Dachauer Todesschütze vor Gericht:Prozess beginnt ohne Angeklagten

Nach wochenlangem Hin und Her beginnt in München der Prozess gegen den Todesschützen aus dem Dachauer Amtsgericht. Ohne den Angeklagten. Der schwerkranke Diabetiker Rudolf U. hat 80 Kilo abgenommen und ernährt sich nur von Schokolade und Chips. Das Landgericht will ohne ihn verhandeln, jetzt muss das Oberlandesgericht entscheiden, ob das geht.

Anna Fischhaber

Prozess gegen Dachauer Todesschuetzen

Das Krankenbett im Gerichtssaal bleibt leer: Der Angeklagte im Prozess um die tödlichen Schüsse auf den Staatsanwalt in Dachau erscheint nicht zur Verhandlung.

(Foto: dapd)

Neben dem Richtertisch steht ein schmales Krankenbett aus Holz. Von hier aus könnte der Angeklagte Rudolf U., dem inzwischen beide Beine oberhalb des Knies amputiert worden sind, seinen Mordprozess vor dem Münchner Landgericht beobachten. Doch das Bett mit dem türkisen Laken bleibt zum Verhandlungsauftakt an diesem Montag leer. Der Angeklagte muss erneut operiert werden, erklärt der Vorsitzende Richter Martin Rieder. Der Prozess soll dennoch weitergehen: Gegen den schwerkranken Mann kann in seiner Abwesenheit verhandelt werden, entscheidet das Gericht. Ein rechtlicher Ausnahmefall, der in Deutschland nur selten vorkommt.

Eine erneute Operation hätte verhindert werden können, wenn der an Diabetes erkrankte Angeklagte nicht den Wechsel seines Verbandes und seiner Bettwäsche im Gefängnis verhindert hätte, sagt Rieder zur Begründung. Das habe die Infektionsgefahr erhöht. "Der Angeklagte hat seine Verhandlungsunfähigkeit vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführt", sagt der Richter schließlich. Eine Voraussetzung, um den Prozess in Abwesenheit des Angeklagten durchführen zu können. Dennoch ist wenige Minuten nach der Entscheidung die Verhandlung schon wieder vorbei. Der Wahlverteidiger legt Beschwerde ein - und das Gericht vertagt die Verlesung der Anklage erneut.

Knapp zehn Monate ist es her, dass Rudolf U. im Dachauer Amtsgericht plötzlich um sich schoss. Wegen nicht gezahlter Sozialversicherungsbeiträge war er im Januar 2012 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Während der Urteilsverkündung zog der Transportunternehmer aus seiner Jacke eine Pistole und feuerte um sich. Der 31-jährige Staatsanwalt wurde tödlich getroffen. Auch auf den Richtertisch soll Rudolf U. geschossen haben - dort hatten sich der Richter, die Anwältin und der Protokollführer verschanzt. Schließlich wurde er von zwei Zeugen überwältigt.

Nun muss sich Rudolf U. erneut vor Gericht verantworten. Diesmal droht ihm eine lebenslange Freiheitsstrafe. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Mord und dreifachen versuchten Mord aus niedrigen Beweggründen vor. In ihrer Anklage zeichnet sie das Bild eines Querulanten, der nicht bereit war, andere Meinungen zu akzeptieren. Gegenüber vom Richtertisch sitzt an diesem Vormittag auch die Witwe des getöteten Staatsanwalts. Sie ist schwarz gekleidet, um den Hals trägt sie eine Kette mit einem Ring daran. Eine Dolmetscherin übersetzt der jungen Frau aus den USA, deren lange blonde Haare ihr ins Gesicht fallen, jedes Wort. Wie auch die Eltern und die Schwester von Tilman T. gehört sie zu den Nebenklägern in diesem Prozess.

