Dackelwanderung:Verbissen gegen den Zeitgeist

Die Dackel-Population in München ist bedenklich geschrumpft - dabei gehörte die wurstförmige Kreatur einmal zum Bild der Stadt.

Wolfgang Görl

Wenn am Samstag mehr als hundert Dackel unter Aufsicht mindestens ebenso vieler Dackelhalter durch den Englischen Garten wackeln, dann ist dies weit mehr als nur ein tierischer Festzug zum Gründungsjubiläum der Stadt München. Wer pessimistisch gestimmt ist, wird den Aufmarsch als das letzte große Wauwau einer gefährdeten Art betrachten, ja, mehr noch: Hier bäumt sich der münchnerischste aller Hunde verbissen gegen den Zeitgeist auf, der sich Modekläffern wie Golden Retriever, Jack Russel oder Labradoodle zugewandt hat.

Dackelwanderung: Im Jahr 2003 gingen die Dackel des Bayerischen Dachshundklub beim 70. Geburtstag von Herzog Franz von Bayern gemeinsam im Park vom Schloss Nymphenburg spazieren.

Im Jahr 2003 gingen die Dackel des Bayerischen Dachshundklub beim 70. Geburtstag von Herzog Franz von Bayern gemeinsam im Park vom Schloss Nymphenburg spazieren.

(Foto: Foto: Heddergott)

Derlei Kreaturen sind aus lokalpatriotischer Sicht völlig belanglos, wohingegen der Dackel - man kann es nicht anders sagen - ein Münchner Kulturgut ist und als solches der Weißwurst und dem Leberkäs ebenbürtig. Es gab Zeiten, da war der Dackel so populär, dass man ihn gut und gerne ins Stadtwappen hätte aufnehmen können, allein oder an der Seite des Münchner Kindls. Noch 1972, zur Eröffnung der Olympialotterie "Ein Platz im Stadion", zogen 800 Dackel im Paradetrott durch die Fußgängerzone, dazu spielte man Marschmusik, und mehrere tausend Zuschauer standen Spalier.

Das war eine Demonstration der Stärke, mit welcher der Dackel seinen Rang als der Münchner Paradehund schlechthin eindrucksvoll unterstrich. Heute muss man froh sein, wenn ein bescheidenes Häufchen zusammenkommt, um der Stadt zum Geburtstag zu gratulieren.

Wie Athen ohne Eulen

Die Münchner Dackelpopulation, Gott sei's geklagt, ist auf den Hund gekommen. Rund 28.500 Hunde sind als steuerpflichtig gemeldet, darunter nur 850 rein- oder gemischtrassige Dackel. Mag sein, dass noch einige im Untergrund leben - aber auch die hecheln hoffnungslos hinterher, wenn es um die Wurst geht.

München ohne Dackel - das wäre wie Athen ohne Eulen oder Berlin ohne Bär. Als die Zeichnerin Franziska Bilek Anfang der sechziger Jahre für die Abendzeitung den Herrn Hirnbeiß ersann, kam sie nicht umhin, dieses Idealbild eines in die Jahre gekommenen Münchner Grantlers mit einem Dackel abzurunden. Man muss einen feinen Riecher haben, um diese Entscheidung in ihrer ganzen Tragweite zu begreifen: Was den echten Münchner damals auszeichnete und ihn für jedermann sofort erkennbar machte, war nicht etwa der Maßkrug oder die Frau Gemahlin - Hirnbeiß ist Witwer -, sondern der Dackel.

Erst in der Lebenspartnerschaft mit einem Hund, der aussieht wie eine Wurst auf vier Beinen, fand der Münchner vom alten Schlag zu sich selbst. Es war der Dackel, der aus Männern Münchner machte und ihnen zu jenem inneren Frieden verhalf, der vonnöten ist, um die Tage mit Spaziergängen und einer Maß im Hofbräuhaus nach alter Väter Sitte behaglich zu verleben.

Verbissen gegen den Zeitgeist

In der Hausgemeinschaft mit eingeborenen Grantlern verwandelte sich der Dachshund, ursprünglich ein Jagdgehilfe, nun seinerseits, und zwar in den behäbigen Münchner Bierdackel. Eine eigenständige Rasse ist dieser zwar nicht, gleichwohl sollte man sich hüten, einen Münchner Dackel mit dem norddeutschen Wort "Teckel" zu titulieren - er könnte das übel nehmen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Zitat der Gräfin Aga vom Hagen, einer Hundekoryphäe der 1920er Jahre, die mit Blick auf den Münchner Dackel - in allerdings beklagenswertem Deutsch - notierte: "Vor 1905 entstand der 'Überteckel', der nicht lang und tief genug sein konnte, je mehr 'Faschingsfigur', desto besser, eng mit dem alten München verquickt."

Sofern wir das Gestammel richtig verstehen, war der Isardackel damals im Begriff, sich zu einer Art Gaudiwurm zu entwickeln. Von Generation zu Generation wurde der Hund länger, dafür aber gerieten die Beine immer kürzer, und man musste befürchten, dass sie irgendwann überhaupt verschwinden. Aber so weit ist es dann doch nicht gekommen.

Leider liegt die Geschichte des Münchner Dackels ebenso im Dunkeln wie die seines Herrn. Wann der erste Dachshund durch die hiesigen Gassen dackelte, ist nicht überliefert, geschweige denn dessen Name und die Identität des Besitzers. Allgemein gilt der Deutsche Teckel als Kreation mittelalterlicher Züchter, denen offenbar ein pflockförmiges Geschöpf vorschwebte, das mühelos in Fuchs- und Dachsbauten vordringen konnte.

Wie vortrefflich die Dackel als Jagdgenossen sind, kann man auf der Webseite des Deutschen Teckelclubs in bestechender Prosa erfahren: "Neben ihrer tollkühnen Arbeit unter der Erde zeigen sie ausgezeichnete Arbeiten über der Erde, wie im spurlauten Jagen, im Stöbern, auf der Wundfährte und teilweise auch am und im Wasser. Alle drei Haararten vermögen, wenn sie aus leistungsfähigen Stämmen hervorgegangen sind, gleich gute jagdliche Leistungen zu vollbringen. Auch die kleinsten Varietäten, die Kleinteckel, zeigen bei der Jagd viel Passion."

Verbissen gegen den Zeitgeist

Aber hilft das weiter, um die Ursprünge des Münchner Dackels zu ergründen? Beim Stichwort Jagd fällt einem der alte Adel ein, dem die Hatz auf Wildschwein und Hirsch vornehmstes Vergnügen war und der dafür allerlei Hundsviecher in den Dienst stellte. Zu den eifrigsten Jägern gehörten seit je die Wittelsbacher, weshalb die Vermutung nicht ganz abwegig ist, die bayerische Fürstensippe habe ihre Hundemeute schon im Mittelalter mit Dackeln ergänzt.

Zudem diente der Dackel als Familienhund. Weil die zartgliedrige Kreatur keinen größeren Schaden anrichten konnte, durfte man es sogar wagen, sie der Obhut zarter Damen anzuvertrauen. Dies legt eine Zeichnung Albrecht Dürers aus dem Jahr 1525 nahe, die Hella und Eugen von Bayern in ihrem Buch "Die Wittelsbacher und ihre Hunde" präsentieren. Auf dem Bild ist zu sehen, wie Susanne von Brandenburg-Ansbach, die jüngst

e Tochter Herzog Wilhelms IV. von Bayern, einen Langhaardackel im Arm hält. Weil solche Zamperl zwar eigenwillig, wegen ihrer mäßigen Größe aber wenig furchteinflößend sind, waren sie auch als Kinderspielzeug beliebt. Folgt man den Ausführungen der Wittelsbacher Hundechronisten, dann verdienen Familienhunde wie der Dackel das Prädikat "pädagogisch wertvoll": "In der Kindererziehung der Fürstenfamilien spielte der Hund eine nicht unerhebliche Rolle, denn bekanntlich wurden den Kindern Gefühlsäußerungen Mitmenschen gegenüber untersagt.

Aber ihre Hunde konnten die Fürstenkinder liebkosen und auf ihre Treue zählen." Allerdings fällt bei der Betrachtung der Wittelsbacher Gemäldegalerie auf, dass die hochwohlgeborenen Söhne und Töchter meist mit einem Zwergspaniel posierten - vielleicht weil das seidig-bunte Fell dieser Hunde malerischer war.

Für die Staatsporträts der bayerischen Herzöge, Kurfürsten und Könige kam der Dackel allerdings nicht in Frage. Was hätte es für einen Eindruck gemacht, stünde dem mächtigen Herrscher ein mickriger, krummbeiniger Wadlbeißer zur Seite? Nein, da mussten andere Hunde ran, falls man nicht gleich einen Löwen beistellte. Herzog Ferdinand von Bayern (1550-1808) etwa stand dem Porträtmaler mit einem kolossalen englischen Mastiff Modell, Kurfürst Karl Albrecht (1697-1745), der spätere Kaiser KarlVII., warf sich in Begleitung eines Greyhound in Positur.

