Zeitfragen:Daseinskritik auf Berlinerisch

Kabarett

Frank Lüdecke neigt zu viel Gestik. Zwischendrin greift er auf der Bühne der Post in Schwabhausen auch zur Gitarre, um "Über die Verhältnisse" zu singen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Kabarettist Frank Lüdecke beweist im Gasthaus zur Post, dass Bayern und Hauptstädter gut miteinander auskommen können

Von Renate Zauscher, Schwabhausen

Politisches Kabarett hat seine Tücken. Der Kabarettist hat es schließlich mit dem zu tun, was Frank Lüdecke, einer der Großen, mit vielen Preisen ausgezeichnete seines Fachs, als "die Verhältnisse" bezeichnet. Und die sind mittlerweile so, dass auch einem eigentlich nicht zu Bitterkeit und Pessimismus neigenden Kabarettmacher der Spaß an seinem Beruf durchaus abhandenkommen könnte.

Bei Lüdecke, der am Freitag in der Schwabhausener Post zu Gast war, liegen die Dinge anders: Er wirkt so locker, so seinem Publikum zugewandt, dass da trotz vieler Berufsjahre keinerlei Müdigkeit zu spüren ist. Leichtfüßig kommt er auf die Bühne gesprungen und warnt erst einmal vor den "Risiken und Nebenwirkungen" seines Programms. So könnte etwa die Meinung des Kabarettisten abweichen von der eigenen, weshalb auch "das Entstehen von Mikro-Aggressionen" nicht auszuschließen sei. Lüdeckes Sorgen erweisen sich indes sehr rasch als unbegründet: Von "Aggressionen" gegenüber dem Mann auf der Bühne oder auch dem Inhalt seines Programms, das er schön zweideutig "Über die Verhältnisse" genannt hat, ist an diesem Abend nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil: Mit Berliner Charme und Schnauze hat Lüdecke das Publikum sofort auf seiner Seite.

Als erstes befasst sich der schlanke, bewegliche, zu viel Gestik neigende Mann mit den Verhältnissen vor Ort in seiner Heimatstadt. "Der Berliner kommt aus Schwaben, Bonn und Istanbul", konstatiert er, und es gebe in Berlin "sehr viele Hunde und sehr wenig Wohnraum". Und dann natürlich auch noch dieses Projekt irgendwo da draußen am Stadtrand. Da werde jetzt aber mächtig Druck gemacht: Die Termine stehen fest - als erstes sollen 2028 die Sanitäreinrichtungen des künftigen Flughafens in Betrieb genommen werden. Und was diese "alte, fiese Mauer" angeht: Die könne man inzwischen fast nicht mehr sehen. "Aber keine Sorge: in den Köpfen bleibt sie bestehen".

Eines der vielen Themen, die Frank Lüdecke bewegen, ist das, was sich sonst noch so in den Köpfen befindet - seiner Analyse nach nämlich oft erschreckend wenig. Was tun, wenn eine Berufsschülerin die Frage nach ihrer Konfession unschuldig mit "75 B" beantwortet, weil ihr das benutzte Fremdwort nicht so ganz geläufig ist? Und wenn sich staatliche Schulen mehr und mehr zur "AOK des Bildungswesens" entwickeln?

Ohnehin verändere sich derzeit vieles. "Wir leben in Zeiten von Facebook und Google, Twitter und Algorithmen", stellt Lüdecke fest, und da braucht man natürlich auch keine Bücher mehr, zumal volle Bücherregale als Statussymbol ausgedient haben und sich durch "Wandtattoos" mit sinnentleerten Schriftzügen gut ersetzen lassen.

Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, greift Lüdecke immer wieder zur Gitarre und schildert etwa das Paar, das sich anfangs noch für Marx und Hegel interessiert, jetzt aber nur noch "Shades of Grey", Hörzu und Apothekenumschau liest. "Was ist mit uns, wir sind daneben, wir geh'n nicht vor, wir bleiben steh'n", heißt es in einem anderen Song des Berliners, und er beklagt, dass aus dem "Wir" ein ausschließliches "Ich" geworden ist. Und dann ist da natürlich auch noch die große Politik. Trump: der Mann sei das passende Symbol für unsere Zeit. Wie konnten nur 320 Millionen "vernunftbegabter Mehrzeller" jemanden wählen, der Belgien für irgendeine Stadt im fernen "Europe" hält und Waterboarding vermutlich für eine neue Sportart?

Skeptisch ist Lüdecke grundsätzlich, was die Segnungen der Demokratie angeht. Ob es denn wirklich wünschenswert sei, dass alle bisherigen Nichtwähler zur Urne gehen - auch die, die mit ihrer Zweitstimme den Bundespräsidenten wählen wollen? Lüdeckes Aussagen sind sehr klar: Wir wählen nicht nur falsch, wir haben auch viel zu viel von allem und glauben, dass wir mit dem "Öko-Apfel aus Brandenburg" bereits alles richtig machen. Sarrazin aber und Hans-Olaf Henkel, Mauern und Zäune, Militär - das könne nicht die Lösung sein. Lüdeckes Urteil über "die Verhältnisse", über eine Politik, die keine Verantwortung übernimmt oder eine AfD, die ihre Beschränktheit mit den Mitteln der Arroganz und Überheblichkeit tarnt, lässt somit wenig Raum auf Hoffnung.

Auf Bitterkeit und Häme verzichtet der Mann aus Berlin. Er bleibt locker, fröhlich, witzig und begeistert damit über die scharfsichtige Analyse hinaus sein Publikum. Es gibt stürmischen, nach ein paar Zugaben, geradezu jubelnden Applaus: Bayern und Berlin können offensichtlich sehr gut miteinander.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: