Danke-Konzert in München:Fürchtet euch nicht!

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Das Danke-Konzert wird zu einer politischen Kundgebung gegen die Staatsregierung. Denn Oberbürgermeister Reiter, Flüchtlingshelfer und Musiker beschwören eine gemeinsame Botschaft.

Dieter Reiter ist in diesem Moment mit sich und seiner Welt nun wirklich im Reinen. Er, der Hobby-Musiker, darf vor fast 24 000 Menschen auf einer Konzertbühne stehen und auch noch selbst zur Gitarre greifen. Besser noch: Er ist der Oberbürgermeister dieser Stadt und dieser Menschen hier. Und die liegen so was von voll auf seiner Wellenlänge, dass sich selbst der Himmel in harmonisches Rosa färbt. Nicht nur in der Haltung zu Flüchtlingen fühlt er sich eins mit der Masse, auch kleidungstechnisch: Kapuzenpulli, drüber eine blaue Kapuzenjacke, Reiter trifft den Dresscode des Abends auf dem Königsplatz. "Danke, München!", ruft er wie nahezu alle Musiker in die Menge - und es ist fast schon erstaunlich, dass ihm kein "Danke, Dieter!" entgegenhallt.

"Wir. Stimmen für geflüchtete Menschen" ist das Open-Air überschrieben, ein Dankeschön für die Hilfsbereitschaft der Münchner während der Flüchtlingskrise Anfang September. Und noch ehe der erste Song gesungen ist, wird klar, dass der Abend ein Erfolg wird: Der Andrang auf den Königsplatz ist so groß, dass die Bands erst mit mehr als einer Dreiviertelstunde Verspätung beginnen können. Doch selbst bei Polizeikontrollen und Warten auf den ersten Live-Act herrscht Friede, Freude, Eierkuchen: Die Münchner können offenbar nicht nur ganz gut Flüchtlingen helfen, sie können auch sehr geduldig warten.

Flüchtlinge in München
:"Ich mag es nicht hier - ich liebe es!"

Beim Danke-Konzert lernen Flüchtlinge deutsche Musik kennen - und ehrenamtliche Helfer. Das kommt bei beiden Seiten an.

Als die Sportfreunde Stiller und Moderator Joko Winterscheidt ("Die Sportis haben mir gesagt, sie brauchen noch einen, der den Kasper macht. Da hab ich gesagt: Mach ich mit") schließlich eröffnen, ist aber auch klar, dass das mehr als nur eine Wohlfühlveranstaltung wird: Es ist eine der größten politischen Kundgebungen, die die Stadt in den vergangenen Jahren erlebt hat. Auch Dieter Reiter weiß das und sendet klare Botschaften hinüber in die Staatskanzlei. "Lasst euch nicht Bange machen", ruft er den Menschen zu, "lasst uns alle, die Horrorszenarien zeichnen, Lügen strafen."

Ministerpräsident Horst Seehofer, der 24 Stunden zuvor vor der "Kapitulation des Rechtsstaats" warnte, erwähnt Reiter mit keinem Wort. Dafür zitiert er die Kanzlerin: "Wir werden in München weiterhin ein freundliches Gesicht zeigen." Und ja, diese Stadt werde alles tun, damit Integration gelinge. Der Abend, den die Stadt immerhin mit 150 000 Euro mitfinanziert, soll ein erster Schritt sein - auch wenn weniger Flüchtlinge gekommen sind, als sich das die Organisatoren gewünscht hatten.

Seehofer wird spät am Abend angesprochen, von Herbert Grönemeyer. Der hält ein Wahlplakat der CSU von 1946 in die Menge, worauf sich die Partei zur Fürsprecherin aller Flüchtlinge macht. Daran werde man die CSU erinnern, so Grönemeyer. "Sehr geehrter Herr Ministerpräsident . . ." , heißt es auch im ersten Lied des Abends, ein eigens von der Band Dreiviertelblut komponierter Song, der eigentlich am Montagabend im Lustspielhaus Premiere haben sollte. Jetzt aber spielt OB Dieter Reiter hier mit: Am Samstagabend hatte die Band mit Reiter einmal geprobt, am Sonntagabend leiht er sich von Songwriter Werner Schmidbauer eine Gitarre.

