Süddeutsche Zeitung

"Past statements"-Initiative des Kulturreferats:Denk mal an die Zukunft

Vier neue Kunstprojekte schalten sich in die Debatte um umstrittene Denkmäler in München ein: ein Dialog um fragwürdige Verewigungen.

Von Sofia Pavlu und Magdalena Zumbusch, München

Die Diskussion um fragwürdige Denkmäler beschäftigt München mit seinen zahlreichen Überbleibseln der NS-Kultur schon lange. Auch die verschiedenen Krieger- und Bismarck-Denkmäler der Stadt sind in der Kritik: Muss der "Eiserne Kanzler", der mit grausamer Härte gegen Sozialisten vorging, unbedingt mit einer Statue direkt vor dem Deutschen Museum geehrt werden? Mit den Resten der NS-Kultur, die immer noch über das Stadtbild verteilt sind, setzen sich Künstlerinnen und Künstler seit vielen Jahren auseinander. Die Münchner Künstlerin Michaela Melián etwa installierte 2006 ihr virtuelles Projekt "Memory Loops": 300 Tonspuren zu Orten des NS-Terrors in München basierend auf Transkriptionen historischer Originaltöne von Zeitzeugen sind seitdem als Hörspiel online abrufbar.

Im vergangenen Herbst nun ließen die Historikerin Sabine Schalm und der Kunsthistoriker Daniel Bürkner im Rahmen der Initiative "Past statements - present futures" des Kulturreferats der Stadt einen Wettbewerb ausschreiben, um die künstlerische Auseinandersetzung mit den fragwürdigen Denkmälern der Stadt weiter voranzutreiben. Das Ergebnis - vier Installationen in der Münchner Innenstadt - wird am 9. Oktober bei einem Spaziergang mit den Künstlern vorgestellt. Am 7. und 8. Oktober finden eine Reihe von Gesprächsrunden im Haus der Kunst statt.

Mit der NS-Kultur beschäftigt sich unter dem Titel "Ein Ort für ein Wort. Ein Wort für einen Ort (Ein Zeitzeichen)" auch der in München und Südtirol lebende Künstler Michele Bernardi, genauer: mit drei Hakenkreuzen. Diese schmücken immer noch die Fenstergitter eines historischen Gebäudes, das heute als Sitz des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie fungiert. Mit orange-leuchtender Schrift versieht der Künstler diese Relikte mit den Worten "gestern", "heute" und "morgen". Seine Installation deutet subtil und doch freiheraus auf das Erbe des Dritten Reichs. Ein Erbe, das es klar aufzuarbeiten gilt. Ob mit "morgen" auf einen Zuwachs von rechtspopulistischen Parteien angespielt wird, lässt Bernardi bewusst offen.

Auch der Koloss eines Neptun-Brunnens im Alten Botanischen Garten ist ein Rest Nazi-Kultur. Die monumentale Figur des römischen Gottes der sieben Weltmeere passte zum größenwahnsinnigen Herrschaftsanspruch. Prominent platziert, steht er direkt vor dem Justizpalast. Bis zu einem Großbrand im Jahr 1931 stand dort der Glaspalast mit seinen wichtigen Kunstausstellungen. War der Brand gelegt, die Kunst unerwünscht? Man weiß es bis heute nicht. Jedenfalls wurde vielen Künstlern, wie der jüdischen Malerin Maria Luiko, ihre Arbeit bald verboten. Auch Luikos anschließende zurückgezogene Tätigkeit im jüdischen Kulturbund war Kontrolle und Schikane ausgesetzt. Unter diesen bedrückenden Umständen schuf sie 1938 ihr Werk der "Trauernden", der Linolschnitt einer sich unter ihrem Schleier verbergenden Frau. Michaela Melián verhüllt nun mit der "Trauernden", abgedruckt auf einer Mesh-Plane den Neptunbrunnen: Mit ihren beanspruchten Händen und der müden Haltung könnte sie nicht in schärferem Kontrast zur überdimensionierten Neptun-Figur in Siegerpose stehen. Durch das Mesh-Tuch scheint der Neptun gut sichtbar durch. Die gleichzeitige Sichtbarkeit der beiden Werke lässt den Kontrast umso besser wirken. Das Gefühl, das beim Betrachten zurückbleibt, spricht für sich.

