Süddeutsche Zeitung

Depeche Mode in München:Aus großem Sound folgen große Posen

Lesezeit: 3 min

Die Helden des Achtziger-Synthiepops sind zurück: Depeche Mode spielen in München das Auftaktkonzert ihrer Deutschlandtour - und ziehen dabei das ausverkaufte Olympiastadion spielend in ihren Bann. Vor allem Sänger Dave Gahan sorgt für einige große Momente.

Von Beate Wild

Die Helden tragen schwarzes Leder und Kajal um die Augen, damals wie heute. Es ist Samstag kurz vor 21 Uhr, Olympiastadion München. Auftakt der Deutschlandtour. Ausverkauft, 64.000 Fans. Depeche Mode kommen ohne großes Intro auf die Bühne und legen einfach los mit "Welcome to my world", dem ersten Track vom neuen Album "Delta Machine". Es geht wieder einmal um Verdammnis, seelische Gefangenschaft und Erlösung. Die Herren sind über 30 Jahre im Geschäft, doch manche Dinge ändern sich nie.

Depeche Mode waren schon immer anders als die anderen Bands. Schon damals, Anfang der Achtziger, als sie sich mit Hits wie "People Are People" noch auf selbstaufgenommenen Kassetten neben den biederen "Alphaville" und den schrillen "Franky Goes To Hollywood" wiederfanden. Mittlerweile haben sie ihr 13. Album aufgenommen. Deshalb sind sie jetzt auf Tour, um zu testen, ob sie es noch draufhaben, so wie damals. "Angel", "Heaven", "Enjoy The Silence", "Personal Jesus" - neue Songs mischen sich im Olympiastadion unter die alten Gassenhauer. Dave Gahan wirbelt über die Bühne. Auf den Leinwänden sieht man in schnell geschnittenen Sequenzen die Band bei der Arbeit. Eine Kamera schaut dem Drummer über die Schulter und direkt hinein in das tobende Publikum. Beim Song "Walking in my shoes" zieht Dave Gahan seine Jacke aus und reckt seine muskulösen, nackten Oberarme in die Luft wie ein Heiland. Das Publikum kreischt. Na also, geht doch noch.

Die Erfolgsgeschichte der Band beginnt im Februar 1981. "Dreaming Of Me" ist der erste Song, der im Radio gespielt wird. "Wir wollten einfach nur rauskommen", sagt Dave Gahan über die Anfänge von Depeche Mode. Raus aus Basildon, einer sogenannten New Town im Distrikt Essex. Einer Pendlerstadt vor den Toren Londons, errichtet nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwischen damals und heute stehen 100 Millionen verkaufter Singles und Alben. Auf dem aktuellen Album wagen die Synthiepopper Experimente mit Bluesmusik. Es ist sicher nicht ihr bestes Werk, aber auch nicht ihr schlechtestes. Und selbst wenn sich einige aktuelle Titel anders anhören als gewohnt, es klingt immer noch nach Depeche Mode. Vor allem "Heaven" ist eine Ballade, wie sie den eingefleischten Fans aus den Anfangszeiten der Band gefallen dürfte. Stählerner Sound, kühle Ästhetik, dieses "Bigger-Than-Life"-Gefühl.

Für Dave Gahan, Martin Gore und Andrew Fletcher ist schwarz nach wie vor die Farbe ihrer Berufskleidung. Mittlerweile sind sie Anfang 50. Sie tragen auch immer noch die gleichen Frisuren wie damals. Gahan schwarz gefärbt, ausrasierter Nacken, stark gegelt. Gore den Undercut mit den Locken. Mit dem Look war er damals Vorreiter, heute ist die Frisur bei Hipstern wieder angesagt.

Gerade Gahan ist es, der die Band zusammenhält. Würde er seine - von vielen Anhängern sehnlich erwartete - Autobiographie schreiben, sie müsste den Arbeitstitel "Durch die Hölle und zurück" tragen. Aufgewachsen in einem trostlosen Kaff, Schulabbrecher mit 15, vom jungen Punk zur jungen Achtziger-Elektro-Stilikone. Dann in den Neunzigern die Sinnkrise, eine schwere Drogensucht, eine Überdosis inklusive künstlichen Komas. Dazu ein Selbstmordversuch, zwei Scheidungen und vor vier Jahre die Diagnose Blasenkrebs.

Trotz der Krankheit ging Gahan 2009 mit seiner Band auf Tour, sichtlich gezeichnet. Zwischen den Auftritten, wenn die Bandkollegen Pause machten, musste er in verschiedene Krankenhäuser zur Behandlung. Heute geht es ihm wieder gut. In Interviews nennt er sich selbst "The Cat". Er scherzt dann gerne, dass er ein paar seiner neun Katzenleben schon verbraucht habe. Auch sein Bandkollege Gore kämpfte lange mit den Dämonen und ist seit 2005 trockener Alkoholiker. Bis dahin soll er nur betrunken auf der Bühne aufgetaucht sein. Eine Show verpasst hat er trotzdem nie.

In München liefern Depeche Mode Großartiges ab. Mehr als zwei Stunden lang. Die alten Hits werden naturgemäß euphorischer bejubelt als die neuen Songs. Dave Gahan zeigt eine Energie wie in den Anfangszeiten. Jede Bewegung sitzt: die kecken Drehungen, der laszive Griff durch die Haare, die in die Luft geschmissenen Arme. Zwischendurch dreht er dem Publikum den Rücken zu und vollführt einen Hüftschwung, das selbst Shakira neidisch werden müsste. Auch Martin Gore gibt sich mehrmals am Mikro die Ehre - und singt gar nicht mal so schlecht.

Depeche Mode ist mehr als nur eine Band. Sie sind der Inbegriff eines gewissen Lifestyles. Teenager in der ganzen Welt versuchten sich in den Achtzigern wie sie zu kleiden, wie sie auszusehen, so cool zu sein wie sie. Manche versuchen es heute noch. Die skurrilste Ausprägung des Kults sind aber wohl die Depeche-Mode-Partys, die selbst die entlegensten Dörfer der Republik erreichen. Dabei treffen sich hunderte Depeche-Mode-Lookalikes und tanzen den ganzen Abend nur zu den Songs ihrer Lieblingsband. So etwas gibt es bei keiner anderen Gruppe im Musikbusiness. Eine U2-Party? Unvorstellbar. Und selbst die Rolling Stones haben es nie soweit gebracht.

Man kann froh sein, dass sich der bekannte Musikkritiker Diedrich Diederichsen damals gehörig geirrt hat. 1981 prophezeite er der Band, es würde sie nicht lange geben. 2013, 32 Jahre später, ist Synthiepop wieder richtig angesagt, das Achtziger-Jahre-Revival im vollen Gange. Die Gruppen, die heute diese Musik machen, versuchen alle nur das zu imitieren, was die Briten Anfang der Achtziger erfunden haben. Depeche Mode ist das Original. Alle anderen sind ihre Wiedergänger. Von so einer Band kann man wirklich nicht genug kriegen.

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