Debatte um Atomausstieg:Christliche Salto-Union

Historische Wende. Die CSU wirft über Nacht ihre Atompolitik über Bord. Isar 1 wird abgeschaltet - noch heute. Doch FDP-Minister Zeil hat Bedenken.

Christian Sebald und Mike Szymanski

Das traditionell kernkraftfreundliche Bayern leitet das Ende des Atomzeitalters ein. Der Alt-Reaktor Isar1 bei Landshut wurde bereits am Dienstag vom Netz genommen und wird nun heruntergefahren und abgeschaltet - und zwar voraussichtlich für immer. Bund und Länder haben als Reaktion auf die nukleare Katastrophe in Japan beschlossen, Reaktoren, die vor 1980 ans Netz gegangen sind, für drei Monate abzuschalten. Umweltminister Markus Söder (CSU) stellte am Dienstag in Aussicht, dass der störanfällige Meiler bei Landshut auch nach diesem Moratorium nicht wieder angefahren wird. Damit vollzieht die CSU, die jahrzehntelang der vehementeste Verfechter der Atomkraft war, eine historische Wende in ihrer Energiepolitik.

Brennelemente in Atomkraftwerk

Brennelemente in einem Atomkraftwerk: Bayerns Umweltminister Markus Söder will Isar 1 abschalten - möglicherweise für immer.

(Foto: dpa)

Ministerpräsident Horst Seehofer sagte nach einem Gespräch mit Kanzlerin Angela Merkel und den Länderchefs, die Politik habe mit diesem Schritt "die richtige Antwort gegeben auf die Zäsur, die durch Japan zweifelsohne entstanden ist". Die Opposition im Landtag begrüßt den Schritt. Sie wirft der schwarz-gelben Staatsregierung aber Verlogenheit vor, weil sie sich noch 2010 massiv für die Laufzeitverlängerung der Atommeiler eingesetzt hatte. Die Freien Wähler verlangten sogar einen Rücktritt - von Söder oder Seehofer.

Die Abschaltung von Isar1, die am Dienstag bereits vorbereitet wurde, dürfte keinerlei Auswirkungen auf die Stromversorgung haben. Bei der Betreibergesellschaft Eon hieß es, man werde die Ausfälle lückenlos kompensieren können. "Wir haben genügend andere Kraftwerke, die nicht an der Kapazitätsgrenze arbeiten", sagte ein Sprecher in der Konzernzentrale in Düsseldorf. "Die werden wir entsprechend hochfahren." Für Eon ist aber noch nicht ausgemacht, dass der Reaktor endgültig stillgelegt wird.

Die Kernkraftwerke Isar, Gundremmingen und Grafenrheinfeld decken bislang weit mehr als die Hälfte des Strombedarfs im Freistaat. Deutschlandweit liegt die Atomstrom-Quote bei etwas über 20 Prozent. Der Reaktor Isar 1, der 1979 ans Netz ging, ist mit 878 Megawatt Leistung der leistungsschwächste im Freistaat. Dennoch produziert Isar1 mit ungefähr 6,5 Milliarden Kilowattstunden Strom im Jahr so viel Energie wie die Stadt München verbraucht.

Söder begrüßte die Entscheidung von Eon. "Damit geht Isar 1 vom Netz. Wir wollen, dass es dabei auch bleibt", sagte er. "Denn Isar1 ist der einzige bayerische Reaktor, der gegen den Absturz eines großen Verkehrsflugzeuges nicht ausreichend gesichert ist." Die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine dauerhafte Abschaltung des Alt-Reaktors müsse allerdings der Bund klären.

Im nur wenige Kilometer von Isar1 entfernten Landshut überwiegt die Erleichterung über die Abschaltung. "Auf diesen Schritt haben wir dringend gewartet", sagt der Landshuter OB Hans Rampf (CSU). "Dass der Ausstieg endlich kommt, freut uns sehr." Die Landshuter CSU hatte die Stilllegung vor einem Jahr verlangt und war dafür von der Parteispitze kritisiert worden. "Unseren Parteioberen hätte es schon damals gut angestanden, sich stärker mit unseren Argumenten auseinanderzusetzen", sagte Rampf. "Es ist traurig, dass dies offenbar erst unter dem Eindruck der Katastrophe in Japan möglich wurde."

Freie Wähler: Personelle Konsequenzen

Vor allem aber ist der Beginn des Atomausstiegs ein Erfolg für die Grünen, wenn auch ein später. "Es ist bitter genug, dass es nach jahrzehntelangem Kampf ein solches Ereignis wie in Japan braucht, um in Bayern zu einer Wende zu kommen", sagte Landeschef Dieter Janecek. Er warf der CSU, die immer gegen einen Ausstieg gekämpft hatte, Verlogenheit vor. Die Bevölkerung sei stets über die Gefahren der Kernenergie getäuscht worden. Nun müsse jedem klar sein, dass die Atomkraft eine letztlich nicht beherrschbare Risikotechnologie sei. Unter dem Motto "Zurück zur Vernunft" haben die Grünen eine Unterschriftenaktion gestartet und fordern die Rückkehr zum unter Rot-Grün beschlossenen Atomausstieg.

Die Freien Wähler verlangten personelle Konsequenzen von der CSU. "Wenn sich der für Reaktorsicherheit zuständige Minister heute genauso wie der Ministerpräsident hinstellt und feststellt, dass Isar1 abgeschaltet werden müsse, weil es gegen Flugzeugabstürze nicht gesichert sei, dann muss mindestens einer der beiden zurücktreten", sagte FW-Chef Hubert Aiwanger. "Beide haben in der Vergangenheit vielfach exakt das Gegenteil behauptet." Die SPD will per Dringlichkeitsantrag in der Landtagssitzung am Donnerstag erreichen, dass Isar1 für immer abgeschaltet bleibt. Per namentlicher Abstimmung will sie die Abgeordneten von CSU und FDP zwingen, sich dazu zu bekennen.

Innerhalb der schwarz-gelben Koalition ist der abrupte Ausstieg umstritten. Vor allem der liberale Wirtschaftsminister Martin Zeil hatte sich für die Laufzeitverlängerung stark gemacht. Er steht bei den Unternehmern im Wort, die sich günstigen Strom wünschen und vor einer Rücknahme der Laufzeitverlängerung warnen.

"Ein abrupter Ausstieg aus der Kernenergie hätte nicht nur ökonomische, sondern auch ökologische Folgen", sagte Zeil. "Nur mit der Kernkraft als Brückentechnologie können wir unsere ehrgeizigen Klimaschutzziele erreichen und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie erhalten."

Zeil muss sich aber auch dem Druck seiner eigenen Partei beugen. In Berlin trägt die FDP die Stilllegung von Isar1 mit. Und auch in Bayern gibt es Befürworter. So nannte der FDP-Abgeordnete Tobias Thalhammer die Entscheidung "eine Bestätigung unserer Umweltpolitik".

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