Demonstrationen:Europas Puls setzt vorerst aus

Puls of Europe am Max Joseph Platz vor der Oper

Am Sonntag sind trotz Regens etwa 500 Menschen auf den Max-Joseph-Platz gekommen, um für ihr Europa zu demonstrieren.

(Foto: Florian Peljak)

Ein Jahr lang trafen sich Münchner vor der Oper, um für Europa zu demonstrieren. Mit seinen Demos macht "Pulse of Europe" bald erst einmal Pause - weitergehen soll es, aber wie ist noch nicht klar.

Von Pia Ratzesberger

Und plötzlich steht da dieser Mann. Er zittert, ein Pappschild in der Hand. Die anderen am Max-Joseph-Platz bauen noch auf, doch er redet jetzt von Katalonien, von der Gewalt auf den Straßen Barcelonas. Vom Wunsch nach Unabhängigkeit. Auf seinem Schild steht: "Pro-Katalonien" und darunter: "Anti-EU".

Eine der Europäerinnen also tritt ihm entgegen, sie beginnen zu reden, debattieren dann, am Ende sagt sie zu ihm: "Was hättest DU denn gerne?" "Ein Europa der Regionen", sagt er. "Und da stellst du dich hier hin und bist Anti-EU?". Sie schüttelt den Kopf. Europa wolle die Regionen doch stärken.

Auch deshalb ist Cécile Prinzbach an diesem Sonntag wieder hierhergekommen, auf den Max-Joseph-Platz, zu Pulse of Europe. Weil sie weiß, dass noch längst nicht genügend getan ist. Noch längst nicht genügend erzählt von der europäischen Idee. Trotzdem wird das Team aus zwölf, fünfzehn Leuten bald erst einmal Pause machen, nach Dezember ist noch nicht klar, wie es weitergeht. Trafen sich die Demonstranten in ganz Europa anfangs noch jeden Sonntag, ist es mittlerweile nur noch jeder erste Sonntag im Monat - die viele Arbeit, in den Tagen davor, danach.

Für die Ehrenamtlichen sei das zu viel geworden, hieß es im Sommer, also verabredete man sich auf nur noch einen Tag im Monat, auch in München. Nach den Wahlen in Frankreich und in den Niederlanden versammelten sich dann auch immer weniger vor dem Residenztheater - die Chefin des Front National, Marine Le Pen, war in Frankreich nicht Präsidentin geworden, in den Niederlanden hatten die Konservativen die rechtspopulistische Partei von Geert Wilders geschlagen.

Zum Ende des Jahres wird es mit den Demos also erst einmal vorbei sein, vielleicht im März weitergehen. Das Team überlegt noch wie, sie organisieren auf jeden Fall andere Veranstaltungen - was aber wird bleiben von der Bewegung am Max-Joseph-Platz, nach einem Jahr?

"Das Zeichen, dass München die europäischen Werte hochhält" - Georg Fichtner, 35 Jahre.

"Das Wissen, dass die Menschen in verschiedenen Ländern Europas zusammenhalten" - Clara Mokry, 27 Jahre.

"Das Bewusstsein, dass man auch mal aufstehen muss für sein Europa und es verteidigen" - Cécile Prinzbach, 47 Jahre.

"Viele blaue Fahnen und viele Leute, die wissen, dass Europa nicht nur etwas weit entferntes Politisches ist" - Michael Bögl, 53 Jahre.

Im Februar haben sie alle sich hier zum ersten Mal getroffen, die Fahnen geschwenkt, da war noch die Angst da. Und fragt man die Menschen heute, warum sie für Europa auf die Straße gehen, haben sich die Antworten nicht unbedingt verändert, sie sind sich immer noch sehr ähnlich: "Das Jahr 2016 war für mich krass" oder "nach der Wahl in den USA musste ich was tun", sagen sie dann. Ein Ehepaar in Frankfurt hatte Ende vergangenen Jahres zum ersten Mal zur Demo für Europa aufgerufen, diesem Paar schrieben dann immer mehr Menschen aus immer mehr Städten. Das war der Anfang.

Eine Demonstration für Europa kam in München gut an, dabei ist dies erst einmal keine Stadt, die sich sogleich europäisch anfühlt, wenn man durch die Straßen geht, wie Brüssel oder Paris. München wirkt vielleicht auch erst einmal nicht besonders international, man hört auf den Plätzen nicht allzu oft englisch, französisch noch weniger.

Doch in München leben Zehntausende Menschen aus den Staaten der Europäischen Union, 27 000 Griechen zum Beispiel, 35 000 Kroaten, 28 000 Italiener, 11 000 Franzosen. Viele kommen zum Arbeiten her und wissen nur zu gut, was die Europäische Union in einem Leben bedeuten kann - sie haben ja selbst von der Freizügigkeit profitiert, die meint: Such' dir selbst aus, wo du in Europa leben und arbeiten willst.

Wussten die Jungen den Frieden nicht mehr zu schätzen?

Da sind zum Beispiel die jungen Europäer, die erst einmal zögern, wenn man sie nach ihrer Heimat fragt. Menschen wie Clara Mokry, Jahrgang 1989, sie hat in England gelebt, auch in Lilles, sie ist aufgewachsen in einem Europa ohne Passkontrollen und antwortet auf die Frage nach der Heimat schließlich: "Ich denke, ich bin Europäerin."

Ältere meinen manchmal die Jungen wüssten den Frieden nicht mehr zu schätzen, weil sie nicht wissen, was Krieg ist, aber Mokry sagt dazu nur: "Ich habe Angst davor und das reicht schon." Da sind auch die Älteren, Michael Bögl zum Beispiel, er erinnert sich noch an die Grenzkontrollen, später dann das Gefühl, dass sich die Stimmung verändere, nach dem Euro - "Ich habe immer gedacht, man muss etwas tun und hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich's mein ganzes Leben nicht getan habe." Bis zum Februar.

An einem Montag im Februar trafen sich zum ersten Mal acht Leute, Michael Bögl war dabei, auch Clara Mokry, Georg Fichtner. Sie kannten sich alle nicht, aber am Ende des Abends summten sie mit den Kellnern aus Italien und den Touristen aus Spanien am Nebentisch die Europa-Hymne. Nach nur fünf Tagen riefen sie zum Max-Joseph-Platz. Es kamen 500 Menschen. Ein paar Wochen später waren es mehr als 3000, irgendwann 4000. An diesem Sonntag aber sind es wieder nur um die 500 - immerhin, trotz des Regens.

Bei Pulse of Europe geht es vor allem um ein Gefühl. Die Bewegung will Emotion und Europäische Union verbinden, immer wieder hieß es, dieses Gefühl fehle dem von Politikern erdachten Friedensprojekt. Am Freitag und am Samstag erst wurde in München darüber debattiert, die Initiative Stand up for Europe hatte in die Hochschule für Philosophie eingeladen.

Auf der Bühne saß unter anderem der frühere Finanzminister Theo Waigel, eine Frau aus dem Publikum meldete sich dann und schlug einen europäischen Personalausweis vor, auch europäische Geschichte als Schulfach. Es brauche doch ein Gefühl, sagte sie. Und vielleicht ist es genau das, was nach elf Monaten Pulse of Europe bleiben wird, in München.

"Sobald's wieder ernst wird, haben wir die 4000 Leute auch wieder zusammen", sagt Michael Bögl am Ende. Das sei so ein Gefühl.

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