Derlei hochadelige Imponierhunde waren für den gewöhnlichen Münchner Bürger unerschwinglich, auch hätten sie ihm den Geldbeutel leer gefressen. Aber einen Dackel zu unterhalten, das war drin. Wann und warum er zum unentbehrlichen Begleiter des Münchner Dreiquartelprivatiers wurde, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen.

Verbissen gegen den Zeitgeist

Ende des 19. Jahrhunderts jedenfalls ist der Dackel Stammgast in Münchens Wirtshäusern, und die vielleicht wichtigste Aufgaben der wandelnden Wurst war, den menschlichen Gefährten nach dem Genuss von zwölf Maß Bier durch das Gewirr der Altstadtgassen nach Hause zu geleiten. Um 1900 fertigte der Zeichner August Roesler zahllose Skizzen mit Szenen aus dem Hofbräuhaus an, und dabei ist Dackel beinahe allgegenwärtig.

Ersichtlich ist aber auch, dass die empirisch oft bestätigte Regel, wonach Herr und Hund sich physiognomisch zunehmend angleichen, für die Verbindung Bierdackel-Biermünchner nicht gilt. Der Körper des Herrn tendiert zur Kugel, der des Hundes zum Strich. Was das Erscheinungsbild betrifft, liegt der Charme dieser Liaison in der Gegensätzlichkeit.

Vielleicht war der Dackel auch deshalb vorwiegend ein Männerhund. Frauen sehen es gerne, wenn sich ihre Eleganz auch im Hund widerspiegelt. Krumme Beine laufen diesem Wunsch eher entgegen, gar nicht zu reden von Abstimmungsproblemen in puncto Frisur. In dieser Sache ist der Pudel eindeutig im Vorteil.

Kugel und Strich

Womöglich muss man eine kühne These wagen, um die erstaunliche Symbiose zwischen Münchner Dackel und Münchner Wirtshaushocker zu erklären. Früher waren die Bierkeller und Kneipen ja oft enge Verliese, in die kaum Tageslicht drang, und die Decke hing so tief hinab, dass großgewachsene Leute den Kopf einziehen mussten. Solch finstre Löcher unterschieden sich nur geringfügig vom Dachsbau, in dem der Dackel seine tollkühne Arbeit verrichtete.

Als Wühler und Schliefer war er geradezu geschaffen, den Lebenswandel eines klassischen Münchner Bierdimpfls schwanzwedelnd mitzumachen. Ungeachtet der physiognomischen Differenz passen die beiden bestens zusammen. Auch charakterlich: Der Dackel schert sich nicht im mindesten um das, was ihm sein Leitmensch anschafft, und diese Aufmüpfigkeit gegenüber der Obrigkeit befällt gelegentlich auch den Münchner, vor allem dann, wenn es ungefährlich bleibt. Zudem ist der Dackel, wie Alfred Brehm schreibt, "im Alter ernst, mürrisch, bissig und oft tückisch". Muss man erklären, auf wen dies ebenso zutrifft?

Dass diese große Münchner Dackelkultur nun gefährdet, wenn nicht gar verloren ist, kann niemanden verwundern. Sein Ernährer, der Münchner vom Typ Hirnbeiß, ist so gut wie ausgestorben, und die dynamischen Businesspeople, die jetzt die Stadt prägen, würden einen immensen Coolness-Verlust erleiden, kämen sie mit einer Wurst auf vier Beinen zum After-Work-Cocktail.

Was bleibt, ist die Erinnerung an große Dackelzeiten: An die Olympischen Spiele 1972, an denen der Dackel Waldi als Maskottchen teilnahm und sich und seinen Artgenossen zu Weltruhm verhalf; an die Paulaner-Reklame mit Walter Sedlmayr, bei der die alte Allianz zwischen Dackel und Münchner noch einmal in Schwung kam; an den OB-Wahlkampf 1999, als der CSU-Kandidat Aribert Wolf mit einem Dackel auf den Plakaten posierte. Ganz München bejubelte den Hund, und Wolf ging unbeachtet unter. Ein letzter Triumph des Münchner Dackels.

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