Ungeliebt sind auch allgemein kriegsverherrlichende Denkmäler. Die Wiener Künstlergruppe, bestehend aus dem Bildhauer Christoph Steinbrener, dem Fotografen und Grafiker Rainer Dempf und dem Architekten Martin Huber, nahm sich mit ihrem Werk "Victory Spikes" des Münchner Siegestors an. Zur Feier des Siegs gegen Napoleon errichtet, war das Tor zuerst eine protzige Sieger-Geste König Ludwigs I. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das stark beschädigte Tor bei seinem Wiederaufbau umgewidmet: "Zum Frieden mahnend" steht seitdem auf dem Denkmal. Mit den riesigen Taubenspikes, die im Rahmen der Aktion "Past statements" auf dem Siegestor angebracht wurden, will die Gruppe Steinbrener, Dempf & Huber an die Mahnung erinnern: Die Taube ist spätestens seit Picassos bekannten Darstellungen der Friedenstaube eins der wichtigsten pazifistischen Symbole. Die überdimensionierten Spikes entsprechen der riesigen Friedenstaube, auf die man aktuell im Angesicht des Kriegs mitten in Europa nur hoffen kann: "Ein gigantisches Wesen, das diesen Wahnsinn aufhält", diese Assoziation könnte sich regen beim Blick auf die "Victory Spikes", meint Christoph Steinbrener. Die Vorstellungskraft der Betrachter ist also gefragt, um die Funktion des Siegestors als Mahnmal zum Frieden wieder aufs Neue präsent zu machen.

Und weil Monumente oder Kunst im öffentlichen Raum das gesellschaftliche Bewusstsein prägen, sind gendergerechte Veränderungen angemessen. 95 Prozent der Denkmäler in München porträtieren Männer, beziffert das eine Kollaboration des Extended Reality Ensemble (XRE) mit denkFEmale: Besagte Denkmäler wurden zu einer Zeit errichtet, in der Frauen keinen höheren Status genossen, zu unwürdig um so einer Ehre zuteil zu werden. Aber warum sollte das Ganze männerdominiert bleiben, zumal sich etwa die Hälfte unserer Gesellschaft mit einem anderen Geschlecht identifiziert? Das Event "#MakeUsVisible x denkFEmale" nutzt deshalb Augmented Reality (AR), um bedeutende Frauen und nichtbinäre Personen im Stadtbild sichtbar zu machen.

"DenkFEmale" entstand 2021 als Kooperationsprojekt von Studierenden der Hochschule für Fernsehen und Film, der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und der Akademie der Bildenden Künste. Nun führen Tabitha Nagy und Amadea Pely das Projekt weiter. Gemeinsam mit Anne Wichmann vom Extended Reality Ensemble wollen sie einen kritischen Diskurs entfachen darüber, was ein Stadtbild aussagt, wie divers und vielseitig es sich präsentiert. Nun können Interessierte vom 1. bis zum 31. Oktober die Plätze besuchen, an denen die digitalen Monumente zu entdecken sind. Einige davon werden bewusst den physischen "Männer-Denkmälern" gegenübergestellt und können über QR-Codes, auf explizit eingerichteten Schildern vor Ort eingesehen werden. Die Orte können auf der interaktiven Stadtkarte Münchens, abrufbar unter makeusvisible.io, eingesehen werden. Kurze Texte und eine Audio-Tour erzählen die Geschichte hinter den digitalen Monumenten. Am 30. September findet dazu eine kostenlose Vernissage in der Monacensia statt. Münchens Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden, die die Schirmpatenschaft für die digitale Ausstellung übernommen hat, leitet die Veranstaltung mit einer Ansprache ein. Kuratiert wird das Projekt vom Extended Reality Ensemble aus New York und von denkFEmale München.

Anmerkung der Redaktion: Im Text zu dem Werk "Victory Spikes" der Gruppe Steinbrener, Dempf & Huber stand in einer früheren Fassung, dass die Umwidmung des Siegestores vom Triumphbogen zum Friedens-Mahnmal schon nach dem Ersten Weltkrieg erfolgt sei. Das ist falsch und wurde im Text korrigiert. Die Inschrift "Dem Sieg geweiht - Vom Krieg zerstört - Zum Frieden mahnend" wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg beim Wiederaufbau des stark zerstörten Tores angebracht. Ungenau war auch die Angabe zum zerstörten Münchner Glaspalast beim Alten Botanischen Garten. Der Glaspalast, so hieß es in einer früheren Version, sei mit seiner bedeutenden Kunstsammlung zerstört worden; tatsächlich war es der Ort wechselnder, aber bedeutsamer Kunstausstellungen, ohne eigene Sammlung.

"Past Statements, Present futures", Fr., 7. Okt., 12-18.30 Uhr, Sa., 8. Okt., 10.15-20.30 Uhr, So., 9. Okt., ab 10.30 Uhr, Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1

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