Demonstration am Rindermarkt:Hungern für ein besseres Leben

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Flüchtlinge und Unterstützer protestieren gegen die Flüchtlingspolitik der Staatsregierung. (Foto: Stephan Rumpf)

Zu wenig Unterkünfte, zu schlechte Bedingungen: Die Situation für Asylbewerber im Großraum München spitzt sich zu. 95 Flüchtlinge wollen das nicht mehr hinnehmen und greifen mitten in der Stadt zu drastischen Maßnahmen.

95 Flüchtlinge sind in München in einen Hungerstreik getreten. Die Aktion hat am Samstag im Anschluss an eine Demonstration begonnen. Die Flüchtlinge protestieren auf dem Rindermarkt gegen die aus ihrer Sicht unwürdigen Bedingungen, unter denen sie in Deutschland leben müssen, und fordern Asyl.

Der Protest fällt in eine Zeit, da immer mehr Asylsuchende im Raum München notdürftig untergebracht sind. In Berg am Laim musste sogar eine vor Jahren stillgelegte Container-Anlage wieder geöffnet werden.

Die Lage auf dem Rindermarkt war am Sonntagnachmittag ruhig, die Polizei ließ die Flüchtlinge, die mit Isomatten und Schlafsäcken dort lagern, gewähren. Sie stammen aus verschiedenen Ländern, darunter Bangladesch, Pakistan, Indien, Syrien, Afghanistan und Myanmar, und leben in verschiedenen Städten in Bayern. "Non-Citizen" nennen sie sich selbst, also "Nicht-Bürger", um so auf ihre prekäre Situation hinzuweisen. Vali Ghlam aus Pakistan, der in Passau untergebracht ist, erklärte, dass er und die anderen Asylsuchenden zunächst drei Tage lang nur Wasser zu sich nehmen wollten.

Sollte die Regierung bis dahin nicht auf ihre Forderung eingegangen sein, wollten sie auch das Trinken verweigern. In der Ankündigung zur Demo hieß es: "Wir wollen nachts keine Angst mehr haben, wenn wir die Albträume unserer Abschiebungen träumen, und wenn wir am Morgen aufwachen, wollen wir uns nicht in den isolierten ,Flüchtlingslagern' wiederfinden."

In einer Erklärung prangern die Protestierenden die Bundesregierung an, die Diktaturen politisch und wirtschaftlich unterstütze und so mitverantwortlich sei, dass viele Menschen zur Flucht gezwungen würden. Sie kritisieren, dass sie in Sammelunterkünften leben müssen, man sie zwangsweise mit Essenspaketen versorgt und sie der Residenzpflicht unterliegen.

Unterstützt werden die "Non-Citizens" von mehreren Dutzend Sympathisanten aus der linken Szene. Sie bildeten am Samstag aus Demo-Transparenten eine Art Schutz um die auf dem Boden sitzenden Asylsuchenden.

Seit Monaten spitzt sich die Situation bei der Unterbringung von Asylsuchenden zu, täglich kommen 25 bis 60 neue Asylbewerber in München an. Die Regierung von Oberbayern nutzt nun auch Plätze in der Bayernkaserne, wo die Stadt im Winter Obdachlose einquartiert hatte. Mit mehr als 1100 Asylbewerbern ist die ehemalige Kaserne bis zur Kapazitätsgrenze belegt - wie auch die anderen zehn Gemeinschaftsunterkünfte in der Landeshauptstadt.

Vergangene Woche hat die Regierung von Oberbayern die umstrittene Unterkunft in der St.-Veit-Straße in Berg am Laim wieder geöffnet, um der Situation überhaupt Herr werden zu können. Diese wurde im Jahr 2009 wegen unhaltbarer hygienischer Zustände geschlossen; mittlerweile warten in den Containern wieder 100 Personen auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge. Ohnehin nimmt die Landeshauptstadt deutlich mehr Flüchtlinge auf als vorgesehen: Mehr als 2200 Flüchtlinge leben derzeit in München - dem Schlüssel der Regierung zufolge müssten es 1700 sein.

Im Landkreis München gibt es um die Unterbringung dauernden politischen Streit. Die Zahl der zugewiesenen Flüchtlinge beträgt derzeit 367; schon damit haben die 29 Gemeinden und Städte gewaltige Probleme. Mit 124 leben die meisten Flüchtlinge in einer Gemeinschaftsunterkunft in Höhenkirchen-Siegertsbrunn, weitere 82 in einem baufälligen Gebäude in Ottobrunn. Als das Landratsamt in Putzbrunn eine Sammelunterkunft für 120 Asylbewerber bauen wollte, gründete sich eine Bürgerinitiative dagegen.

Widerstand regte sich auch in Brunnthal, als das Landratsamt einen stillgelegten Gasthof zu einem Flüchtlingsheim umfunktionieren wollte. Letztlich gab der Gemeinderat dem Druck nach und kaufte das Anwesen auf, um dies zu verhindern. Die Zahl der Flüchtlinge soll bis Jahresende auf bis zu 700 steigen, erklärte zuletzt Landrätin Johanna Rumschöttel (SPD). Sie hatte schon vor Monaten gedroht, die Menschen notfalls in einer Schulturnhalle unterzubringen und ihrer Verzweiflung Ausdruck verliehen: "Sollen wir Zelte aufstellen für die Flüchtlinge? Und wo sollen diese stehen?"

Groß ist die Not auch im Landkreis Ebersberg: Die 19 Unterkünfte für 143 Asylbewerber reichen längst nicht aus. Das Landratsamt prüft Notunterkünfte in Turnhallen oder die Errichtung von einfachen Wohnmodulen. Nicht selten müssen Flüchtlinge sehr abgelegen leben, etwa im Kreis Starnberg, wo die größte Unterkunft der Gasthof Mühlthal zwischen Gauting und Starnberg ist. Die Busverbindung ist schlecht, Behördengänge oder Einkäufe entsprechend mühsam.

© SZ vom 24.06.2013/beka/müh/stga/rzl - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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