Zeitungszeugen:Holocaust als Marktartikel

Zeitzeugen, Wissenschaftler und Kirchen in Dachau sehen die Veröffentlichungen aus "Mein Kampf" in der Sammeledition "Zeitungszeugen" als reines Geschäftsmodell.

Helmut Zeller

Hitlers "Mein Kampf" an Dachauer Kiosken - für die Überlebenden des ehemaligen Konzentrationslagers eine unerträgliche Vorstellung. Im Streit über eine auszugsweise und kommentierte Veröffentlichung der Hetzschrift in der Sammeledition "Zeitungszeugen" kommen ablehnende Reaktionen auch aus Wissenschaft und Kirche in Dachau. Holocaust-Überlebende wie Max Mannheimer, Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees (CID), lehnen das Projekt des britischen Verlegers Peter McGee strikt ab. Die Dachauer bekamen am Donnerstag indes keine nationalsozialistischen Hetzparolen zwischen Playboy und Psychologie heute an den Kiosken zu kaufen. Die 7. Strafkammer am Landgericht München hatte am Mittwoch einem Eilantrag des Finanzministeriums stattgegeben und die Veröffentlichung verboten. Die Richter sahen darin eine Verletzung des Urheberrechts, das bis 2015 beim Freistaat Bayern liegt.

Zeitungszeugen: Eine Ausstellung der evangelischen Versöhnungskirche zeigt zurzeit Karikaturen und Zeichnungen des tschechischen Künstlers Josef Capek, den die Nazis ins Konzentrationslager Dachau verschleppten und im April 1945 im KZ Bergen-Belsen ermordeten. Unter dieser Hitler-Karikatur steht: "Ich schwöre, dass ich das Buch `Mein Kampf`niemals geschrieben habe."

Eine Ausstellung der evangelischen Versöhnungskirche zeigt zurzeit Karikaturen und Zeichnungen des tschechischen Künstlers Josef Capek, den die Nazis ins Konzentrationslager Dachau verschleppten und im April 1945 im KZ Bergen-Belsen ermordeten. Unter dieser Hitler-Karikatur steht: "Ich schwöre, dass ich das Buch `Mein Kampf`niemals geschrieben habe." 

(Foto: npj)

Die Debatte über das Projekt aber geht weiter: "Ich habe den Eindruck, dass hier hohe Verkaufs- und Auflagenzahlen erzielt werden sollen", kritisiert Karl Freller, Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten. Dabei sitzen im wissenschaftlichen Beirat der "Zeitungszeugen" angesehene Historiker wie Peter Longerich, der gerade an einem Konzept für das NS-Dokumentationszentrum in München mitarbeitet. Auch Barbara Distel, frühere Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, und Wolfgang Benz, emeritierter Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin, werden auf der Internetseite der "Zeitungszeugen" vorgestellt. Freller beeindruckt das nicht: "Hier geht es ums Geld. Das steht einem Verlag auch frei, aber bitte nicht mit Hitlers Hetzschriften."

Aufklärung über Naziverbrechen als ein Geschäftsmodell auf dem freien Markt für Printmedien - das halten die ehemaligen Dachau-Häftlinge nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht für unseriös. Der politischen Kultur des Landes stünde es gut an, wenn Rücksicht auf die Gefühle der Holocaust-Opfer genommen würde, erklärt Max Mannheimer. Mit Nachdrucken von NS-Schriften politische Bildung betreiben zu wollen, hält Max Mannheimer für "geradezu fahrlässig". Auch wenn die Nazipropaganda wissenschaftlich eingeordnet werde, bleibe sie hetzerisch, bösartig und zynisch. Max Mannheimer verweist auf Zwickauer Zelle, NPD und den Expertenbericht im Auftrag des Bundestags, wonach Antisemitismus in Deutschland fest verankert ist: "Mit den Zeitungszeugen lösen wir diese eigentlichen und bedrohenden Probleme jedenfalls nicht." Abba Naor, Vertreter Israels im Internationalen Dachau-Komitee, sagt: "Gerade in Deutschland ist das geschmacklos." Der Holocaust sei grundsätzlich kein Marktartikel, soll es ihn dann irgendwann auch noch im Schlussverkauf geben? Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, meint, das McGee die Aufregung nach dem Verbot nur willkommen sei: "Eine bessere Werbekampagne hätte er sich nicht vorstellen können." "Die Zeitungszeugen als kritische wissenschaftliche Edition zu verkaufen, ist natürlich abwegig. Allein schon durch die Aufmachung - auf der einen Seite die Überblicksartikel ausgewiesener Historiker im Manteltext, auf der anderen das unkommentierte Original der Zeitung - wird dieses Prinzip nicht durchgehalten." Laut Björn Mensing, Historiker und Pfarrer der evangelischen Versöhnungskirche an der KZ-Gedenkstätte, zeige schon die reißerische Aufmachung (auf dem Titelbild prangt Hitlers Konterfei mit einem schwarzen Balken über den Augen), dass es hier nicht eine kritische Auseinandersetzung, sondern um kommerzielle Interessen gehe. Grundsätzlich hätte Mensing nichts gegen faksimilierte Auszüge in der Kombination mit kritischen Analysen einzuwenden. Mensing, der auch Beauftragter für evangelische Gedenkstättenarbeit der bayerischen Landeskirche ist, und auch Hammermann verweisen auf ein positives Beispiel, die geplante kommentierte Ausgabe von "Mein Kampf" des Instituts für Zeitgeschichte in München. Ludwig Schmidinger, Bischöflicher Beauftragter für KZ-Gedenkstättenarbeit in der Erzdiözese München und Freising, fragt sich, ob die knappen Analysen des redaktionellen Mantels der "Zeitungszeugen" um den Reprint von Nazischriften ausreiche. McGee hatte noch vor dem Gerichtsurteil am Mittwoch auf der Homepage der "Zeitungszeugen" mitgeteilt, dass die Beilage mit den Kommentaren erscheine, aber die wörtlichen Zitate unleserlich gemacht werden. Bereits 2009 war es zu einem Eklat gekommen: Die "Zeitungszeugen" hatten ein NS-Propagandaposter und eine Ausgabe des "Völkischen Beobachters" von 1933 veröffentlicht. Der Freistaat ließ die Seiten beschlagnahmen, unterlag damals aber vor Gericht.

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