Das "Schwobisch", das ein Bairisch ist:Vertraute Töne in den Karpaten

Lesezeit: 2 Min.

Aus wirtschaftlicher Not waren die Vorfahren der Dorfbewohner am Anfang des 19. Jahrhunderts aus dem Böhmerwald in die Karpaten übersiedelt. Bei den Älteren hat sich der Dialekt bis heute erhalten.

Hans Kratzer

Als die Dialektologen Alfred Wildfeuer, Ulrich Kanz und Julie Zehetner im August 2005 in fünf ukrainischen Dörfern ihre Spracherhebungen starteten, trafen sie bei den Bewohnern auf einen bairischen Dialekt, der noch heute weitgehend frei ist von anderssprachlichen Einflüssen.

Joseph Penzenstadler und Veronika Peterlek, in der Ukraine lebende Nachkommen bairischer Auswanderer. (Foto: Foto: oh)

Bei den Sprechern, deren Zahl allerdings rapide schwindet, hat sich ein altertümliches Bairisch erhalten, das große Ähnlichkeiten zu den heutigen Dialekten des Bayerischen Waldes und des Böhmerwaldes aufweist.

Dieses Phänomen ist aber leicht zu erklären: Aus wirtschaftlicher Not waren die Vorfahren der Dorfbewohner am Anfang des 19. Jahrhunderts aus dem Böhmerwald in die Karpaten übersiedelt.

Dort grenzten sie sich freilich ab und blieben weitgehend unter sich - ganz in der Manier heutiger Parallelwelten von Ausländern in deutschen Städten. Sprache und Lebensform wurden damit auch in der Fremde über Jahrhunderte hinweg konserviert.

Die Ukrainer bezeichnen ihren alten Ortsdialekt als Schwobisch, obwohl es sich um ein reines Bairisch handelt. Die Aufnahmen der Regensburger Forscher zeigen lediglich kleine Verschiebungen. So haben sich die Böhmerwäldler nach der Auswanderung eine L-Vokalisierung angeeignet, die in ihren alten Heimatdörfern im Böhmerwald unbekannt ist (aus Welt wurde Wejd).

Alfred Wildfeuer hat aber festgestellt, dass Begriffe, die in Bayern veraltet sind, auch in der Ukraine verschwinden, wie zum Beispiel die Wochentagsnamen Irta (Dienstag) und Pfinzta (Donnerstag).

Außerdem wird in den untersuchten ukrainischen Dörfern das geschlossene O diphtongiert. Aus Wossa (Wasser) wird also Woussa, aus mocha (machen) wird moucha, aus lossn (lassen) wird loussn - ähnlich wie man es noch bei alten Menschen im Rottal hört.

Wie im Bayerischen Wald sagen die Ukrainer "oa Goass" (eine Geiß), aber im Plural: "zwou Gojss" - der Diphtong wird umgebaut. Auffallend ist, wie sich das niederbayerische "ou" verändert: Aus Broud (Brot) wird Braut, aus Oustern (Ostern) wird Austern, aus grouß (groß) wird grauß, aus Ochs wird Auchs, aus Tochter wird Dauchter.

"Damit wird verhindert, dass das Phonem "ou" mit Wörtern überfrachtet wird", sagt Alfred Wildfeuer.

Wie schnell sich diese Sprache im gesellschaftlichen Wandel verändert, erfuhren die Forscher in einer Familie in Pusnjak, in der zufällig die nach Deutschland ausgewanderte Tochter zu Besuch war.

Während sich die seit vielen Jahren in Ingolstadt lebende Frau ein slawisch klingendes Deutsch angeeignet hat, spricht die in der Ukraine lebende Mutter ein akzentfreies Bairisch. Der Sohn spricht dagegen kein Deutsch mehr.

Einen Schrecken jagte den Besuchern dagegen eine alte Frau ein. Sie tischte Dobernigl (Steinpilze, auch im Bayerwald werden sie so genannt) und Champignons auf. Dann sagte sie: "I siehg ja so schlecht, wenn i ned mitm Fuaß dagegen renn, nachad find i koane mehr."

Jetzt spürten die Gäste doch ein flaues Gefühl im Magen. Denn ein Nachbar merkte an: "Bei uns gibts gor koane Champignons." Dennoch: Es war kein Giftpilz, alle drei überlebten die Mahlzeit.

© SZ vom 7.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: