Das Münchner Hofbräuhaus:Die Welt im Maßkrug

Ein Buch spürt der Magie des Hofbräuhauses nach. Aber hält dieser Münchner Mythos noch, was er in Las Vegas und Tokio verspricht? Ein Besuch.

Anna Fischhaber

Stimmengemurmel in allen Sprachen, hier und da ein Lachen, dann ertönt wieder ein Tusch. Das Münchner Hofbräuhaus kann man erahnen, bevor es zu sehen ist. Japaner, Amerikaner und Italiener drängen sich in den verwinkelten Gässchen der Altstadt, immer wieder fragen sie nach dem Weg zum berühmtesten Wirtshaus der Stadt. Der Schankbetrieb sei kein totes Denkmal, sondern eine "quicklebendige Traditionsgaststätte", schreibt Annette von Altenbockum in ihrem gerade erschienenen Buch "Das Münchner Hofbräuhaus". Aber hält das einst königliche Brauhaus heute noch, was die Autorin verspricht? Ein Besuch.

Das Münchner Hofbräuhaus: Die Melodie zum Hofbräulied, das mehrmals am Tag am Platzl ertönt, stammt nicht - wie viele vermuten - aus Bayern, sondern aus der Feder des Berliner Komponisten Wiga Gabriel.

Die Melodie zum Hofbräulied, das mehrmals am Tag am Platzl ertönt, stammt nicht - wie viele vermuten - aus Bayern, sondern aus der Feder des Berliner Komponisten Wiga Gabriel.

(Foto: Foto: Prestel Verlag)

Den Münchner verbindet bekanntermaßen eine Hassliebe mit dem Traditions-Bierpalast am Platzl - und so kostet der Weg am FC-Bayern-Fanshop und Hard Rock Café vorbei ein ganzes Stück Überwindung. In Altenbockums Buch ist von dieser ambivalenten Beziehung wenig zu spüren. Spätestens, wenn man auf einer der langen Holzbänke sitzt, eine Maß vor sich, und einem wildfremde Menschen zuprosten, sei man mittendrin, in dieser Hofbräuhaus-Magie, schreibt die Autorin.

Schließlich habe schon Lenins Frau Nadjeschda Krupskaja bemerkt: "Besonders gern erinnern wir uns an das Hofbräuhaus, wo das gute Bier alle Klassenunterschiede verwischt." Die klassenlose Gesellschaft von Biertrinkern wird auch in zahlreichen Liedern gepriesen - so auch im Hofbräulied, das man nach einem Besuch am Platzl auswendig kann. Dabei stammt die Melodie dazu nicht einmal aus Bayern, sondern aus der Feder des Berliner Komponisten Wiga Gabriel. Dennoch haben es das Hofbräuhaus und sein Lied als Exportschlager bis nach Las Vegas geschafft.

Miggamingara und Maßkrugsafes

Altenbockums Buch könnte ein bisschen mehr Distanz gegenüber der bierseligen Völkerverständigung nicht schaden. Über die Münchner Gäste finden sich dagegen ein paar nette Details. An diesem Nachmittag sieht es in der traditionsreichen Schwemme im Erdgeschoss des Hofbräuhauses jedoch zunächst so aus, als hätten sich alle Einheimischen versteckt. Ein paar Koreanerinnen fotografieren sich fröhlich beim Weißwurstessen - und das obwohl es schon weit nach zwölf Uhr ist. Die meistgesprochene Sprache ist Italienisch.

Der Freistaat Bayern, dem das Bräuhaus gehört, freut sich über den Globalisierungshit aus München. Besorgt um die Authentizität der Marke Hofbräuhaus, betonen die Wirte Sperger jedoch gerne, dass die Hälfte der Besucher waschechte Münchner seien. Und wirklich spricht gegen die Vermutung, dass der Bierpalast lediglich eine Schmierkomödie ganz ohne einheimische Beteiligung sei, die Ansammlung gestandener Alt-Bayern an den Stammtischen im Hintergrund - selbst Disneyland hätte das nicht so klischeehaft hinbekommen.

