Debatte:Musiker will Stadt München verklagen
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Denn das Image der Stadt schade Münchens Künstlern, findet Sebastian Schnitzenbaumer, von "Standortnachteil" ist die Rede.
Von Dirk Wagner
Die Platte hör ich mir gar nicht erst an, weil sie kommt aus München", war im Internet zu lesen. "Schon wieder ein Produkt weniger an den Mann gebracht, nur weil das Image der Stadt keine coole Popmusik assoziiert", dachte sich Sebastian Schnitzenbaumer vom Münchner Schallplattenlabel Schamoni Musik und erwägt nun mit einem Rechtsanwalt, die Landeshauptstadt stellvertretend für ihre 1,4 Millionen Einwohner auf Schadensersatz zu verklagen. Schließlich schüfen die Einwohner ein München-Bild, dass es unmöglich mache, mit moderner Popmusik über die Stadtgrenzen hinaus glaubwürdig zu erscheinen. Selbst als die Kölner Musikzeitschrift Spex 2003 den Münchner Sound als eine "Mischung aus Punk und Glamour" feierte, blieb ein nachfolgender München-Boom aus. "Offensichtlich können Musikindustrie und Medien nicht ganz losgelöst von musikkulturellen Prozessen und Identitäten agieren", kommentierte das Thomas Götz 2009 in einem Vortrag, der auch in der von Johannes Moser und Eva Becher 2011 im Herbert Utz Verlag herausgegebenen Textsammlung "München-Sound. Urbane Volkskultur und populäre Musik" nachzulesen ist.
Dabei war München sehr wohl mal Hauptstadt der Disko-Bewegung. Donna Summer wurde hier erschaffen. Internationale Rockstars wie die Rolling Stones oder Deep Purple nahmen hier auf. Selbst der Deutschpunk fand hier in den Marionetz einen Vorläufer. Das offizielle München-Bild nach außen sei mittlerweile aber eine Fusion aus bayrischem Idyll und Hightech, Lederhose und Laptop, schimpft der Münchner Autor Matthias Hirth. Darum sei es für einen Künstler auch immer ein bisschen peinlich, aus München zu sein. Entsprechend viele Künstler ziehen folglich in angesagtere Städte wie Berlin oder Barcelona. Natürlich hat das auch mit überhöhten Mietpreisen zu tun. Wer in einer unterbezahlten Subkultur wirkt, kann sich wegen der teuren Ateliers und Proberäume weder die Arbeit in dieser Stadt noch das Leben darin leisten. In der Subkultur aber würde das gesellschaftliche Transformationswissen ausprobiert und vorgelebt, behauptet Hirth. Wenn demnach randständigen Existenzen der Subkultur der Lebensraum genommen werde, habe München keine Zukunft mehr. Denn, so stellt Franz Liebl, Professor für Strategisches Marketing, fest: Das Neue kommt immer vom Rand und nie aus der Mitte der Gesellschaft.
Allein schon darum würde der Rand mehr Zuwendung verdienen, meint der Münchner Künstler Holger Dreissig. Während etwa die Kammerspiele mit 30 Millionen Euro für ihre Hochkultur gefördert würden, würde die gesamte freie Theaterszene mit gerade mal 1,5 Millionen Euro unterstützt. Nicht selten ist solche Unterstützung noch dazu als Anschub-Finanzierung gedacht. Aber, so räumt Matthias Hirth ein: "Ein Theater trägt sich nie selbst. Da hilft auch keine Anschubfinanzierung." "Die Unterwerfung der Kultur unter die Verwertbarkeit ist die Entwertung dessen, was nicht verwertbar ist", zitiert Dreissig die ehemalige Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Berlin, Adrienne Goehler.
Letztlich hat das alles aber auch mit der Frage zu tun, in welcher Stadt wir eigentlich leben möchten, meint Hirth und fragt: "Wollen wir zwischen lauter Angestellten einer Werbeagentur rumlaufen? Welche Leute interessieren uns denn? Es muss doch auch was Wildes geben?" Zusammen mit anderen Kulturschaffenden dieser Stadt geht er dem Problem nun in der Veranstaltungsreihe "Monokultur München. Autopsie einer Stadt" auf den Grund. In Vorträgen, Diskussionen und Performances soll über die Notwendigkeit und Möglichkeiten einer Kunst in München nachgedacht werden, die nicht nur als Aktie die schickste Form der Steuerhinterziehung darstelle.
Markus Metz und Georg Seeßlen beschrieben solche Enteignung von Kunst in Zeiten des Neoliberalismus und der Postdemokratie in der Tat bereits in ihrem vor zwei Jahren erschienenen Pamphlet "Geld frisst Kunst - Kunst frisst Geld". Dieses Buch hatte die Organisatoren der Reihe auch bei ihren Überlegungen darüber begleitet, wie sie der eigenen Unzufriedenheit mit ihrer Situation in München begegnen wollen. Nun sind sie mächtig stolz darauf, dessen beide Autoren auch für einen Vortrag am 16. November in der Favoritbar gewonnen zu haben.
Am Mittwoch, 12. Oktober, startet "Monokultur München" mit der nach einem Clash-Song benannten Frage: "Munich, Should I Stay Or Should I Go?" Die Initiatoren der Reihe sprechen dann mit Gästen über das Unbehagen an ihrer Stadt - geladen ist auch Tuncay Acar, der unter anderem lange Zeit das Programm im Import Export gestaltet hat. München sei dabei noch nicht einmal ein Sonderfall, sondern eher ein Extremfall, sagt Mit-Initiatoren Peter Pfaff. Die Kommerzialisierung von Kunst, wie man sie in München erlebe, sei mittlerweile auch schon andernorts zu bemerken. So gesehen sei München dann sogar doch wieder einmal Vorreiter.
Am 5. Dezember endet die Reihe dann mit der Verlesung der Klageschrift gegen die Stadt München. Deren Tenor: "Das vom offiziellen City-Marketing verbreitete Hochglanz-Münchenbild ist zu einer Belastung für Kunst- und Off-Szenen beziehungsweise deren Produkte geworden. Der Standortnachteil, München als Wohnort in seiner Künstler-Biografie stehen zu haben, darf nicht mehr von den politisch Verantwortlichen ignoriert werden."
Monokultur Münch en , Veranstaltungen: 12. Okt. - 5. Dez., Favoritbar, Damenstiftstr. 28, Eintritt frei