Das ist nicht schön:Tür zu, Tür auf

Zum Kuddelmuddel um die Schließung der Bibliotheken

Von Antje Weber

Wer jetzt kein Buch hat, leiht sich keines mehr? Wer jetzt keine umfangreiche CD-, DVD- und Spielesammlung sein Eigen nennt, kann nur noch unruhig in den frostigen Alleen hin und her wandern? Seit Dienstag sind in Bayern die Bibliotheken und Archive geschlossen, mit Ausnahme der wissenschaftlichen Bibliotheken. Seit Dienstag hatten viele Kinder und Erwachsene das Gefühl, sie müssten die noch in den letzten Novembertagen ergatterten Bücher und sonstigen Medien hüten wie Gollum aus "Herr der Ringe" seinen Schatz. Mussten sich darauf einstellen, sie wieder und wieder lesen und hören zu müssen, über Wochen, vielleicht Monate. Eine Geduldsprobe. Oder doch ein Armutszeugnis?

Der Sonderweg Bayerns, das als einziges Bundesland auch noch die Büchereien von Dezember an dicht machte, hatte in dieser Woche zu harschen Protesten geführt, unter anderen vom deutschen Pen-Zentrum. In einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten Markus Söder und Kunstminister Bernd Sibler kritisierte die Schriftstellervereinigung die Entscheidung. Mit "großer Besorgnis und Unverständnis" wies sie darauf hin: "Bibliotheken stellen einen unverzichtbaren Zugang zu Wissen und Bildung dar, gerade auch für diejenigen, die sich die Bücher, die sie gerne lesen möchten, nicht kaufen können." Dazu fragte man, warum die Bibliotheken trotz überzeugender Hygienekonzepte geschlossen worden seien, während Sexshops und Dekorationsgeschäfte weiter ihre Produkte verkaufen dürften. Das zeige "schmerzlich", dass die Bayerische Staatsregierung die Bedeutung von Kultur und Bildung als "nachrangig" ansehe.

Solcherlei Kritik wollte Kunstminister Sibler dann doch nicht auf sich sitzen lassen. Am Donnerstag gab er bekannt, auch er empfinde die Schließungen als "sehr schmerzhaft". Daher habe er sich dafür eingesetzt, dass der "To-Go-Leihverkehr" in den Bibliotheken weiterhin möglich bleibe, im Gegensatz zur Präsenznutzung. Was bedeutet: Ausleihen kann man die Bücher jetzt also doch wieder, man darf in ihnen nur nicht vor Ort schmökern. Immerhin! Denn das Verständnis für die derzeitige Pandemie-Strategie, fast alles zu erlauben, was dem Konsum und damit der Wirtschaft dient, und fast alles zu verbieten, was Bildung und Unterhaltung fördert, hat ja doch eine Grenze. Im Fall der Bibliotheken war sie überschritten - deren Schließung war nicht nur kulturfeindlich, sondern auch zutiefst unsozial. Womit sollen sich die Menschen in diesem langen Winter in ihren Wohnungen denn bitte beschäftigen? Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, er braucht auch geistige Nahrung. Einen Bibliotheksausweis kann sich jeder leisten, wiederholte Einkäufe in der Buchhandlung hingegen nicht.

Dass die bayerische Regierung die Ungerechtigkeit hinter ihrer Sonderregelung eingesehen und korrigiert hat, ist ein gutes Signal; natürlich ist es besser, eine falsche Entscheidung spät zu revidieren als nie. Doch dass es dafür erst vehementen Protests bedurfte, ist bitter. Ganz davon abgesehen, dass derartige Kuddelmuddel die ohnehin schon von häufigen Regeländerungen verwirrten Menschen erschöpfen. Das unnötige Hin und Her um die Öffnung der Bibliotheken ist jedenfalls: nicht schön.

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