Süddeutsche Zeitung

Der älteste Baum Münchens:Mehr als 300 Lenze

Die Röthlinde in Gern erlebte Napoleon, Bayerns Könige und einen leidenschaftlichen Landschaftsmaler: Ein Besuch beim ältesten Baum Münchens.

Lisa Sonnabend

Wenn man die große Winterlinde in der Nederlingerstraße in Gern betrachtet, könnte man meinen, sie stehe in der Blüte ihres Lebens. Die Blätter tauchen den Baum in ein sattes Grün, die Baumkrone ist mächtig. Nur die Seile, die einige Äste aufrecht halten, und die Stangen, die den hohlen Stamm stützen, lassen erahnen, dass der Baum nicht mehr der Jüngste ist. Die Linde hat schon mehrere hundert Mal hat dem Frühling entgegengefiebert - öfter als jeder andere Baum in München. Denn die Linde am Westfriedhof gilt als der älteste Baum Münchens.

"Wir kennen keinen älteren Baum", sagt Dagmar Lezuo vom Baureferat. Und auch Michael Hardi von der Unteren Naturschutzbehörde sagt: "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es einen älteren gibt." Wenn, dann müsste dieser sich im Englischen Garten befinden, denn der Park gehört nicht zum Zuständigkeitsgebiet der Stadt.

Ein Gutachten der Unteren Naturschutzbehörde geht davon aus, dass der Baum vor etwa 300 Jahren zu wachsen begann. Womöglich sogar vor 350 Jahren. "Genau können wir das nicht sagen, denn dafür müssten wir die Linde anbohren." Und das würde den alten Baum womöglich kaputt machen. Erst nach dem Tod wird man das wahre Alter der Winterlinde erfahren.

Die alte Linde steht am Rande des Westfriedhofs an der Kreuzung Nederlinger Straße und Baldurstraße. Eine exponierte Lage. Um sie herum sind eine Grünfläche und einige Bäume und Sträucher, die die Linde bei weitem überragt. Keine fünfzig Meter entfernt befindet sich die Bushaltestelle Mettenstraße. Ein paar Schritte östlich führt eine kleine Einfahrt zum Gut Nederling, einem alten Bauernhof, in dem keine Tiere mehr untergebracht sind, sondern inzwischen Theaterstücke aufgeführt werden. Einige Meter nördlich beginnt eine Kleingartenanlage, in der gerade ein älterer Mann nur in Shorts gekleidet Blumen gießt, während seine Frau in der Sonne liegt und eine Boulevardzeitung liest.

Wenn Radfahrer an der alten Linde vorbeikommen, werfen sie ehrfürchtig einen Blick auf den majestätischen Baum. Fußgänger bleiben vor ihr stehen, um das Schild an ihrem Stamm zu lesen. Darauf steht die Widmung: "Röthlinde - dem begeisterten Schilderer der deutschen Landschaft Professor Philipp Röth". Im 19. Jahrhundert saß der Gerner Landschaftsmaler Röth oft vor der Linde und zeichnete. Die Linde hat also auch damals schon beeindruckt.

Beeindruckend ist nicht nur ihre Statur, sondern auch die Geschichte, die die Linde miterlebt hat. Die letzte große Schlacht des Dreißigjährigen Krieges fand auf den Feldern um Nederling statt. Einige Jahre später müssen die ersten Äste der Linde aus dem Boden emporgewachsen sein. Später tobten um den Baum herum der Spanische Erbfolgekrieg, Napoleon marschierte in Bayern ein und der Erste und der Zweite Weltkrieg brachten Verwüstung. Und vielleicht machten Bayerns Könige, die nur wenige Kilometer entfernt im Schloss Nymphenburg residierten, gelegentlich einen Spaziergang zu ihr.

Die Linde hatte jedenfalls 300 Jahre lang Glück: Kein Krieg und keine Schlacht konnte sie zu Boden bringen und kein Bauvorhaben hat sie dem Fallbeil geweiht. Wäre sie mitten in der Stadt gewachsen, wäre sie längst unter Pflastersteinen begraben.

Inzwischen ist die Röthlinde ein Naturdenkmal - als einer von 83 Bäumen in München. Ein von der Unteren Naturschutzbehörde beauftragen Spezialteam kümmert sich um die Pflege. "Ihr Zustand ist gut", sagt Hardi. "Die Lebenswerwartung des Baumes liegt bei zehn bis fünfzehn Jahren. Mindestens." Doch was sind fünfzehn Jahre im Leben eines 300 Jahre alten Baumes. Am Samstag ist Tag des Baumes - das wäre eine Gelegenheit, der Linde einen Besuch abzustatten.

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