Der Fall Cornelius Gurlitt:Ein später Blick in rechtsstaatliche Abgründe

SZ-Leserinnen und Leser äußern Kritik an der fragwürdigen Bilder-Beschlagnahme von 2012 und am unfairen Rückerstattungs-Gesetz

Der Fall Cornelius Gurlitt: In der Wohnung des Cornelius Gurlitt in München wurde 2012 ein Bilder-Schatz beschlagnahmt. Möglicherweise war die Justizaktion ein Unrecht.

In der Wohnung des Cornelius Gurlitt in München wurde 2012 ein Bilder-Schatz beschlagnahmt. Möglicherweise war die Justizaktion ein Unrecht.

(Foto: Stephan Rumpf)

Interview "Ein Stück Willkürstaat" und "Causa Gurlitt neu aufrollen" vom 31. März sowie "Plünderern auf der Spur" vom 14. April:

Ermutigende Anwaltsarbeit

Staatliche Willkür und damit Beugung des Rechtsstaates gefährden die Demokratie und untergraben den Glauben an diese. Jeder, der sich dafür einsetzt, dass diese aufgedeckt werden und den Opfern womöglich späte Gerechtigkeit widerfährt, trägt zum Erhalt von Demokratie und der Zivilgesellschaft bei. Solche Fälle kann man unter anderem bei Lion Feuchtwanger oder Thomas Mann dann in exzellenter literarischer Umsetzung finden - dauert nur länger.

Ein solcher Akt des Versuches der Rehabilitation - in diesem Fall von Cornelius Gurlitt - kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, und ich danke dem Rechtsanwalt Dr. Johannes Wasmuth für die große Mühe und Arbeit, die er auf sich genommen hat. Das macht Mut und Hoffnung. Claudia Baumhöver, München

Schaden auch für München

Schade um ein verpasstes Gurlitt-Museum in München! Bei der Lektüre des spannenden Interviews mit dem Juristen Johannes Wasmuth kamen einige Fragen in mir hoch: Kann es sein, dass ein Staatsanwalt nicht weiß oder nachschaut, dass "Alliierte Rückerstattungsgesetze" das Jahr 1950 als Fristgrenze für Ansprüche von NS-Opfern gegen "Ariseure" festsetzten und dass es nie eine Wiedergutmachung für als "entartet" verfemte Bilder gab? Diese Fragen müsste sich auch Kulturstaatsministerin Professor Monika Grütters stellen.

Natürlich war die Frist bis 1950 viel zu kurz. Unzählige NS-Opfer gingen deshalb leer aus. Drum gab es dann wohl 1998 die Washingtoner Erklärung, die, wie wir erfahren, aber nur als eine Absichtserklärung für öffentliche Einrichtungen gilt, doch möglichst die Herkunft von Raubkunst zurückzuverfolgen. Für den privaten Sammler Cornelius Gurlitt, Erbe des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, galt sie jedenfalls nicht, zumal es sich in der Sammlung nur um ein Prozent so genannter Raubkunst handelte, und die wohl rechtens erworben war.

Und das Ende vom Lied? Politikerinnen und Politiker, Juristinnen und Juristen, denen man Mitschuld an Menschenhetze gegen Gurlitt vorwerfen muss, bleiben unbeachtet und straflos. Ein unschuldiger Mann stirbt vergrämt und vermacht seinen Kunstschatz dem Kunstmuseum Bern. - Ein Gurlitt-Museum in München! - welche weitere Kunstattraktion für unsere Stadt wäre möglich gewesen!

Hoffentlich erhält der Rechtsstaat späte Genugtuung! Dietmar Holzapfel, Taufkirchen

Ungerechtfertigter Angriff

Bravo, dass sich endlich zwei Rechtsexperten der unglaublichen Vorgänge annehmen, die sich wegen des vermeintlichen "Nazischatzes" von Cornelius Gurlitt ereignet haben. Es ist die alleinige Verantwortung des deutschen Gesetzgebers, dass er 1950 aufgehört hat, NS-Raubkunst zu restituieren, und nie eine Wiedergutmachung für "entartet" entzogene Bilder vorgesehen hat. Dennoch greift die Augsburger Staatsanwaltschaft massiv in die Privatsphäre von Cornelius Gurlitt ein, der sich nach deutschem, wenn auch problematischem Recht korrekt verhalten hat. Sie durchwühlt in einer mehrtägigen Aktion seine Wohnung und verschleppt seine Bilder.

