„Finished, it’s finished, nearly finished, it must be nearly finished”, heißt es in Samuel Beckett „Endgame“ (Endspiel). Doch nein, hier beginnt es, mit diesen, allerdings auf französisch gesprochenen Worten in Maguy Marins legendären Tanzstück „May B“. Was für ein Start für das Dance First 2024! Beim internationalen Tanzfestival im Veranstaltungsforum Fürstenfeld in Fürstenfeldbruck gibt es zur Eröffnung eines der großen Werke der Tanzmoderne zu sehen, uraufgeführt 1981. Die französische Choreografin war damals noch völlig unbekannt, und doch traute der irische Melancholiker dieser innigen Verehrerin seiner Texte die tänzerische Adaption des Beckettschen Vergeblichkeits-Kosmos zu.
So setzen sie sich also wieder in Bewegung, Becketts hoffnungslose, ziellose, ewig wartende Figuren, zu Franz Schuberts hochnervöser, düsterer Symphonie Nr. 4 c-moll D 417 – genannt „Die Tragische“. Lyrisch-grotesk mutet diese schlurfende, seufzende Truppe an. Und doch gelingt es den Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie Maguy Marin als staubige Lehmgesichter, die anfangs kaum etwas Menschliches an sich haben, so etwas wie Humanität zu vermitteln. Sollte man also keinesfalls verpassen. Dass etwas 80er-Jahre-Staub hier aufwirbelt, macht das Werk nicht kleiner (4. Juni, 20 Uhr, Stadtsaal, Veranstaltungsforum Fürstenfeld).
Maguy Marin ist nur ein großer Name, der bei Dance First in Fürstenfeld zum 16. Juli fällt. Die junge Tanzcompagnie IT Dansa aus Barcelona etwa bringt Akram Khans „Kaash“ („Wenn“ in Hindi) auf die Bühne, das sie eigentlich schon 2020 beim Festival präsentieren sollte, das dann aber wegen der Corona-Epidemie abgesagt werden musste. In diesem rasanten Stück aus dem Jahr 2002 verbindet der Londoner mit familiären Wurzeln in Bangladesch die sehr narrative Körpersprache des traditionellen indischen Kathak mit dem zeitgenössischen Tanz. Das Set Design stammt vom britischen Bildhauer Anish Kapoor, der in seinen Arbeiten gerne groß und monochrom denkt und in der Kunstwelt unter anderem dafür bekannt wurde, dass er sich die Exklusivrechte am schwärzesten Schwarz gesichert hat.
Rasant akrobatisch, in schwarzen Anzügen, sind die Tänzer von IT Dansa auch in Ohad Naharins „Minus 16“ auf der Bühne unterwegs, das der israelische Choreograf, der für seine Gaga-Methode berühmt ist, 1999 für das Nederlands Dans Theater kreierte. Das Stück ist ein faszinierendes Kompendium früherer Choreografien Naharins zu einem erstaunlichen Musikmix. Und das lahme deutsche Wort „Stuhlkreis“, so viel ist sicher, wird hier aufregend neu definiert (9. Juli, 20 Uhr).
Das Bayerische Junior Ballett München kommt mit „Liebesbotschaften“ in den Brucker Stadtsaal (25. Juni, 20 Uhr) und liefert bei seinem Tanzabend quasi ein Schaulaufen großer Choreografen mit Werken von John Neumeier, Eric Gauthier, Jiří Kylían – und Marco Goecke. In dessen Stück „All long dem Day“ (2015) tanzen die Junioren zu Nina Simones emblematischem „Sinnerman“. In der typischen Goecke-Sprache: absolute Körperkontrolle, ein scharfer, hackender, nervöser Rhythmus, große Verletzlichkeit.
Die Choreografen, das fällt auf, sind hier ausschließlich Männer. Warum das so sein muss, ist eine Frage, die an die Verantwortlichen durchaus zu stellen ist. Gelegenheit dazu gibt’s an diesem Abend, vor der Performance, im Säulensaal beim Gespräch mit Ivan Liška, Direktor Bayerisches Junior Ballett München (19 Uhr), das Teil eines Rahmenprogramms mit Stückeinführungen, Publikumsgesprächen, Vorträgen und Workshops ist.
Tradition bei Dance First ist auch die Einbindung der lokalen Tanzszene. Ensemble aus dem Landkreis können sich wieder beim Tanzabend „Made in FFB“ präsentieren (7. Juli, 17 Uhr). Liebesbotschaften gibt es auch hier zu sehen: Ensembles des Ballett Sinzinger zeigen romantische Szenen aus den Balletten „Bayadere“, „Esmeralda“ und „Sleeping Beauty“. Und „No Limits“, die Showtanzgruppe der Brucker Heimatgilde, bringt „Bonnie & Clyde“ auf die Bühne. Geht für die beiden bekanntlich schlecht aus.
Eine große Liebeserzählung ist auch die von Odysseus und Penelope. Das Saarländische Staatsballett reist zum Festival mit Bryan Arias „Odyssee“ an, das als bayerische Premiere zu sehen sein wird. Bildstark spannt Arias, der selbst für renommierte Kompanien tanzte, den ganz großen Bogen, von Homer bis Stanley Kubrick und lässt seinen Helden ruhelos und assoziativ durch alle Epochen der Menschheit treiben. Eine kompromisslose Idee des Verirrens in der Zeit. Und auch die Frau ist Teil der Lebensreise. Welche Penelope wird diesen Odysseus erwarten? (10. Juli, 20 Uhr)
Marco Goecke, bei diesem Festival, ist er nicht wegzudenken: Dem designierten Ballettchef in Basel ist seine Hundekot-Attacke auf eine Tanzkritikerin augenscheinlich großräumig verziehen worden. Auch, weil niemand auf das Werk dieses genialen Choreografen verzichten mag. Auch das Kroatische Nationalballett will das nicht, mit dem das Dance First Festival am 16. Juli endet (20 Uhr). Die Compagnie aus Rijeka zeigt in ihrem Programm „Transparada“ neben Arbeiten von Maša Kolar, Mauro Bigonzetti und Nadav Zellner auch Goeckes „Feuervogel Pas de Deux“. Zu Strawinsky 1910 für Sergej Diaghilews Ballets Russes komponierter Musik. Zwei Menschen, flatternde Hände, am Ende eine Geschichte. Das kann nur der Tanz.
Dance First, 4. Juni bis 16. Juli, Fürstenfeldbruck, Veranstaltungsforum, Zisterzienserweg, Infos und Karten unter www.dancefirst.de