"Herr seiner Sinne"

Als Erstes kommt am Montagmorgen Malte Ludwig, ein Internist aus dem Krankenhaus Tutzing, im Landgericht zu Wort. Er hat Rudolf U. mehrfach untersucht und ein medizinisches Gutachten zu dessen Verhandlungsfähigkeit erstellt. Nun zeichnet er das Bild eines menschlichen Wracks. Der stark übergewichtige Mann habe inzwischen etwa 80 Kilogramm abgenommen. Er ernähre sich nur von Chips, Erdnussflips, Schokolade und Milch. Die Folge sei ein erheblicher Eisenmangel. Immer wieder zitiert Ludwig aus der Krankenakte. Der Mann sei blass, sein Bein blau gewesen, heißt es einmal. Aber Ludwig sagt auch: Rudolf U. sei "voll kommunikationsfähig" und "Herr seiner Sinne".

Der 55-Jährige leidet unter einer schweren Diabetes. Nach der Amputation eines Beines verweigerte er trotz einer Blutvergiftung zunächst jede weitere ärztliche Behandlung. "Er will sterben", teilte sein Wahlverteidiger damals mit. Ein erster Prozesstermin Ende Oktober platzte. Zunächst sah es so aus, als bliebe ausgerechnet diese Tat, dieser Angriff auf die Justiz, ungesühnt. Schließlich stimmte Rudolf U. der Amputation seines zweiten Beins doch zu. Sein Gesundheitszustand ist jedoch weiter kritisch, seit Freitag ist er erneut in einer Klinik.

Was der Angeklagte sagt

Zuletzt habe der Angeklagte den Wechsel von Verbänden im Gefängnis verweigert und sei mit einer offenen Amputationswunde im Bett gelegen. Deshalb müsse nun bei der Operation eine eiternde Abszesshöhle im Oberschenkelstumpf behandelt werden, erklärt Gutachter Ludwig. Bereits am Mittwoch könnte Rudolf U. aber wieder vor Gericht erscheinen. "Ich würde dem eben Operierten noch etwas Zeit geben, mindestens 24 Stunden", sagt der Mediziner. Notwendige Medikamente, wie ein blutverdünnendes Mittel, lehne der Mann aber nach wie vor ab. Der tragische Verlauf der Erkrankung sei auch durch das Verhalten des Angeklagten gekommen, sagt Ludwig schließlich. Ein Schlüsselsatz, der die Entscheidung des Gerichtes stützt.

Eine weitere Voraussetzung, damit auch ohne den Angeklagten verhandelt werden kann, ist bereits erfüllt: Der Mann wurde angehört - und hat sich laut Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch zur Tat geäußert. Demnach habe er gestanden, dass er den Staatsanwalt töten wollte. Auch zu seinem Motiv soll er erstmals Stellung bezogen haben. Steinkraus-Koch spricht von einem "Hass auf die Justiz", nachdem Rudolf U. mit zahlreichen Verfahren vor Gericht gescheitert sei.

"Er schafft es immer wieder, mit seinen Methoden seinen Willen durchzusetzen", sagt Anwältin Gabriele Schöch über Rudolf U., als sie in einer Verhandlungspause aus dem Gerichtssaal kommt. Sie vertritt die Witwe des Staatsanwaltes. Eigentlich sollte der Angeklagte auch erscheinen, sagt sie. "Aber die Hauptsache ist für uns, dass der Prozess zum Abschluss gebracht wird."

Zuvor aber muss das Oberlandesgericht über die Beschwerde des Wahlverteidigers Kaiser entscheiden. Und der ist an diesem ersten Prozesstag äußerst erregt. Darüber, wie mit seinem Mandaten umgegangen wird. Und mit ihm. Bereits nach der letzten Operation hatte er heftige Vorwürfe gegen die Justiz geäußert - die habe seinen Mandaten durch ein Täuschungsmanöver zur Amputation seines zweiten Beins gezwungen. Nun wird er immer wieder vom Vorsitzenden Richter Rieder zurechtgewiesen: Die "Komödie der letzten Wochen" wolle er vor Gericht nicht wiederholt sehen, sagt Rieder. Und: "Wir machen hier kein Spielchen."

Die Richter des Landgerichts, so scheint es nach diesem ersten Prozesstag, sind fest entschlossen, das Verfahren gegen Rudolf U. diesmal durchzuziehen - ob mit oder ohne Angeklagten. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht.

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