Süddeutsche Zeitung

Demjanjuk-Prozess: Plädoyers:"Brechen Sie Ihr Schweigen!"

Mehr als 30 Nebenkläger treten im Prozess gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Demjanjuk auf. Ihre Anwälte haben sich nun in den Plädoyers geäußert - und appellieren an den Angeklagten, endlich zu reden.

Robert Probst

Nach dem Plädoyer des Staatsanwalts haben im Prozess gegen John Demjanjuk vor dem Münchner Landgericht auch die ersten Vertreter der Nebenklage eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord gefordert. "Am Ende muss Gerechtigkeit hergestellt werden, damit ein schändliches Kapitel der Weltgeschichte endlich geschlossen werden kann", sagte etwa der US-Anwalt Martin Mendelsohn.

Am Dienstag hatte Ankläger Hans-Joachim Lutz eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren verlangt. Er wirft Demjanjuk, 90, vor, 1943 im Vernichtungslager Sobibor "bereitwillig" bei der Ermordung von mehr als 27.900 Juden mitgewirkt zu haben. Auch die bisher zu Wort gekommenen Anwälte der Nebenkläger sehen dies als erwiesen an.

Mehr als 30 Personen, vor allem aus den Niederlanden, treten in dem Prozess als Nebenkläger auf. Sie alle haben Familienangehörige in Sobibor verloren. Sie werden von neun Anwälten vertreten, die nun ihre Schlussvorträge begonnen haben. Einige der betagten Nebenkläger wollen im April selbst nach München kommen und zum Gericht sprechen. Die meisten von ihnen hatten bereits zu Beginn der Hauptverhandlung von ihrem bewegenden Schicksal erzählt.

Und so rückte nun nach langer Zeit wieder die Perspektive der Opfer in den Mittelpunkt. "Meine Mandanten fordern nicht Rache, sondern Gerechtigkeit im Namen der Ermordeten", sagte etwa Anwalt Rolf Kleidermann. Nach der Beweisaufnahme stehe fest, dass sich Demjanjuk im Lager Trawniki von den Deutschen zum Wachmann habe ausbilden lassen und anschließend im Todeslager Sobibor Dienst tat. Wer Zweifel an seiner Tatbeteiligung habe, solle sich in die Lage der dort ankommenden Juden versetzen, von denen Hunderte, ja Tausende nach Ankunft eines Deportationszuges innerhalb von Stunden vergast worden seien.

Demjanjuk habe sich beim Vernichtungsprozess die ganze Zeit an "vorderster Front" befunden. Kleidermann erinnerte auch an das Maß der "Verrohung und Entmenschlichung", derer es bedürfe, wehrlose Menschen in die Gaskammern zu treiben. Er verkenne nicht die Lage des Angeklagten als Kriegsgefangener der Wehrmacht, aber der Wandel zum Mittäter der Nazis beim Holocaust verdiene "keine Nachsicht".

Mendelsohn, der zusammen mit Stefan Schünemann die beiden Sobibor-Überlebenden Thomas Blatt und Philip Bialowitz vertritt, hält es ebenfalls für erwiesen, dass Demjanjuk ein "Teil der Vernichtungsmaschinerie" gewesen sei: "Ein Schuldspruch ist ein wichtiger Schritt, den Glauben der Menschen in die Funktionsfähigkeit des Staates und einer zivilisierten, demokratischen und unabhängigen Justiz wiederherzustellen."

Schünemann betonte im Namen seiner Mandanten, ihnen liege nichts daran, "an einem alten Mann ein Exempel zu statuieren. Sie wollten von Anfang an immer nur die Wahrheit. Die Wahrheit über Sobibor und die Wahrheit über die Toten." Ein konkretes Strafmaß wurde von keinem der Anwälte verlangt. Die Höchststrafe bei Beihilfe zum Mord sind 15 Jahre Gefängnis.

Einhelliges Lob gab es für die Schwurgerichtskammer, die ein langes und komplexes Verfahren souverän geführt habe - "die Integrität und Fairness dieses Verfahrens, wie immer die Entscheidung des Gerichts lauten mag, ist ein Lehrstück für die ganze Welt", sagte Mendelsohn.

Gleichzeitig gab es einhellige Kritik an der Strategie des Wahlverteidigers Ulrich Busch, der den Prozess mit Verschwörungstheorien und ungewöhnlichen Alibi-Konstruktionen in die Länge gezogen habe. Ausführlich beschäftigten sich einige Anwälte mit dessen Methoden und rügten "fast gebetsmühlenartige Wiederholungen" und seine Versuche, die Öffentlichkeit mit unpassenden Argumenten in die Irre zu führen.

Alle Nebenklagevertreter bedauerten schließlich, dass Demjanjuk die Chance zu einer Aussage zu den Vorgängen vor fast 70 Jahren nicht wahrgenommen habe. Anwalt Hardy Langer appellierte in seinem Schlusswort an den Angeklagten: "Sehen Sie den Nebenklägern in die Augen und berichten Sie detailliert, was Sie bewogen hat, in Sobibor Dienst zu tun. Zeigen Sie Ihr Gewissen und brechen Sie Ihr Schweigen."

Das Verfahren wird am 13. April fortgesetzt, ein Urteil ist für Mitte Mai geplant.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1076217
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.03.2011/tob
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.