Süddeutsche Zeitung

Der Einfluss der Kleinen:Kinder an die Macht

Lesezeit: 3 min

Die Jüngeren in der Stadtgesellschaft bestimmen bei der Gestaltung ihrer Umwelt mit - aber nicht immer gehen alle Wünsche auch perfekt in Erfüllung

Von Milena Fritzsche, Glockenbachviertel

Zweimal im Jahr wird das Mikrofon im Sitzungssaal des Rathauses auf Kinderhöhe gestellt. Außerdem bestimmen die Kinder und Jugendlichen einen sogenannten Glockenmeister, der mit einer großen Glocke die erwachsenen Gäste unterbrechen darf, wenn die zu lange reden oder sich unverständlich ausdrücken. An diesem Freitag, 17. November, ist es wieder soweit, wenn das 66. Kinder- und Jugendforum stattfindet. Das gibt Anlass, einmal zu fragen, inwiefern Kinder die Politik der Stadt beeinflussen können. Was ist aus den Anträgen der Teilnehmer zwischen neun und 14 Jahren geworden?

In der vergangenen Sitzung des Forums Ende April klagten beispielsweise zwei Jungen im Alter von acht und neun Jahren, Gian und Jakob, ihr Leid: Auf dem Bolzplatz am Glockenbachspielplatz, auf dem sie sich immer treffen, sei es kaum noch möglich, Fußball zu spielen. Nach jedem Regen sammelten sich viele Pfützen. Ihr Vorschlag: Eine Überdachung müsse her. Ein Mädchen aus dem Plenum äußert Bedenken: Sei das nicht zu teuer? Ein solches Vorhaben sei sehr aufwendig, bestätigen auch die anwesenden Erwachsenen, die im Forum allerdings kein Stimmrecht besitzen. Große Flächen, die überdacht werden, erfordern zunächst eine Baugenehmigung, erläutern die Vertreter aus Politik und Verwaltung. Das haben die beiden Jungs nicht bedacht. In ihrem Alltag begegnen sie zum ersten Mal den komplizierten Vorschriften und Abläufen und erleben, dass eine gute Idee gar nicht so einfach in die Tat umzusetzen ist. Für einen Kompromiss sind sie offen. Daraufhin wird im Rathaus eine Lösung gesucht, die weniger Aufwand erfordert. Lediglich den Belag auszubessern, würde schon reichen, damit das Wasser besser abfließen könne, empfiehlt Maria Dobner vom Baureferat der Stadt. Den beiden Jungen gefällt der Vorschlag. Ihnen ist nur wichtig, bald wieder ungestört dem Ball hinterherjagen zu können. Dem Antrag stimmt eine knappe Mehrheit der Kinder und Jugendlichen mit 27 zu 25 Stimmen im Rathaus zu. Dobner übernimmt die Patenschaft für den Antrag.

Junge Menschen fühlen sich kaum bis gar nicht berücksichtigt - das hatte zuletzt im Frühjahr dieses Jahres eine Umfrage der Stadt unter 15- bis 21-jährigen Münchnern ergeben. Das gelte auch für die noch Jüngeren, bestätigt Marion Schäfer vom Münchner Kinder- und Jugendforum: "Kinder stoßen immer mehr an Grenzen, wenn es um Freiflächen geht, die sie nutzen wollen." Dabei sei es wichtig, Kinder und Jugendliche frühzeitig in demokratische Prozesse einzubinden und mit ihnen Kompromisse zu finden. Sie wünscht sich "Vorfahrt für Kinder in der Verwaltung".

Die jungen Antragsteller werden auf jeden Fall ernst genommen - das zeigt ein Blick auf die Ergebnisse der vergangenen Jahre des Forums. Stadtratsmitglieder und Verwaltungsmitarbeiter inspizierten gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen Spielplätze, testeten Ampelphasen vor Schulen oder studierten Bebauungspläne. Auf Initiative des Forums wurden Spielplätze umgestaltet, Kinder einer Flüchtlingsunterkunft in Bogenhausen erhielten ein Indianerzelt, und 1995 entstand aus dem Antrag einer Zwölfjährigen das Festival "Kids on stage", das seitdem jährlich stattfindet. Von den 20 Anträgen des Forums aus dem Jahr 2016 wurden fünf umgesetzt. Elf Vorschläge konnten zwar nicht erfüllt werden, wurden aber gründlich geprüft und mit den Antragstellern vor Ort besprochen. Lediglich zu vier Anträgen liegen noch gar keine Ergebnisse vor.

Die erwachsenen Paten im Kinder- und Jugendforum sollen sich dafür einsetzen, dass die Beteiligung der Kinder eben nicht mit dem Einreichen eines Antrags endet, sondern dass die Forderungen auch umgesetzt werden. Ein geknotetes Taschentuch erinnert sie symbolisch an ihre Pflicht.

Eine der Paten ist Maria Dobner. Sie leitete den Bolzplatz-Antrag an das Baureferat weiter. Dort gab man den Kindern recht, der Bolzplatz müsse saniert werden. Ein halbes Jahr später ist es soweit: Nur wenige Stunden haben die Arbeiter am Mittwochmorgen vergangener Woche gebraucht. Sie füllten Rotgrand-Material auf dem Ascheplatz auf und glichen Unebenheiten aus. Insofern wurde nach einem halben Jahr das Anliegen der beiden Jungen aufgegriffen. Wer eine aufwendige Erneuerung erwartete, wird aber enttäuscht sein, der Platz erstrahlt nicht in neuem Glanz. Nach dem ersten Regen zeigt sich zudem, dass der Wunsch der Jungs, "endlich keine Pfützen" mehr auf dem Bolzplatz zu haben, nicht in Erfüllung ging. Sibylle Brendelberger vom Kinder- und Jugendforum wertet das zwar "grundsätzlich als Erfolg", fügt aber hinzu: "Die Kinder sind gehört worden, aber wenn für sie die Sanierung im Alltag nicht sichtbar wird, ist das nur schwer zu vermitteln."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3752632
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.11.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.