Die meisten sind aber gewiss nicht wegen Reiter, sondern wegen der Musiker gekommen. Sie alle treten ohne Gagen auf: Blumentopf und Fettes Brot rappen, Donots rocken, Notwist legen elektronische Klangwolken über den Platz, kurz vor halb elf Uhr singt Grönemeyer "Roter Mond". Und dass Wanda, für viele die Indie-Band der Stunde, hier einfach fünf Songs spielt, ist für manche eine Sensation. Doch zumindest anfangs gibt es mindestens so viele Worte wie Musik - natürlich keine Widerworte zum vorgegebenen Tonfall des Abends.

Zum Beispiel von Matthias Weinzierl, dem Vorsitzenden des Flüchtlingsrats: "Hört bitte nicht auf die, die versuchen, uns Angst zu machen." Die Flüchtlinge seien "keine Bedrohung für unsere Gesellschaft, sondern eine Chance". Die große Koalition sei gerade dabei, das Asylrecht auszuhöhlen - dagegen müsse protestiert werden. Umso wichtiger sei dieses Signal aus München. Auch das TV-Signal: Das spanische Fernsehen sendet, auch andere Stationen sind da.

Münchens Sozialreferentin Brigitte Meier (SPD), die im Publikum ist, erinnert der Abend an die Lichterkette, die 1992 rund 400 000 Menschen auf die Straße brachte, als Ausländerunterkünfte gebrannt hatten. Auch Publizistin Amelie Fried erinnert an damals: "Lasst euch keinen Unfug einreden, bleibt anständig", ruft sie.

Danke-Konzert für Flüchtlinge
:München friert und tanzt

Hip-Hop-Schlachtrösser von Fettes Brot, Witzeleien von Michael Mittermeier und eine Standpauke von einer Schriftstellerin: Was mehr als 20.000 Menschen auf dem Königsplatz erlebt haben.

Angela Bauer und Alex Rühle werben für ihr Projekt Bellevue di Monaco, für Häuser für Flüchtlinge. Soziologie-Professor Armin Nassehi referiert: "Wer die Hilfsbereitschaft der Gesellschaft für sozialromantisch hält, der hat kein Herz. Und wer das nicht für ein Votum der Bürger hält, der hat keinen Verstand. Was wir brauchen, ist Herz und Verstand." Die Referate sind gewiss keine Stimmungsheber. Aber der Abend soll ja Flüchtlingsprojekte neu beflügeln.

An Infoständen kann man sich in Helferlisten eintragen, die meisten spenden zumindest den Becherpfand. Es ist richtig kalt auf dem Königsplatz, die Schlange am Kaffee-Ausschank ist oft länger als die am Bierstand. Aber es gibt ja genügend Momente zum Seelewärmen. Etwa als der elfjährige Hamza aus Syrien auf die Bühne kommt und mit der Menge, "Herzlich Willkommen" auf Arabisch übt Oder als Künstler Raoul Haspel zur Schweigeminute für umgekommene Flüchtlinge aufruft und in der Stille auf dem Platz Tausende Feuerzeuge und Handys geschwenkt werden. Nein, Zweifel gibt's da bei den 24 000 bestimmt nicht. Es ist wie im Song der Sportfreunde: "Du und ich, wir sind auf der guten Seite".

© SZ vom 12.10.2015/ebri/mikö/sekr/kc/inra/tbs/kast - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Danke-Konzert
:Amore auf dem Königsplatz

München sagt Danke: 24 000 Menschen trotzen der Kälte, Wanda geben sich ein bisschen politisch und Grönemeyer verspricht zum Abschied gleich das nächste Konzert.

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