Literaturfest:Vom Gefühl der Einsamkeit

Literaturfest: Wann wird Alleinsein zur bitteren Einsamkeit? Daniel Schreiber spricht im Literaturhaus auch über die Übergänge zwischen den Gefühlszuständen.

Wann wird Alleinsein zur bitteren Einsamkeit? Daniel Schreiber spricht im Literaturhaus auch über die Übergänge zwischen den Gefühlszuständen.

(Foto: Literaturhaus)

Ein Thema der Stunde: Der Autor Daniel Schreiber stellt seinen Essayband "Allein" im Literaturhaus vor.

Von Antje Weber, München

Allein muss sich niemand fühlen an diesem Abend. Eine lange Schlange wartet im Treppenhaus des Literaturhauses geduldig auf Einlass in einen Saal, der sich am vergangenen Donnerstag noch überraschend gut füllt. Die einzeln oder auch zu zweit gekommenen Besucher können sich hier in Gemeinschaft drängen, in den letzten Reihen jedoch auch jede gewünschte Distanz wahren. Womit man beim Thema wäre: Daniel Schreiber stellt seinen Essay "Allein" (Hanser Berlin) vor - fraglos ein Thema der Stunde, was sich nebenbei daran zeigt, dass sich beim Literaturfest ein weiterer Autor damit beschäftigen wird: Am 29. November spricht Rüdiger Safranski bei der Bücherschau über sein Werk "Einzeln sein".

Die Autoren haben die Zeit des pandemisch erzwungenen Rückzugs offensichtlich produktiv genutzt; wobei Schreiber an diesem Abend darauf verweist, er habe fünf Jahre an seinem Buch gearbeitet. Es ist, wie immer bei diesem glänzenden Essayisten, kurz und konzentriert geworden, verknüpft Theorien aus Philosophie und Soziologie stimmig mit persönlichem Erleben. Bei einem Buch über "alle möglichen Gefühlszustände" zwischen Alleinsein und Einsamkeit ist eine solche Offenheit besonders mutig - schließlich ist das Alleinleben ein "ambivalenter Status", wie Schreiber im Gespräch mit Moderatorin Meredith Haaf sagt; ein Zustand, der von der Gesellschaft wie auch vom Betroffenen selbst oft als defizitär, als Scheitern interpretiert wird.

Schreiber lässt in seinem Buch etliche "Techniken der Selbstreparatur" einfließen

Wann wird Alleinsein zur bitteren Einsamkeit? Und was lässt Menschen mit "grausamem Optimismus" dennoch zäh an ihren Fantasievorstellungen eines gelingenden Lebens festhalten, von der großen Liebe bis zum Familienglück? "Es ist sehr hart, das anzugucken", weiß Schreiber. Natürlich wirkt die Pandemie, die insbesondere Alleinlebende in die Isolation und vielfach in psychische Krisen getrieben hat, da wie ein "Vergrößerungsglas". Doch eines der Grundprobleme ist immer gleich: "Über die wirkliche Einsamkeit sprechen wir nicht", sagt Schreiber. Dabei macht jeder irgendwann im Leben diese Erfahrung, ob in Phasen der Trauer, ob angesichts "uneindeutiger Verluste" wie etwa unerfüllter Lebensträume. Doch aus Scham spalten wir solche Gefühle ab, verdrängen jede Erinnerung daran - und verhalten uns entsprechend wenig empathisch gegenüber akut Betroffenen.

Was hilft? Eine große Bedeutung weist Schreiber der Freundschaft zu - nicht im heute oft idealisierten, verkitschten Sinne steten Gleichklangs zwischen Doppelgängern, sondern einer gegenseitigen Anerkennung der Andersartigkeit: "Ich lasse dich, ich will es so", zitiert er den Philosophen Jacques Derrida. Auch die Bedeutung von eher losen Beziehungen zu anderen Menschen hält er für unterschätzt. Dazu lässt Schreiber in seinem Buch etliche "Techniken der Selbstreparatur" einfließen, die an diesem Abend nur am Rande zur Sprache kommen: Im Gärtnern zum Beispiel findet er inneren Ausgleich, er hat das Wandern für sich entdeckt, lässt seinem Körper mit Yoga Fürsorge angedeihen und hat bereits den ganzen Bekanntenkreis mit Selbstgestricktem versorgt. "Raum fürs Innehalten" zu schaffen, ist ihm wichtig. Und so machen dieser Abend, dieses Buch einmal mehr deutlich: Auch Alleinsein will gelernt sein. An Gelegenheit zum Üben wird es in der nächsten Zeit nicht mangeln.

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