Literatur aus Österreich:Was die neuen Romane von Daniel Glattauer und Wolf Haas verbindet

Lesezeit: 2 Min.

Gewisse Parallelen sind offensichtlich zwischen dem Wiener Schriftsteller Daniel Glattauer und dem Ich-Erzähler seines neuen Romans „In einem Zug“. (Foto: Heribert Corn)

„In einem Zug“ und „Wackelkontakt“ spielen furios mit der Kunst des Erzählens. Beide Bestsellerautoren stellen ihre vergnüglichen Bücher auf Lesereise vor – einer von ihnen sollte in München lieber kein Radler bestellen.

Von Bernhard Blöchl

Die politische Lage in Österreich ist ernst. Für verschmitzte Gedanken und die Leichtigkeit des Seins ist die österreichische Literatur zuständig, so scheint es. Der Jahresbeginn jedenfalls ist geprägt von zwei Romanen aus dem Nachbarland, die virtuos mit den Erzählformen spielen und großes Lesevergnügen bescheren. Sowohl Daniel Glattauer als auch Wolf Haas, beide Jahrgang 1960 und seit Kurzem bei neuen Verlagen unter Vertrag, werden ihre Bücher persönlich in München vorstellen: der eine im Literaturhaus (22.1.), der andere im Volkstheater (23.3.).

Herrlich schwindelig kann einem bei der Lektüre von Wolf Haas’ tollkühnem Geniestreich „Wackelkontakt“ (Hanser) werden. Darin liest ein Puzzlefreund namens Escher ein Buch über einen Mafiakronzeugen namens Russo, der wiederum ein Buch über einen Puzzlefreund namens Escher liest, der wiederum … Das literarische Experiment, beide Geschichten zusammenzuführen bis zum finalen Kurzschluss, kann eigentlich nicht gelingen. Tut es aber.

Wolf Haas hat ein Buch geschrieben über einen, der ein Buch liest, der ein Buch liest, in dem einer ein Buch liest … Sein Roman „Wackelkontakt“ ist ein furioses literarisches Experiment. (Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur)

Der Kollege Glattauer vereint ebenfalls zwei (Spoiler: genau genommen sind es drei) Bücher in einem. Der Roman „In einem Zug“ (Dumont) handelt von einem ehemals erfolgreichen Autor von Liebesromanen, der sich in der Bahn von Wien nach München mit einer Frau über die Liebe unterhält. In gewohnt temporeichen, süffisanten und schlagfertigen Dialogen dringen die zwei Fremden, mal freiwillig, mal nicht, mal alkoholbefeuert, mal nicht, ein hübsches Stück weit in die Psychologie von Beziehungsmustern, literarischer Aneignung und schwindender Sexgier ein.

„In einem Zug“ lautet auch der Arbeitstitel eines Essayprojekts, an dem Eduard Brünhofer, so heißt der Ich-Erzähler des Romans, arbeitet. Es ist das Buch im Buch. Der Autor skizziert darin satirische Gedanken zu den Etappen seiner Reise – was mal zu lustigen, mal zu skurrilen Formulierungen etwa über eine Pferderanch am Rande von Rosenheim oder die Boulderwelt hinter dem Münchner Ostbahnhof führt.

Die österreichisch-bayerisch sozialisierten Lesenden werden an den Stationen dieser Reise große Freude haben. Jeder, der schon einmal die Strecke gefahren ist, kennt die Bahnhofsschilder Amstetten, Linz, Wels, Vöcklabruck und so weiter. Sie geben dem Buch die Struktur, sie bilden die Kapitelüberschriften. Der Zielort München spielt in der Geschichte eine zentrale Rolle, weil Brünhofer dort ein wichtiger Termin im Verlag bevorsteht. Catrin wiederum, so heißt die Frau im Zug, möchte dort ihren Lover treffen. Ob die Geschichten in Haas-Manier am Ende zusammenfinden, sei hier nicht verraten.

Die zahlreichen München-Einschübe regen zum Schmunzeln an, gelingen aber nicht immer. In einem Café am Hauptbahnhof lässt Glattauer seinen Ich-Erzähler „einen sogenannten Radler“ trinken. Und die Wiener Formulierung „Baba und foi net“ übersetzt er – ausdrücklich „für München“ – mit den ungelenken Worten: „Tschüss, und komme nicht zu Sturz.“ Dass ihm darüber hinaus zur Bayernmetropole die drei Begriffe „Weißwurst, Bank und Wiesn“ durch den Kopf schießen, verwundert ebenfalls ein wenig.

Literatur muss nichts, aber kann alles

Glattauer ist natürlich selbst ein bisschen Brünhofer. Seinen Durchbruch hatte der Journalist und Schriftsteller aus Wien 2006, als er mit „Gut gegen Nordwind“ einen Liebesroman in E-Mail-Form schuf, der sich zum Bestseller entwickelte, mehrfach adaptiert wurde und zum ebenfalls erfolgreichen Nachfolger „Alle sieben Wellen“ (2009) führte. Mit formalen Experimenten kennt sich Glattauer aus, zuletzt zu entdecken im Roman „Die spürst du nicht“ (2023), wo er unter anderem die mürbe machende Debattenkultur im Internet bespielte. Und wenn die Frau im Zug nun fragt: „Was befähigt einen Autor, über die Liebe zu schreiben?“, dann antwortet gewiss auch Glattauer, wenn er Brünhofer sagen lässt: „Ihre Frage ist klüger als jede Antwort darauf.“

Auch Wolf Haas ist ein Spieler. Das Formale ist dem Erich-Kästner-Preis-Träger seit jeher mindestens ebenso wichtig wie der Inhalt. Sein persönlicher Trick 17 bei „Wackelkontakt“: Literatur muss nichts, kann aber vielleicht doch alles. Wenn man sie lässt.

Daniel Glattauer: In einem Zug, Lesung mit Julia Koschitz, Mittwoch, 22. Januar, 19 Uhr, Literaturhaus München, Saal und Livestream; Wolf Haas: Wackelkontakt, Sonntag, 23. März, 20 Uhr, Münchner Volkstheater

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusKulturtalente aus München und Bayern
:Von diesen Künstlerinnen und Künstlern ist 2025 Großes zu erwarten

Sie spielen teuflisch gut, deuten mit Worten und Bildern die Welt und komponieren die Zukunft: Von diesen Kreativen wird man noch einiges hören – ein Ausblick von Theater und Literatur bis Pop, Klassik und Kunst.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: