Süddeutsche Zeitung

Zukunft der Kirche:"Weitermachen wie bisher geht nicht"

Bis zum Jahr 2060 halbieren sich die Mitgliederzahlen der beiden großen Kirchen und damit deren Steuereinnahmen. Der Generalvikar der Erzdiözese ruft deshalb am Petersberg den Sparkurs aus. Die Gläubigen haben Zukunftssorgen

Von Renate Zauscher, Petersberg

"Es wird massive Veränderungen geben" - das ist die zentrale Botschaft, die der neue Generalvikar der Erzdiözese München-Freising, Christoph Klingan, 41, am Dreikönigstag zum politischen Frühschoppen auf dem Petersberg mitgebracht hat. Klingan, vorher Pfarrer in Poing, hat sein Amt mit Beginn des neuen Jahres angetreten und die Nachfolge von Peter Beer übernommen; der Besuch auf dem Petersberg war der erste von vielen weiteren in der Erzdiözese. Und der neue Generalvikar war deutlich in seiner Aussage. Es stelle sich die Frage, "wie wir uns mit knapper werdenden Mitteln für die Zukunft aufstellen wollen". Prognosen für die nächsten Jahrzehnte sehen düster aus: Bis zum Jahr 2060 würden sich nach Vorausberechnungen sowohl die Mitgliederzahlen wie die Kirchensteuereinnahmen der beiden großen Kirchen in Deutschland halbieren, berichtete Klingan.

Auch wenn man jetzt noch weit entfernt davon sei, "keine Mittel mehr für die Gestaltung des kirchlichen Lebens zu haben", sagte Klingan, müssten künftig pro Jahr rund 30 Stellen eingespart werden. Auf zehn Jahre berechnet würden 30 Prozent der vorhandenen Stellen wegfallen - dies oft auch deshalb, weil man sie personell nicht mehr besetzen könne.

Mit Klingans Amtsübernahme ist eine weitgehende Änderung auf der Leitungsebene der Erzdiözese verbunden. Bisher fungierte ein geweihter Priester im Amt des Generalvikars als allgemeiner Vertreter des Erzbischofs auch als oberster Chef des Erzbischöflichen Ordinariats. Jetzt aber werden die damit verbundenen Aufgaben und Funktionen geteilt: Während der Generalvikar für thematische, inhaltliche und theologische Fragen zuständig ist, wird künftig eine zweite Person die operative Verwaltung der Erzdiözese leiten. Im konkreten Fall hat Kardinal Reinhard Marx eine Entscheidung getroffen, die, so Klingan, "vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre": Er hat eine Frau berufen, die Juristin Stephanie Herrmann.

Christoph Klingans Botschaft von den anstehenden Veränderungen bezogen sich vor allem auf den finanziellen Handlungsspielraum in der Erzdiözese. Auch wenn die Kirche ein Ort der "offenen Türen" sein wolle, würden Kirchentüren in anderen Bistümern bereits geschlossen: Weil das Geld fehle für Sanierungen und weil es auch "an Menschen fehlt, die die Türen offen halten". Trotz solcher Zahlen sei er "nicht gekommen, um in den vielstimmigen Abgesang auf die katholische Kirche einzustimmen", betonte Klingan. Was ihm Hoffnung mache, sei der "lebendige Kern" der Kirche: die Menschen, die im Hauptamt als Priester, Diakone, Pastoral- und Gemeindereferenten oder auch ehrenamtlich in verschiedenen Bereichen tätig seien.

Aus Menschen, die diesen "lebendigen Kern" der Kirche ausmachen, bestand auch das Gros der Zuhörer auf dem Petersberg. Das Interesse an der Veranstaltung war gewaltig, ebenso groß das Bedürfnis, über die eigenen Sorgen zu reden. Die gibt es ganz konkret auch auf dem Petersberg. Wann solle ihre Stelle neu besetzt werden, wenn sie jetzt in Ruhestand gehe, fragte Mathilde Hüttinger, Referentin am Petersberg, in der vom stellvertretenden Direktor der Landvolkhochschule, Sascha Rotschiller, geleiteten Diskussion. Die Kirche müsse sich Orte wie den Petersberg, "ganz einfach leisten" - selbst wenn das einiges an Geld koste. Auch Anni Sedlmair, die Vorsitzende der Petersberg-Gemeinschaft appellierte an den Generalvikar: "Wir brauchen dringend Ihre Unterstützung - wir wollen hier weitermachen."

Nicht nur mit Zukunftssorgen sondern auch mit Kritik wurde Christoph Klingan konfrontiert. Geklagt wurde darüber, dass in der Kirche keine "Begeisterung" mehr zu spüren sei, dass das Ehrenamt nicht genug gewürdigt und Wortgottesdienste durch Laien nicht wirklich vom Erzbischof geschätzt würden, dass in manchen Bereichen Stundendeputate der hauptamtlichen Mitarbeiter gekürzt würden. Warum weihe man nicht "g'standene Mannsbilder" zu Priestern, wollte ein Besucher wissen, während sich andere eine dringend nötige Aufwertung der Frauen in der Kirche wünschen.

Christoph Klingan schien die Sorgen der vielen lebhaft diskutierenden Menschen ernst zu nehmen. Er verwies auf den "synodalen Weg", der mehr Teilhabe von Laien ermöglichen solle, sprach von "neuen Modellen und Wegen" auch dort, wo es um die Möglichkeit der Übernahme von Quereinsteigern ins Hauptamt oder um verwaltungstechnische Unterstützung ehrenamtlicher Arbeit geht.

Entwarnung gab er, was den Petersberg angeht: Orte wie dieser seien "im besten Sinne nachhaltig", man brauche sie vermehrt auch in der Zukunft. Trotz solcher Offenheit für die Sorgen der in der Kirche Aktiven aber rückte Klingan nicht ab von seiner Kernaussage: "Weitermachen wie bisher geht nicht - wir werden uns vieles nicht mehr leisten können."

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SZ vom 08.01.2020
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