Dachauer Todesschütze verurteilt:"So sinnlos, so leidvoll, so selbstzerstörerisch"

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Höchststrafe für den Dachauer Todesschützen: Für den Mord an einem Staatsanwalt muss Rudolf U. lebenslänglich ins Gefängnis. Für Hinterbliebene und Kollegen, die bei der Tat dabei waren, ist das Geschehene immer noch unfassbar. Sie vermissen Reue bei dem schwerkranken Mann.

Von Gregor Schiegl und Susi Wimmer

Dachauer Todesschütze
:Die Chronik des Falls

Mitten im Gerichtssaal des Amtsgerichts Dachau feuerte er um sich und traf einen jungen Staatsanwalt tödlich. Nun wird Rudolf U. in München der Prozess gemacht. Der schwerkranke Angeklagte verfolgt den Prozess von einem Krankenbett aus. Nun ist er gestorben.

Von Anna Fischhaber

Auch elf Monate nach dem Mord an Staatsanwalt Tilman T. sind die Dachauer fassungslos. "Das ist so sinnlos, so leidvoll, so selbstzerstörerisch", sagt Günter Domcke, Hauptamtsleiter der Stadt. Den Urteilsspruch des Landgerichts - lebenslange Haft für den Todesschützen Rudolf U. unter Anerkennung der besonderen Schwere der Schuld - begrüßt er ausdrücklich. "Das Landgericht hat ein wirklich klares Zeichen gesetzt. Das war wichtig, nicht nur für Freunde und Angehörige", sagt Domcke. "Wäre die besondere Schwere der Schuld nicht festgestellt worden, wäre das nicht zu verstehen gewesen."

Klaus Jürgen Sonnabend, der Leiter des Dachauer Amtsgerichts, der das Urteil in München selbst mitverfolgte, informierte am Donnerstag alle Mitarbeiter des Hauses in einer Mail über das Urteil. In die Genugtuung darüber mischt sich bei ihm Unverständnis über die Uneinsichtigkeit des Täters: "Auch bei der Urteilsverkündung und -begründung hat er durch Gestik - wie schon zuvor verbal - seinen hohlen und unmenschlichen Charakter gezeigt."

Er habe " keinen Versuch unternommen, sich wieder einem menschlichen Handeln und Denken anzunähern". Das Urteil sei kein Trost, aber damit falle es nun leichter, Gedanken und Gefühle zu ordnen - "zumal auch der Angriff gegen zwei von uns ausführlich gewürdigt wurde".

Der eine ist der Gerichtsschreiber, der die Verhandlung gegen Rudolf U. mitprotokollierte und der mittlerweile auf eigenen Wunsch das Dachauer Amtsgericht verlassen hat; er arbeitet nun in einem ganz anderen Aufgabengebiet.

Der andere ist der Dachauer Amtsrichter Lukas N.: Rudolf U. hatte in seinem blinden Hass auf die Justiz auch auf ihn gefeuert, kurz nachdem N. ihn zu einer Bewährungsstrafe verurteilt hatte. Der 36-Jährige hatte sich gerade noch unter den Richtertisch retten können. "Mit dem Prozess kommt wieder alles hoch", sagt Lukas N. Und dennoch: "Ich habe das Gefühl, dass mir das bei der Aufarbeitung hilft." Mehr will er dazu gar nicht sagen.

"Keinerlei Reue"

Der 27-jährige Polizeiobermeister, der den Todesschützen damals im Amtsgericht festgenommen hat, findet das Urteil absolut richtig, "weil der Täter keinerlei Reue gezeigt hat". Er habe die Berichterstattung intensiv verfolgt, "es hat mir geholfen, dass die Geschehnisse noch einmal abgehandelt wurden", sagt er; da geht es ihm wie dem Richter. "Man hat auch unter Kollegen viel gesprochen und sich gegenseitig aufgefangen."

Manche, die am Dachauer Amtsgericht waren, als die tödlichen Schüsse auf den jungen Staatsanwalt fielen, ziehen es vor zu schweigen. "Ich habe damit für mich abgeschlossen", sagt ein Mann, der sich in einer Toilette verbarrikadiert hatte, als die Schüsse fielen. Ein Wachmann, der direkt am Geschehen dran war, will mit der Presse überhaupt nicht mehr reden. Viele scheinen des ganzen Aufruhrs um den Dachauer Todesschützen überdrüssig zu sein. Sie leben wieder ihre normales Leben.

"Dieser Mord wird als Schatten bleiben, insbesondere bei den Beschäftigten", sagt der Dachauer Rechtsanwalt Michael Blettinger. Er geht seit elf Jahren im Amtsgericht Dachau ein und aus. Am Tag des Mordes war einmal kurz am Gericht und hat sich Unterlagen aus seinem Fach geholt. Blettinger schätzt und schätzte immer "die familiäre Atmosphäre im Haus".

Aber mit der sei es ja nun wegen der - leider notwendig gewordenen - Sicherheitsmaßnahmen vorbei. Nun kann man nicht mehr durchs ganze Haus spazieren, jetzt stehen nicht mehr überall die Türen offen für einen kleinen Plausch. "Normalität wird nicht so schnell zurückkehren, nur Alltag", sagt Blettinger.

Sein Kollege Joachim Schwarzenau, der auch im Vorstand der Rechtsanwaltskammer München sitzt und das Amtsgericht Dachau seit 17 Jahren bestens kennt, betont, wie sehr er und seine Anwaltskollegen es begrüßten, dass nach dem Dachauer Mord die Sicherheitsstandards deutlich erhöht wurden. Heute kommt keiner, der nicht von Berufs wegen dort zu tun hat, ohne Kontrollen in ein bayerisches Amtsgericht. "Das war überfällig", sagt Schwarzenau. Auch wenn er selbst nie Angst im Gericht gehabt habe. "Ich war nie der große Bedenkenträger."

Zu guter Letzt muss er aber doch einmal auf das Urteil zu sprechen kommen. Als Strafverteidiger, sagt Schwarzenau, sehe er "die besondere Schwere der Schuld", die das Landgericht München festgestellt hat, "nicht als zwingend" an. Hätte er Rudolf U. verteidigt, er hätte diesen Aspekt wohl in Frage gestellt. Aber hätte der Dachauer Rechtsanwalt auch einen Mann wie Rudolf U. als Mandanten genommen? "Ich bin Profi", sagt Schwarzenau. "Als Strafverteidiger weiß ich, dass ein solcher Mensch einen Verteidiger braucht."

Derweil steht in München nach der Urteilsverkündung T.s Mutter noch im Gerichtssaal. Sie hält die Hand einer Journalistin, erzählt, dass sie gestern noch am Grab ihres Sohnes gewesen sei, dass alles so entsetzlich sei, dass sie den Richter bei der Urteilsverkündung nicht ganz verstanden habe, "ich hör ein bisschen schlecht". Das Urteil, es scheint sie nicht so recht zu interessieren, nicht, was aus dem Mann wird, der ihren Sohn ermordet hat. Ihr Sohn ist tot. Etwas Entsetzlicheres könne es im Leben einer Mutter nicht geben, sagt sie.

© SZ vom 30.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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