Andreas Holzer ist so ein bayerisches Phänomen. Jeden Mittwoch trifft man den Rentner mit seinen Freunden im Hofbräuhaus; Miggamingara steht auf dem aufwendig gestalteten Schild über dem Stammtisch - "Migga" heißt Mittwoch, "Mingara" wiederum entspricht "Münchner".

Getrunken wird bei den Mittwochsmünchnern ausschließlich aus dem eigenen Krug. Schließlich ist Holzer einer der ersten Besitzer eines Maßkrugtresors überhaupt. Bereits seit 1972 verwahrt er hinter dem Riegel Nummer 191 seinen wertvollen Keferloher Krug, den er nach jedem Gelage selbst "ausschwoabt" - eine Ehre, die nur den alteingesessenen Stammtisch-Dynastien zuteil wird. Die Miete für den Biersafe sei in den vergangenen Jahren kaum gestiegen, erzählt Holzer in breitem Bairisch. Drei Euro kostet ihn das Schließfach - pro Jahr.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum das Hofbräuhaus Bayern vor dem Bankrott rettete.

Die Welt im Maßkrug

Dabei wurde das Hofbräuhaus einst gegründet, um den Staatsbankrott abzuwenden. Man schrieb das Jahr 1589, als Herzog Wilhelm V., auch genannt der Fromme, den Auftrag gab, "ain aigen Preuhaus zu erpauen". 2000 Eimer Freibier forderte sein Hofstaat jährlich.

Das Münchner Hofbräuhaus: Otto Albert, 83, zeigt seinen Stammtisch-Bierdeckel.

Otto Albert, 83, zeigt seinen Stammtisch-Bierdeckel.

(Foto: Foto: Fischhaber)

Das dünne Gesöff der Münchner Klosterbrauereien war den vornehmen Herrschaften allerdings nicht gut genug, und so musste der Herzog teures Starkbier aus dem Norden importieren. Die Transportkosten brachten ihn an den Rande des Ruins - und so beschloss der findige Wilhelm, sein eigenes Bräuhaus zu gründen. Als Standort wählte er das Bad des Alten Hofes, das nur wenige Meter vom heutigen Hofbräuhaus entfernt lag.

Allerdings soll dieser Vorgängerbau trotz weitverbreiteter Romantisierungen ein ziemlich düsteres Gemäuer gewesen sein. Erst Prinzregent Luitpold verwandelte das schmucklose Hofbräuhaus 1896 in einen königlichen Bierpalast. Er verbannte die Brauerei in die Innere Wiener Straße und beauftragte den Chemnitzer Baumeister Max Littmann, ein Wirtshaus im Renaissancestil am Platzl zu erbauen - jenen Bierpalast, der heute bis nach Las Vegas als Vorbild der Wirtshausarchitektur gilt. Wendet man den Blick in der Schwemme einen Moment vom Bier hoch gen Himmel, kann man noch immer die reichverzierten Deckengemälde bewundern.

50 Dollar fürs Stammtischsitzen

"Es hat sich kaum etwas verändert", sagt Otto Albert, der 1929 erstmals das Hofbräuhaus von innen sah. Damals verbrachte der Vierjährige viel Zeit unter den Kastanien im Biergarten, wo er auf seinen Onkel wartete, der hier seine Gelage abhielt. An besonders kalten Tagen schlich sich der kleine Otto in die Schwemme, um heimlich einen Schluck vom wärmenden Bier zu nehmen.

