Am Anfang war das Bild eines blauen Planeten. Dann schrieb jemand in krakeligen Großbuchstaben die Frage „Who are you?“ dazu. Und schließlich folgte in Grün darunter die Antwort: „Planet“. Was von wem stammt bei diesem kollektiven Street-Art-Werk, ist unbekannt. Zu sehen ist oder war es jedenfalls auf einer Wand in der estnischen Stadt Tartu.
Daniel Bürkner hat es dort fotografiert und zum Cover seines neuen Albums gemacht, das vor ein paar Wochen beim Label Oscarson herauskam. Dieses heißt nun ebenfalls „who are you, planet“. Eine, wie er findet, „sehr poetische Frage“. Und ein Sinnbild für den „estnischen Humor“. Estland ist dabei aber nur einer von mehreren europäischen Orten, denen der Münchner auf seinem schönen Album nachspürt.
Geplant war das nicht, sagt auf Mail-Anfrage Daniel Bürkner, der sich früher als Musiker „Squares On Both Sides“ genannt und jahrelang die experimentelle Musikreihe „Frameworks“ geleitet hat. Seit 2020 ist der ausgebildete Kunsthistoriker Teamleiter „Kunst im öffentlichen Raum“ beim Kulturreferat München. Dass er sich als Musiker nach längerer Pause unter seinem Geburtsnamen und ungewohnt mit deutschen Texten zurückgemeldet hat, ist nun dreieinhalb Jahre her. Die insgesamt zehn Stücke sind ebenfalls über etwas längere Zeit entstanden. Und prägend waren dafür verschiedene, bereiste Orte. Weswegen man „who are you, planet“, so Bürkner, durchaus als „Konzeptalbum“ verstehen kann.
Oder konkreter: Es ist ein Album über „emotionale Landschaften“, zu denen die Orte durch damit verbundene Erfahrungen und Geschichten geworden sind. Das zeigt bereits das Eröffnungsstück „Douro“. Eine Instrumentalnummer, die mit ihrem von Bürkner gemeinsam mit der litauischen Musikerin Lina Lapelytė eingesungenem „Da, da, da“ und der gezupften Gitarre leicht an Bossa Nova erinnert. Gewidmet ist „Douro“ dem gleichnamigen Fluss, der durch das portugiesische Porto fließt. „Mit zwei engen Freunden habe ich immer diskutiert, welchen Weg wir zum Fluss nehmen sollen. Die Gespräche, die wir dabei führten, waren teils beschwingt, teils sehr schwer.“
Das mit Elektronik und Cello sanft dahingetupfte „Batalha Centro de Cinema“ ist nach einem Filmzentrum in Porto benannt. Bei der ersten Gesangsnummer „Viru“ geht es dann in ein Hotel in der estnischen Hauptstadt „Tallinn“. Verhandelt wird hier in minimalistischen Lyrics ein Tag im Leben eines KGB-Spions, der vom Dachgeschoss aus Menschen observiert haben soll.
Das Chembalo-Stück klingt, als hätte man ein Echolot durchs Gebäude geschickt
Das folgende „Linnahall“ ist nach einem „der größten Kulturzentren Europas“ in Tallinn benannt. Dieses bildete in Christopher Nolans Blockbuster „Tenet“ den ersten Schauplatz und modert ansonsten, so Bürkner, als „vergangene Zukunft“ und „architektonisches Juwel des Brutalismus“ vor sich hin. Das zugehörige Elektronik- und Cembalo-Stück klingt ein bisschen so, als hätte man ein Echolot durchs Gebäude geschickt.
Ein paar lautere Momente gibt es auch. Etwa wenn sich in „M1, Elektrenai“ Synthesizer-Flächen dunkel übereinander schichten oder in „Vallisaari“ der balladesken Stimmung maschinenartiger Krach vorausgeht. Ansonsten bewegt sich das meiste zwischen minimalistischem Singer-Songwriting und subtiler oder abstrakter Elektronik. Was man noch mal erwähnen sollte, ist das oft zu hörende Cembalo. Dieses stammt aus einer „Musikschule in einem Schloss in der Nähe des Chiemsees“. Bürkner hat es geschenkt bekommen. Und „Stücke nur für Synthesizer und Cembalo“ war dann sein ursprünglicher Plan. Die gibt es auf „who are you, planet“ auch. Aber vor allem steckt es voller wundersamer, europäischer Geschichten.
Daniel Bürkner: who are you, planet, erhältlich über oscarson.bandcamp.com