Der Fall Dominik Brunner:Schreie wie von einem Tier

"Fuck, Fuck, Fuck": Eine Tonbandaufnahme dokumentiert den tödlichen Angriff auf Dominik Brunner in München-Solln. Den 17-jährigen Sebastian L. könnte dies entlasten.

Susi Wimmer und Hans Holzhaider

Allein die Vorstellung ist schon bedrückend: Dominik Brunner wird am S-Bahnhof in Solln niedergeschlagen, man prügelt so lange auf ihn ein, bis er stirbt. Und während der Minuten der grausamen Tat ist ein Handy eingeschaltet, verbunden mit der Einsatzzentrale der Polizei, und ein Beamter hört die ganze Zeit mit.

Eine Tatsache, die Polizei und Staatsanwaltschaft bisher verschwiegen haben. Es war nur allgemein von Telefonaten die Rede, die man auswerten müsse. Welche Bedeutung dem Handymitschnitt als Beweismittel zukommt, ist noch unklar. Das entsprechende Phonetik-Gutachten liegt der Staatsanwaltschaft noch nicht vor.

Dass es neben den Augenzeugen der Tat vom 12. September am Sollner Bahnhof auch ein Tondokument gibt, das kam nebenbei heraus. Im momentan laufenden Prozess um die Entführung von Ursula Herrmann sagte eine Phonetik-Expertin des Landeskriminalamtes aus. Und um zu verdeutlichen, dass das menschliche Ohr bei der Analyse von Tonaufzeichnungen oft mehr leisten kann als technische Geräte, führte sie das Beispiel von Solln an.

Brunner selbst benutzte das Handy

Hier seien genau die entscheidenden Minuten aufgezeichnet, man höre fünf oder sechs Stimmen so durcheinander schreien, dass man auf Anhieb erst einmal gar nichts verstehen würde. Man müsse sich dann in mehreren Durchläufen zuerst auf die eine, dann auf die nächste Stimme und so weiter konzentrieren. Dann gelinge es doch, die Worte oder Satzfetzen zu verstehen.

Die Bild-Zeitung zitiert einen Ermittler: Man höre auf dem Band einen schreienden Täter, höchstwahrscheinlich Markus S. Er würde schreien wie ein Tier und man höre, dass geschlagen wird. Die Bild schreibt: "Der Schläger ruft immer wieder 'Motherfucker' und 'Fuck, Fuck, Fuck'."

Wie dieses Tondokument zustande kam, ist noch unklar. Nach Auskunft von Oberstaatsanwalt Hajo Tacke hatte Dominik Brunner das Handy dabei. "Er hat es benutzt, ob es ihm gehört hat, kann ich nicht sagen." Brunner hatte an jenem Tag um 16:05 Uhr von der S-Bahn aus den ersten Notruf abgesetzt und der Polizei ganz ruhig erklärt, dass Kinder bedroht würden, es gehe um Diebstahl.

Ob er dann beim Aussteigen aus der S-Bahn um 16:09 Uhr erneut den Notruf gewählt hatte oder ob während der Schlägerei versehentlich die Wahlwiederholung betätigt wurde, kann Tacke nicht sagen. Das LKA-Gutachten ist nun fertiggestellt, so Tacke, es liege aber noch nicht vor. Die Relevanz des Tondokumentes werde sich erst am Ende des Ermittlungsverfahrens herausstellen. In vier Wochen, so schätzt Tacke, sei die Anklage fertig.

Angelika Braun, Professorin für Phonetik mit Schwerpunkt forensischer Phonetik, schätzt Tondokumente als "doch recht zuverlässige" Beweismittel ein. Anders als bei Aussagen von Zeugen oder Opfern, die sich vielleicht nicht mehr genau erinnern, könne das Tonband "beliebig oft" abgehört werden.

Tondokumente "doch recht zuverlässig"

Und genau das macht die ehemalige Gutachterin des Bundeskriminalamtes: Immer und immer wieder spielt sie das Beweismittel ab. Mal im Ganzen, mal stückweise. Ob es sich um einen Voice-Rekorder handelt, der nach einem Flugzeugabsturz gesichert wird, oder um die Stimmen von Entführern, wie im Fall Reemtsma 1996.

"Wer hat was, wann zu wem gesagt", derartige Fragen, so Braun, seien wichtig, um den Tatverlauf genau rekonstruieren zu können. Man könne auf derartigen Tonbändern im Millisekundenbereich arbeiten, hören, wann eine Flasche zerschlagen wird oder ein Messer in eine Textilie eindringt. Bei einem Handymitschnitt, sagt sie, seien die Frequenzen im Vergleich zum Live-Gespräch natürlich eingeschränkt, es gebe Verzerrungen oder Signalausfälle.

Für den 17-jährigen Sebastian L. könnte das Dokument eine entscheidende Rolle spielen. Er soll den mutmaßlichen Haupttäter Markus Sch., 18, von dem am Boden liegenden Opfer weggezogen haben. In diesem Fall würde der Handymitschnitt einen der Täter entlasten.

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