Heute ist Otto Albert 83 Jahre alt und selbst Stammgast im Hofbräuhaus. Stolz zeigt er den Bierdeckel mit dem Foto seines Altbayern-Stammtisches drauf. Er ist inzwischen so etwas wie eine Berühmtheit im Hofbräuhaus. Immer wieder wollen Touristen den alten Mann im Trachtenjanker fotografieren. Eine Gruppe Amerikaner bietet ihm sogar 50 Dollar an, nur um ein paar Stunden am altbayerischen Stammtisch verbringen zu dürfen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Hofdamen früher sieben Liter Weißbier am Tag tranken.

Die Welt im Maßkrug

Vielleicht deshalb quittiert Albert den gestiegenen Bierpreis nur mit einem Achselzucken, auch wenn er sich noch an 60 Pfennig für die Halbe erinnern kann. Die Zeit, als die Anhebung des Bierpreises in München zu Krawallen mit Toten und Verletzten geführt hat, scheint endgültig vorbei zu sein. Wobei das Königshaus bereits im 19. Jahrhundert vorausschauend handelte: Ludwig I. senkte damals kurzerhand den Preis für das Hofbräubier, um Arbeiter und Soldaten zu besänftigen. Sein Brauhaus blieb in den folgenden Jahren von Verwüstungen verschont.

Sieben Liter Weißbier für die Schönheit

Allerdings konnte es mit der steigenden Biernachfrage kaum Schritt halten und musste immer wieder wegen Biermangels geschlossen werden, was für neuen Unmut sorgte - besonders bei den Hofdamen. Die nämlich hielten, so hat es zumindest Annette von Altenbockum für ihr Buch recherchiert, Weißbier für ein Schönheitsmittel. Bis zu sieben Liter sollen sie am Tag getrunken haben - und das obwohl ein erfrischender Schluck des Gebräus damals der letzte sein konnte: Um die berauschende Wirkung des Bieres zu erhöhen, mischten die Münchner Brauer abenteuerliche Zutaten wie Salbei, Eicheln, Ochsengalle und Bilsensamen bei.

Hye-lim Choi, wohnhaft in Köln und zum ersten Mal zu Besuch im Hofbräuhaus, schneidet eine Grimasse. Ihr ist das Weißbier sowieso zu bitter, sie vermisst in München das Kölsch. Jetzt schneidet auch Otto Albert eine Grimasse - schließlich hat das Weißbier des Hofbräuhauses einst München gerettet. Bis zu den Stadtmauern waren die Schweden im Dreißigjährigen Krieg vorgedrungen, als eine Belagerung noch einmal gegen die Gabe von 100.000 Liter Weißbier abgewendet werden konnte.

Saalschlachten und Polizeistammtische

Etwas heikler ist die Rolle des Hofbräuhauses im "Dritten Reich". Bereits 1920 mietete ein gewisser Adolf Hitler den Saal, um vor 2000 Gästen eine Hetzrede zu halten. Der Abend endet in einer Saalschlacht. Dennoch feierte eben jener Hitler zwischen 1933 und 1939 alljährlich den Parteigründungstag der NSDAP hier - allerdings nur mit Mineralwasser.

Heute ist Politik an den meisten Stammtischen tabu. Zum Beispiel bei den Polizisten, die sich seit 1954 im oberen Stock im Bräustüberl treffen. Auch Frauen sind hier nicht erwünscht, dafür nimmt ein Pfarrer am Gelage der pensionierten Beamten teil. Witze werden erzählt, plötzlich sagt einer der ergrauten Polizisten in die Pause hinein: "Früher haben sie alle nur von jungen Mädchen geredet, heute geht es oft um Krankheiten." Wie der Mythos Hofbräuhaus sind auch seine Stammgäste nicht jünger geworden, bleibt zu hoffen, dass der Mythos nicht mit ihnen ausstirbt. Einstweilen aber wird, auch in der Krise, fröhlich weitergetrunken.

Annette von Altenbockum: "Das Münchner Hofbräuhaus - Das Wirtshaus, das Bier und weitere Glaubenssätze.", Prestel Verlag, 14,95 Euro, ISBN 978-3-7913-4015-9

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