Und weil Kulturstaatsministerin Monika Grütters die deutsche Rechtslage vor dem Ausland zu vertuschen sucht, lässt sie Aktionismus betreiben. Deshalb verdächtigt eine Taskforce Gurlitt vor der Weltöffentlichkeit, Hüter eines Nazischatzes zu sein, lässt beschlagnahmte Bilder ohne Einwilligung im Internet veröffentlichen und nutzt den Druck der staatsanwaltlichen Ermittlungen, ihn zur Beforschung seiner Sammlung zu drängen.

Machenschaften eines Schurkenstaates? Nein, Aktionen von Staatsorganen, die dem Rechtsstaat verpflichtet sind. Die Agierenden haben seine Glaubwürdigkeit schwerwiegend beschädigt. Wann endlich befassen sich Bundestag und bayerischer Landtag mit diesen unglaublichen Vorgängen? Untersuchungsausschüsse tun Not. Zu klären wäre von ihnen auch: Wie kommt es eigentlich dazu, dass Gurlitt ein Testament zugunsten des Berner Kunstmuseums aufgesetzt hat, das er offenbar gar nicht kannte? Wurde dazu etwa die Vorsitzende der Taskforce aktiv? Immerhin hat sie ihn aufgesucht.

Und das Wichtigste: Der Bundestag hat endlich Rechtsgrundlagen dafür zu schaffen, wie NS-Verfolgte, die die viel zu kurzen Fristen der Rückerstattungsgesetze versäumt haben, Wiedergutmachung nicht nur für geraubte Kunstwerke, sondern auch für geraubte Grundstücke, Unternehmen und sonstige Gegenstände erhalten.

Es darf nicht sein, dass ein 1946 in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) wegen Wirtschaftskriminalität rechtsstaatswidrig verurteilter Unternehmer nach Aufhebung aller Fristen weiterhin rehabilitiert werden kann, ein 1944 in die Gaskammern deportierter Jude aber deshalb leer ausgeht, weil er 1950 die Fristen versäumt hat! Stefania Adomeit, Bonn

Erbärmliche Rechtslage

Es mag ja sein, dass dem schwerkranken Cornelius Gurlitt durch die Beschlagnahme seiner Bilder formal Unrecht zugefügt wurde, aber: Wenn 66 Jahre nach Ende der Nazi-Schreckensherrschaft 1260 versteckte Kunstwerke ("Entartete Kunst" und "Nazi-Raubkunst") aufgefunden werden, die so gut wie sicher aus jüdischem Besitz stammen und zum Teil als "verschollen" gelten, dann liegt doch der Verdacht nahe, dass mit den "vom Vater geerbten" Bildern etwas nicht in Ordnung sein kann und Untersuchung geboten ist.

Wer sich juristisch auf das "Alliierte Rückerstattungsgesetz" stützt, laut dem "seit 1950 keine Ansprüche von NS-Opfern

mehr bestehen", verhält sich unglaublich schäbig, ja erbärmlich. Einem jeden war und ist klar, dass nur fünf Jahre nach Ende des Verbrecherstaats unmöglich sämtliche Rückforderungen geltend gemacht sein konnten. Dieses Gesetz war schieres Unrecht. Die betreffende, einseitig gefärbte SZ-Veröffentlichung in dieser Breite und Ausführlichkeit muss jeden liberalen Zeitgenossen und besonders alle jüdischen Mitbürger verstören.

Prof. Christian Bruhn, München

Ein Problem der Gewaltenteilung, nicht nur des Staatsanwaltes

Ich finde es schon bezeichnend für die SZ, dass ausgerechnet aus dem Ressort "Kultur" über den Zustand der bayerischen Justiz - insbesondere der Augsburger Justiz - berichtet wird. Normalerweise würde man sich hier einen Bericht aus dem Ressort "Politik/Justiz" erwarten.

Mit Herrn Johannes Ballis trifft es in dem hier vorliegenden Fall vermutlich den Falschen, da er zu der damaligen Zeit "nur" Staatsanwalt war und Staatsanwälte in Deutschland weisungsgebunden gegenüber den Justizministerien sind. Daher sollte vielmehr die Rolle der Wirtschaftsstrafkammer in Augsburg sowie das Zusammenwirken mit den betreffenden Ministerien kritisch hinterfragt werden. Aus rechtsstaatlichen Gründen sehe ich zudem den in Bayern üblichen Wechsel zwischen Staatsanwalt und Richter sehr kritisch: Gestern war man noch Vorgesetzter und Ausbilder eines Staatsanwaltes - morgen ist man Richter und verhandelt dessen Fälle; oder heute ist man Richter - morgen entscheidet die Oberstaatsanwältin über zukünftige Karriere des Richters, der gerade einen ihrer Fälle verhandelt. Es besteht das große Risiko, dass hier durch persönliche Verquickungen die Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative unterlaufen wird. Hermann Krämer, Dachau

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