Süddeutsche Zeitung

Demografie in Deutschland:Abenteuer München

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München verzeichnet hohe Zuzugsströme aus den Beitrittsländern der EU-Osterweiterung. Auch die Babachevs aus Bulgarien kamen in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Sie haben noch nicht viele Freunde gefunden und können sich nur eine kleine Wohnung leisten - doch weg wollen sie auf keinen Fall mehr.

Von Melanie Staudinger

Dimitar Babachev hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Sollte er seine Familie wirklich in der bulgarischen Heimat zurücklassen und ein neues Leben in München beginnen? Das vertraute Umfeld verlassen und seinen Kindern am Ende noch zumuten, in einem für sie unbekannten Land mit einer fremden Sprache aufzuwachsen? Der 40-Jährige hat den Schritt gewagt. "Die Chancen für uns sind hier viel besser als in Bulgarien", sagt er.

Vor 15 Monaten kam er deshalb nach München, zunächst alleine. Trotz aller Vorbereitung sei der Neustart sehr schwierig gewesen, erzählt er. Ohne seinen Bruder, der schon seit acht Jahren in der bayerischen Landeshauptstadt lebt, hätte er es wahrscheinlich nicht geschafft.

In Plovdiv, der zweitgrößten Stadt Bulgariens, ging es den Babachevs eigentlich nicht schlecht. Sie lebten gut integriert in einem großen Wohnblock, die Kinder hatten viele Freunde, Mutter Snezhana ihren regelmäßigen Frauenkreis. Der Vater verdiente als Spielwarenhändler genug für alle. Gerne erinnert er sich an seinen Heimweg von der Arbeit. Überall habe er Bekannte getroffen, sich mit ihnen kurz unterhalten, Neuigkeiten erfahren. "In Bulgarien sind die Menschen sehr herzlich", sagt Dimitar Babachev.

Wäre da nicht diese Unsicherheit gewesen. Marti, elf Jahre alt, und Tanja, sieben, konnten nicht alleine zur Schule gehen. "Das wäre zu gefährlich gewesen", erzählt ihr Vater. Der Bildungsstand sei zudem nicht sehr hoch. Ob seine Kinder später einen Job finden würden, sei fraglich gewesen.

Wie den Babachevs ergeht es vielen Menschen aus dem östlichen und südlichen Europa. Seit 2004 verzeichnet München hohe Zuzugsströme aus den Beitrittsländern der EU-Osterweiterung. In ihrem Demografiebericht weist die Stadt den sogenannten Wanderungssaldo aus. Hier sind, nach Herkunftsländern geordnet, Zu- und Wegzüge miteinander verrechnet. Den höchsten Saldo im vergangenen Jahr erreichen die Polen mit 3414 Menschen, gefolgt von Rumänien (3190), Deutschland (2709), Griechenland (2211), Ungarn (2197) und Bulgarien (1922).

Dimitar Babachevs Deutschland-Abenteuer begann im September 2011. Seine Familie blieb erst einmal in Bulgarien. Der 40-Jährige wollte Arbeit und eine Wohnung finden. Und er wollte Deutsch lernen: "Ohne Sprache bist du hier nichts." Sein Bruder verschaffte ihm eine Stelle als Pizzalieferant, in Pasing mietete er eine Zwei-Zimmer-Wohnung. Nebenbei besuchte Dimitar Babachev Deutschkurse, mittlerweile versteht er fast alles, nur das Sprechen fällt ihm manchmal noch schwer.

Nach neun Monaten holte er seine Frau nach, sie arbeitet als Putzfrau in einem Hotel. Nun reichte das Einkommen: Vor einem Vierteljahr konnten schließlich auch die Kinder nachkommen. Seitdem ist es eng in der Wohnung. Die Eltern schlafen im Wohnzimmer, in dem neben einem kleinen Tisch, einer Couch und dem Bett nur noch der Fernseher und zurzeit ein kleiner Weihnachtsbaum mit goldfarbenen Kugeln Platz finden. Die Kinder teilen sich den zweiten Raum. "Zum Glück ist die Küche relativ groß", sagt Snezhana Babachev.

Sohn Marti besucht mittlerweile die Übergangsklasse in der Mittelschule Blumenau. Dort sind Kinder aus vielen verschiedenen Nationen, die gerade erst nach Deutschland gekommen sind. Marti fühlt sich nicht als Außenseiter, alle müssen sich wie er erst in der neuen Umgebung zurechtfinden. Tochter Tanya hingegen geht in eine Regelklasse. "Sie hat es ein bisschen schwerer, weil sie noch nicht alles versteht", sagt ihr Vater.

Ihr Bruder hat auch schon die ersten Vorteile des deutschen Schulsystems ausgemacht: "Es gibt hier weniger Hausaufgaben", sagt Marti. Im kommenden Jahr will er sich eine Basketball-Mannschaft suchen und noch mehr Freunde finden. Immer nur mit der kleinen Schwester zu Hause Fernsehschauen wird auf Dauer doch langweilig.

Den sozialen Anschluss vermissen die Babachevs am meisten. Mit der Familie in Bulgarien halten sie übers Internet Kontakt, in München kennen sie nur ein paar andere Familien. "Es ist nicht leicht, hier Freunde zu finden", sagt Vater Dimitar. Neben Arbeit und Deutschkursen bleibe nur wenig Zeit. Und anders als in Bulgarien treffe man seine Nachbarn nicht so häufig. "Das Leben spielt sich in München weniger auf der Straße ab", sagt der 40-Jährige. Dafür sei es allerdings auch wesentlich ruhiger als in Plovdiv.

Für 2013 haben sich die Babachevs viel vorgenommen. Sie wollen bessere Jobs finden und sich so eine größere Wohnung leisten können. "Lange können die Kinder nicht mehr in einem Zimmer schlafen", sagt Dimitar Babachev. Auch wenn die Familie noch nicht lange in München ist, steht für sie fest: "Wir bleiben."

Ein paar deutsche Worte hat Tochter Tanya auch schon gelernt. "München gefällt mir sehr", sagt sie und lacht. Vor allem der Tanz- und Schwimmunterricht - den gab es in Bulgarien nicht.

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Quelle:
SZ vom 28.12.2012
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