben die Autoren der Zeitschrift Finanztest. Wer genug Kapital habe, solle es jetzt in ein Eigenheim investieren, rät die von der Stiftung Warentest herausgegebene Zeitschrift in ihrer jüngsten Ausgabe. Der Kauf eines Hauses oder einer Wohnung komme Verbraucher in vielen Fällen günstiger als das Mieten - das zeigten Modellrechnungen für 65 bis 80 Quadratmeter große Objekte in 45 deutschen Städten. Ob sich eine Eigentumswohnung als Kapitalanlage lohnt, können Verbraucher mit Hilfe eines Programms im Internet selbst ausrechnen (www.test.de/immorendite).

Vorteil für Eigenheimbesitzer

Wer eine Immobilie kauft, betrachtet die Anschaffung meist als wichtigen Baustein seiner privaten Altersvorsorge, und er freut sich bestimmt, "etwas Eigenes" zu haben. Doch steht ein Käufer finanziell wirklich besser da als ein Mieter? Einfache Antworten gibt es auf die Frage nicht, die Rechnung ist kompliziert. Das Ergebnis hängt vor allem von den Ersparnissen und dem Zinssatz für die Finanzierung ab. Die angenommene Wertsteigerung einer selbst genutzten Immobilie spielt ebenso hinein wie im Falle des Mieters die Renditeaussichten auf dem Kapitalmarkt, schließlich kann er sein Vermögen in Aktien oder Anleihen stecken, wenn er keine Immobilie kauft. Eine große Rolle spielt auch der Faktor Zeit. In der Regel gilt dabei: In den ersten Jahren zahlen Bauherren und Hauskäufer mehr als Mieter. Auf lange Sicht haben meist die Eigenheimbesitzer die Nase vorn.

Wer herausfinden will, ob es besser ist, ein Eigenheim zu erwerben oder zur Miete zu wohnen, kommt um ein wenig Rechenarbeit also nicht herum. Tom Friess, Geschäftsleiter des VZ Vermögenszentrums in München, erklärt an einem Beispiel, wie es geht. In seiner Modellrechnung leben Käufer und Mieter in der gleichen Wohnung, beide starten mit 91.000 Euro Eigenkapital. Der Käufer zahlt für ein 75 Quadratmeter großes Appartement 302.000 Euro - einschließlich Nebenkosten für Makler, Grunderwerbsteuer und Notar. Der Wert der Wohnung soll jährlich um 0,5 Prozent steigen. Zur Finanzierung wird ein Darlehen von 211.000 Euro benötigt, das anfangs mit 1,5 Prozent getilgt wird und für das 4,7 Prozent Zinsen fällig werden. Um die Wohnung in Schuss zu halten und Nebenkosten zu begleichen, werden jährlich noch einmal 4200 Euro fällig, die Jahr für Jahr um zwei Prozent steigen, das ist die angenommene Inflationsrate.

Der Mieter dagegen zahlt 14 Euro Kaltmiete je Quadratmeter plus Nebenkosten, im ersten Jahr also 1260 Euro im Monat. Die Kaltmiete steigt um 1,5 Prozent jährlich, die Nebenkosten nehmen um zwei Prozent zu. Seine Ersparnisse legt der Mieter am Finanzmarkt an, ohne allzu große Risiken einzugehen, und bekommt dafür vier Prozent Zinsen. "Selbst unter dieser konservativen Annahme fährt der Mieter in den ersten 27 Jahren besser als der Käufer", sagt Friess.

Oft ist der Mieter im Vorteil - theoretisch

Das heißt konkret: Wenn er heute seine Wohnung kaufen und innerhalb der nächsten 27 Jahre verkaufen würde, hätte der Mieter ein höheres Nettovermögen als der Eigenheimbesitzer. Erst nach 28 Jahren dreht sich die Situation zu Gunsten des Käufers. Oder anders dargestellt: Nach 20 Jahren besäße der Käufer ein Nettovermögen von 200.000 Euro, der Mieter dagegen 22.000 Euro mehr. Zehn Jahre später sieht es anders aus: Dann gehörten dem Käufer bereits 314.000 Euro, dem Mieter aber nur 301.000 Euro.

Ausdauer nötig

Das Beispiel zeigt: Zum Immobilienkauf braucht es einen langen Atem. Und so eine Rechnung hat viele Stellschrauben. Wird beispielsweise eine höhere langfristige Kapitalmarktrendite von sieben Prozent unterstellt und eine üppigere Wertsteigerung der Immobilie von drei Prozent jährlich, so liegt der Mieter schon bald uneinholbar vorn. Nach 50 Jahren könnte er auf ein Vermögen von gut zwei Millionen Euro blicken, der Wohnungskäufer dagegen nur auf 1,2 Millionen Euro. Die eigenen vier Wände sind eben nicht unter allen Umständen die lukrativste Lösung. Allerdings sind so langfristige Rechnungen mit großer Unsicherheit behaftet.

"Solche Modellrechnungen sind völlig realitätsfern", kritisiert Reiner Braun vom Berliner Wirtschaftsforschungsunternehmen Empirica die Kalkulationen. "Es handelt sich um eine aus dem Lebenszusammenhang herausgerissene, rein finanzmathematische Operation." Tatsächlich gehe es nicht nur um die Frage, wie rentabel ein gegebenes Eigenkapital angelegt werden kann, sondern auch um das Sparverhalten der Menschen. Empirische Untersuchungen zeigten, dass Familien, die ein Eigenheim anstreben, im Durchschnitt mehr sparen als Mieterhaushalte.

In den vergleichenden Modellrechnungen wird aber angenommen, dass die Mieter die Differenz zwischen den laufenden Mietzahlungen und dem Kapitaldienst, den sie als Käufer ihrer Wohnung leisten müssten, sparen. Genau das tun sie aber nicht. Die Wohneigentümer sparen in der Praxis mehr - nicht nur, weil sie brav ihren Kredit zurückzahlen, sondern auch, weil sie darüber hinaus noch Rücklagen bilden. Eigenheimbesitzer haben schlichtweg eine deutlich höhere Sparquote und sammeln deshalb ein wesentlich größeres Vermögen an als vergleichbare Mieterhaushalte.

Realitätsferne Beispielrechnungen?

"Mieter tun nicht, was die Beispielrechnungen gerne hätten", resümiert Forscher Braun. "Immer, wenn sie ein bisschen Geld gespart haben, lassen sie sich verführen, kaufen ein Auto, richten das Wohnzimmer neu ein oder machen einen teuren Urlaub." Dann ist das Geld wieder weg.

Wer sich also die Mühe macht, mit spitzem Bleistift zu kalkulieren, ob er dem Kauf oder der Miete den Vorzug geben will, der sollte auch sein Gewissen befragen, ob er bereit ist, diszipliniert zu sparen. Oder gleich eine Bauchentscheidung treffen. Das ist auch deshalb nicht verkehrt, weil die Entscheidung fürs Eigenheim oder die Mietwohnung ja nicht zuletzt auch eine emotionale ist: Womit fühle ich mich wohler?

Auch wenn auf den ersten Blick die Zahlen für ein Eigenheim sprechen, kann die Mietwohnung die bessere Wahl sein - etwa für alle, die nicht ausschließen wollen, aus beruflichen oder privaten Gründen bald wieder umzuziehen, die nicht wissen, wie groß ihr Haushalt in fünf Jahren sein wird oder im Zweifel sind, wie sicher ihr Job ist.

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