Zeitenwechsel:Raus aus dem Grau

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Adrian Till setzt die letzten Striche. Er und Johannes Wirthmüller haben die S-Bahn-Unterführung in der Augustenfelder Straße neu gestaltet. (Foto: Toni Heigl)

Früher galten Graffiti als Schmierereien, heute werden sie zunehmend als Kunst anerkannt. In Dachau entstehen derzeit viele Werke, an denen auch die Bürger Gefallen finden. Die Stadt fördert die Künstler mit Auftragsarbeiten

Von Sven Röder, Dachau

Johannes Wirthmüller und Adrian Till sind gerade in der S-Bahn-Unterführung an der Augustenfelder Straße am Werk. Die beiden Graffiti-Künstler gestalten die bisher graue, triste Unterführung mit kräftigen Farben um. Dabei erhalten sie viel Zuspruch von Bürgern. Die Anerkennung reicht von einer Schachtel Pralinen bis zu ein paar Euro für eine Brotzeit. Immer wieder halten Passanten an und loben die Sprayer. "Das passiert uns gefühlt hundert Mal am Tag", sagt Wirthmüller über die Anerkennung der Bürger. Deren Alltag wird durch die Arbeit der Sprayer bunter. Viele gehen täglich durch die Unterführung, die jetzt wesentlich freundlicher wirkt.

Wirthmüller und Till besprühen die Unterführung nicht illegal. Sie sind im Auftrag der Stadt unterwegs. Das scheint bei den Bürgern gut anzukommen. Auch eine ältere Autofahrerin, die an der Unterführung vorbeikommt, macht den beiden Sprayern ein Kompliment. Die Gestaltung der Unterführung ist nur eines von vielen Projekten, bei denen die Stadt mit der lokalen Szene zusammenarbeitet. Graffiti ist sozusagen salonfähig geworden und wird zunehmend als Kunstform akzeptiert. Das hat auch die Stadt Dachau erkannt. "Die Bürger erkennen einerseits die Ästhetik und Schönheit von Graffiti", sagt Tobias Schneider, der das städtische Kulturamt leitet. Andererseits sei diese Erkenntnis erst durch die Arbeiten der Künstler im öffentlichen Raum möglich. Die Stadt Dachau fördert diese Entwicklung, indem sie den Künstlern der Dachauer Szene Aufträge zur Neugestaltung öffentlicher Räume zukommen lässt. "Die Arbeit, die wir hier beispielsweise an der Unterführung machen, ist deshalb wichtig, weil die Bürger dadurch einen Blick dafür bekommen, was wir machen, wie vielseitig Graffiti generell ist und in welcher Qualität diese Kunstform existieren kann", sagt Wirth-müller.

Bunte Bahnunterführung an der Augustenfelder Straße (Foto: Toni Heigl)

Angefangen hat die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Graffiti-Künstlern vor etwa vier bis fünf Jahren. "Damals wurde das Thema Graffiti im Kulturausschuss angesprochen, und es herrschte Konsens über das Potenzial", erinnert sich Kulturamtsleiter Schneider. Johannes Wirthmüller ist für die Kooperation eine Schlüsselfigur. Der heute 25-jährige Künstler aus Odelzhausen hat sein Hobby zum Beruf gemacht. Er hat die in München ansässige Agentur "morefines" gegründet, die sich mit der digitalen Umsetzung im Bereich Grafik/Logo, Illustration bis zur Fassadengestaltung beschäftigt. Seine Wurzeln hat Wirthmüller nicht vergessen und engagiert sich nebenher in der Dachauer Graffiti-Szene. "Die Zusammenarbeit mit der Stadt ist für uns sehr wichtig. Ich sage uns, da ich zwar häufig der Ansprechpartner bin, wir in der Regel jedoch mit zwei bis fünf Leuten an Aufträgen der Stadt arbeiten", sagt Wirthmüller bescheiden. Für beide Seiten sei es eine Win-Win-Situation: "Wir können unsere Ideen verwirklichen, und die Stadt hat einen Ansprechpartner, wenn es um Arbeiten geht, die auch langfristig bestehen bleiben."

In den vergangenen Jahren gab es viele solcher Arbeiten: So wurden die Fassaden des MD-Geländes neu gestaltet, die Wände am Hofgartenweg aufgepeppt und zuletzt die Außenwände des Jugendzentrums Dachau Ost besprüht. Dieses Graffiti entstand im Juli im Zuge des Subkultur-Festivals, das Adrian Till organisierte. Dort wurden auch Workshops für Neueinsteiger angeboten. "Wir versuchen, den Nachwuchs an uns zu binden und mit ihnen gemeinsam zu sprayen. Dadurch wollen wir auch ein gewisses Wertesystem vermitteln. Dazu gehört beispielsweise, dass Auftragsarbeiten nicht übermalt werden sollen. Wir überlegen auch, an welchen Orten Graffiti sinnvoll sind", erklärt Wirth-müller. Mit den sinnvollen Orten meint er die Plätze, an denen legal gesprüht werden darf. Die Stadt Dachau bietet einige an: das MD-Gelände, den Freiraum e.V., das Jugendzentrum Dachau Ost und eine Holzwand am Skatepark. Privatleute stellen bisher wenige Flächen zur Verfügung, anders als in Großstädten wie Berlin und Hamburg.

Simon Schafflik, Mitarbeiter des Jugendzentrums Dachau Ost, bestätigt das gute Angebot für Sprayer in der Stadt, beklagt im selben Atemzug aber auch, dass nur einzelne Graffiti-Künstler diese Flächen nutzen würden. "Andere bekommen das nicht so mit". Vieles laufe über Mundpropaganda, da es kaum öffentliche Werbung gebe. Dennoch werden die Flächen, besonders von der Gruppe um Wirthmüller und Till, angenommen. Dadurch nimmt die Zahl illegaler Graffiti ab. "Es gibt zwar immer noch Einzelfälle, doch es ist besser geworden", sagt Kulturamtsleiter Schneider. Wirthmüller erklärt sich das durch den engen Kontakt innerhalb der Szene: "Das ist ein wichtiger Aspekt unserer Jugendarbeit. Wir arbeiten mit den jungen Leuten zusammen. Das unterscheidet uns beispielsweise von München. Wir sind hier eine Gemeinschaft, da gibt es eigentlich keine Probleme."

Dank der guten Zusammenarbeit zwischen den Sprayern und den offiziellen Institutionen ist es in Dachau gelungen, Graffiti in das Stadtbild und damit in den Alltag der Bürger zu bringen. Ein Modell, das sicher auch in anderen Städten funktionieren könnte. "Gerade in unserer Stadt ist Graffiti ein Teil der Kultur geworden", freut sich Wirthmüller. In Zukunft wollen er und Till ihre Arbeit noch ausweiten. Derzeit sind sie damit beschäftigt, einen Verein zur Förderung von Kunst im öffentlichen Raum zu gründen. Im nächsten Sommer planen sie ein Themenwochenende mit verschiedenen Ausstellungen und Aktionen in der Stadt. Genauere Informationen gibt es noch nicht.

Wer Lust hat, sich mit den Werken der Dachauer Graffiti-Szene auseinanderzusetzen, und nicht bis zum nächsten Sommer warten will, kann dies am Wochenende vom 16. bis 18. September im Freiraum, Brunngartenstraße 7, tun. Dort wird es im Zuge der langen Nacht der Galerien eine Ausstellung unter dem Namen "Freiraum Nr. 8" geben, deren Hauptthema Graffiti ist. Sie wird ebenfalls von Wirthmüller und Till organisiert.

© SZ vom 03.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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