Demonstration:"Keine Belohnung für illegale Denkmalzerstörung!"

Demonstration: Tatort Giesing: Die Anwohner der Feldmüllersiedlung wollen verhindern, dass in ihrem Viertel mit Wohnen der große Reibach gemacht wird.

Tatort Giesing: Die Anwohner der Feldmüllersiedlung wollen verhindern, dass in ihrem Viertel mit Wohnen der große Reibach gemacht wird.

(Foto: Robert Haas)
  • 120 Münchner haben gegen den illegalen Abriss des denkmalgeschützten Uhrmacherhäusls demonstriert.
  • Sie fordern Konsequenzen für den Bauherren und dass an der Grasstraße keine weiteren Wohn- und Nutzflächen ausgewiesen werden.
  • Die Initiative "Heimat Giesing" hat dafür 600 Unterschriften gesammelt.

Von Andrea Schlaier, Obergiesing

Als die Prozession am Samstagmittag vor dem Trümmerfeld Halt macht, trieft das Wasser von den kreuz und quer aus dem Haufen ragenden Balken. Jetzt muss der klägliche Rest des Handwerkerhäuschens an der Oberen Grasstraße 1 auch noch mit dem Sauwetter kämpfen. Den Kampf gegen ein dreist und illegal wütendes Abrisskommando hat das denkmalgeschützte Uhrmacherhäusl in der Giesinger Feldmüllersiedlung bereits vor zwei Wochen verloren, als es von einem Bautrupp widerrechtlich platt gemacht worden war.

Ein beispielloser Sturm der Empörung fegt seither durch die gesamte Stadtgesellschaft. Angeführt von unmittelbaren Nachbarn reihen sich in die Kritikerriege alle ein, die etwas zu entscheiden haben, von den Behörden bis hin zur politischen Stadtspitze, und selbst Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) fordert harte Strafen. Bei strömendem Regen ziehen am Samstag 120 Menschen in einem Demonstrationszug zum Tatort, um gegen den "kriminellen Abriss" zu protestieren. Angeführt werden sie von der eigens gegründeten Initiative "Heimat Giesing".

Trotz des miserablen Wetters tröpfeln nach und nach neben reichlich politischem Personal auch etliche Giesinger zum Edelweißplatz, wo Monika Maier kurz nach 11 Uhr für alle zusammenfasst, was es zu brandmarken gilt: "Mit viel Brutalität und krimineller Energie ist am 1. September das Uhrmacherhäusl abgerissen worden." Maiers Mann war es, der sich einen Tag zuvor bis zum Eintreffen der Polizei den Baggern in den Weg gestellt hatte, als die Nachbarn bemerkt hatten, dass hier etwas richtig schief läuft. Schließlich lag für das Gebäude aus dem Jahr 1840 ausschließlich eine Instandsetzungs-Genehmigung vor, die das Landesamt für Denkmalpflege und die Lokalbaukommission längst bis ins Detail miteinander abgestimmt hatten.

Das schien die Arbeiter der CSH Baubetreuung GmbH nicht zu scheren. Sie kamen am nächsten Tag wieder und schoben das Häusl endgültig zusammen. Im Herzen Giesings, ruft Monika Maier den Umstehenden zu, klaffe nun eine große Wunde.

Ein Schurkenstück von "Heuschrecken"? So und so ähnlich diskutieren "den Skandal" unter Schirmen und klitschnassen Jacken die Demonstranten, als sie durch die Straßen der Feldmüllersiedlung ziehen. In offenen Fensterstöcken der niedrigen Handwerkerhäuschen lehnen Nachbarn, recken den Aktivisten den erhobenen Daumen entgegen oder kommen aus Hausgängen und schließen sich spontan an. Dass die Unterstützung selbst bei lausigem Wetter so groß ausfällt, glaubt Maier, liege auch daran, "dass sowas nicht nur in Giesing passiert, sondern auch stadt- und bundesweit". Ihr Anliegen sei es, das Thema im Zusammenhang zu diskutieren. Neben Maier reckt jetzt einer sein Banner in die Höhe: "Ois Giesing - Spekulanten müssen draußen bleiben", schrägt gegenüber brüllt's vom Plakat: "Keine Belohnung für illegale Denkmalzerstörung!"

"Hier wurde eine ethisch-moralische Grenze überschritten"

600 Unterschriften hat die Initiative "Heimat Giesing", der Maier angehört, inzwischen an Ort und Stelle" gesammelt und Oberbürgermeister Dieter Reiter übergeben. "Unsere zentrale Forderung", ruft sie ins Mikrofon: "An der Grasstraße 1 darf keine weitere Wohn- und Nutzfläche entstehen." Die Genehmigung für einen Neubau solle ausschließlich für ein Häusl in bisherigem Zustand, Umfang und in der Qualität des Vorgängerbaus erteilt werden.

Für den Bauherrn dürfe sich dieser Frevel keinesfalls rechnen. Matthias Rajmann, ein weiterer Nachbar und Heimat-Aktivist,berichtet, er sei telefonisch zum Geschäftsführer der Abrissfirma durchgedrungen. Mit mäßigem Erfolg, wie er sagt. Innerhalb eines kruden Gesprächs habe der Angerufene gleichwohl bekannt: "Uns ist ein Unfall passiert."

Behörden und Politik suchen eilends nach Möglichkeiten, dem widerrechtlichen Vorgehen zu begegnen. Eigentümer der flankierenden Nachbargebäude hätten inzwischen Anzeige gestellt, weil ihre Häuser beim Abriss beschädigt worden seien, bestätigt Helmut Biermeier, stellvertretender Chef der Giesinger Polizeiinspektion, am Rande der Kundgebung. Die Lokalbaukommission betreibe Aufklärung unter Hochdruck, sagt Maier. "Juristisch muss das sehr, sehr gut vorbereitet werden."

Matthias Rajmann glaubt, dass sich die Empörung über den Abriss so Bahn bricht, "weil hier eine ethisch-moralische Grenze überschritten wurde" an einem Ort, mit dem man sich identifiziert, der eigenen Heimat. Ute Häußler, die um die Ecke wohnt, mitmarschiert und der beim Halt des Kundgebungszuges vor dem Trümmerfeld die Suppe nur so von der Kapuze rinnt, sagt: "München hat genug Probleme mit Wohnraum. Investoren dürfen sich einfach nicht durchsetzen."

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