Weil sie angesichts der jüngsten Preisanstiege gefühlt ja sowieso schon im Regen stehen, haben den rund 200 Demonstrierenden am Samstagmittag auf dem Münchner Rotkreuzplatz auch heftige Regenschauer nicht viel anhaben können. Zudem erwies sich das Versammlungsmotto "Jetzt glangt's!" eines breiten Bündnisses von kirchlichen, gewerkschaftlichen und Partei-Sozialpolitikerinnen und -politikern als multikompatibel: passte zur aktuellen Politik und zum aktuellen Demo-Wetter. Der geballte Unmut zielt dabei vor allem auf die immer größere Schere zwischen Arm und Reich, wie der Untertitel der Veranstaltung verrät: "Wir frieren nicht für Eure Profite! Solidarisch auf die Straße. Genug ist genug!"
Statt 100 Milliarden Euro in die Rüstung zu investieren, solle der Staat jenes Geld lieber "für soziale Sicherung und für Klimaschutz" ausgeben, forderte beispielsweise Stefan Jagel, der im Münchner Stadtrat der Fraktion von Die Linke/Die Partei vorsitzt. "Wir protestieren gegen die Anhäufung von Reichtum in wenigen Händen", gehört dabei ebenso zu den Forderungen und Zielen wie der Ruf nach Übergewinnsteuer, Vermögensabgabe und einer Vermögenssteuer für Reiche.
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Das vertrat bei der Kundgebung nicht allein die Partei Die Linke, sondern mit ihr die Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB), die Gewerkschaft Verdi, die Jugendvertretung Bayern der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die Bund-Naturschutz-Jugend, die Falken im Bezirk Südbayern, die Münchner Mieterschutzinitiative "Ausspekuliert", ein bundesweites Bündnis Armutsbetroffener (#ichbinarmutsbetroffen), Fridays for Future, das Bündnis Attac, der Paritätische Wohlfahrtsverband Bayern und der Sozialverband VdK Bayern.
Sie alle formulierten drastische Warnrufe an die Politik und erinnerten ähnlich wie der armutsbetroffene Jörg Mertens daran, dass es "eine verfluchte Schande" sei, "dass es in der reichen Bundesrepublik Deutschland so viele Armutsbetroffene gibt", wohingegen "Überreichtum nicht besteuert" werde. Mertens betonte, dass es ihm um Forderungen gehe, die innerhalb des bestehenden Systems der Demokratie zu leisten seien. Man wolle kein neues System und "rechten Schwurblern" nur ja nicht auf den Leim gehen. Aber es gehe jetzt um drängende existenzielle Fragen: "Können Sie die Heizkosten zahlen - oder müssen Sie hungern?" Mertens forderte eine menschenwürdige Absicherung armer Menschen. Bisherige Sätze reichten nicht, bisherige Erhöhungen seien angesichts der Verteuerungen "eine Unverschämtheit". Es gehe nicht an, "dass wir die Reichen in Ruhe lassen, während wir auf den Armen herumhacken".
Mit den ihrer Ansicht nach intransparenten Preiserhöhungen der Stadtwerke München (SWM) befassten sich zwei Vertreter des Bündnisses "Ausspekuliert". Thomas Klühspieß geißelte die "unerklärlichen Anstiege" der Gaspreise, die bei den SWM "mit am höchsten in Deutschland" seien - was zu den deutschlandweit höchsten Mieten in München einen weiteren enormen Belastungsfaktor darstelle. Unerklärlich sei auch, warum die Fernwärme in ähnlicher Weise verteuert werde, obwohl da auch andere Energiequellen, etwa Geothermie, eine Rolle spielten.
Auch Rebecca Weyhmüller, Vertreterin der Bund-Naturschutz-Jugend Bayern, adressierte ähnliche Kritik an die SWM, die ihre Fernwärme nun dreimal so teuer wie noch 2021 verkaufe. Sie geht deshalb einen Schritt weiter und fordert: "Wir müssen die Energieversorgung demokratisieren." Klimaschutz heiße immer noch Klassenkampf. Konzerngewinne und Kapitalismus machten den Menschen das Leben unnötig schwer. Ihre Formel: "Wir können uns die Lebensmittel und die Energie nicht mehr leisten? Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten!"
Als scharfer Kritiker bestehender kapitalistischer Verhältnisse präsentierte sich auch Diakon Michael Wagner, Präses der KAB München-Freising, und erhielt viel Applaus. "Genug ist genug - jetzt glangt's auch dem da oben", rief er und deutete Richtung Regenhimmel. Über Vermögensverteilung zu streiten, das sei "lebensnotwendig - weil Armut Menschen sterben lässt". Immer wieder berief sich Wagner dabei auf Papst-Enzykliken und wurde deutlich: "Wer durch Hunger Menschen sterben lässt, begeht indirekt Mord." Insofern sei eine ungerechte Verteilung des Reichtums - also sämtlicher gottgegebener Erträge - "Ausgrenzung und Überrest eines Feudalsystems". Jenem inhumanen Reichtum "zeigen wir das Gesicht unserer Menschlichkeit: Jetzt langt's!"
Jakob Nausch, Vorsitzender der jungen NGG Bayern, erinnerte daran, dass nicht jede Verteuerung gottgegeben sei: "Preise steigen nicht, sie werden erhöht - zur Profitsteigerung!" Daran knüpfte Verdi-Bezirksvorsitzender Harald Pürzel nahtlos an mit seiner Forderung, Superreiche höher zu besteuern. "Die merken das nicht einmal, die haben doch schon die dritte Ferienwohnung." Es müsse von den Reichen zu den Armen umverteilt werden. Ärmere müssten durch "Preisbremsen" geschützt werden, so Pürzel, und insofern verbiete sich jede Mehrwertsteuererhöhung in der jetzigen Zeit, denn die träfe wieder die Ärmeren überproportional stark. Stattdessen müsse ein Inflationsausgleich bei Löhnen und Gehältern her. Er sehe deshalb keinen Grund, warum sich Gewerkschaften bei aktuellen Tarifforderungen zurückhalten sollten - im Gegenteil.
Die Sorge der Veranstalter, es könnten sich Vertreter der extremen Rechten unter die Demonstrierenden mischen, bewahrheitete sich nicht. Vorsorglich war am Mikrofon deutlich darauf hingewiesen worden, dass "wir uns entschlossen allen Versuchen der extremen Rechten entgegenstellen, die soziale Not der Menschen für ihre menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Zwecke zu missbrauchen". Die Demo am Rotkreuzplatz verlief friedlich. Für den 24. November ist auf dem Odeonsplatz eine Kundgebung mit ähnlichem Motto angekündigt. Dort heißt es dann: "Superreiche zur Kasse."
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung wurden die Zitate eines Armutsbetroffenen Arnold Schiller zugeordnet. Der hatte einen gereimten "Poverty-Slam" vorgetragen. Die Zitate im Bericht stammen von Jörg Mertens, der ebenfalls für die Initiative "#ichbinarmutsbetroffen" auftrat.