Wie viel Wachstum verträgt die Stadt?:Streit um Seeber-Gelände eskaliert

Seeber Gelände

Anfang des Jahres wurden die Abrissarbeiten auf dem Seeber-Gelände fortgesetzt. Anwohner protestieren jetzt gegen die Pläne für das neue Gewerbegebiet.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Anwohner protestieren gegen die Pläne für das neue Gewerbegebiet. Sie sprechen von Vertuschung. OB Hartmann wehrt sich mit einer öffentlichen Stellungnahme

Von Viktoria Großmann, Dachau

Um das neue Gewerbegebiet an der Schleißheimer Straße in Dachau, auf dem früheren Seeber-Gelände, ist ein heftiger Streit entbrannt. Anwohner begehren gegen die Reaktivierung des Areals auf, das lange brach lag. Vor allem die angestrebte Baudichte stört sie. Sie befürchten eine vollständigen Verkehrskollaps auf der stark befahrenen Schleißheimer Straße. Mehr Lärm, mehr Dreck. Vor allem aber fühlen sie sich übergangen und nicht ernst genommen. Sie sprechen von "Schönfärberei". Ein Vertreter der Bürgerinitiative (BI) anwohnerfreundliche Entwicklung Dachau-Ost e.V. spricht gar von "Vertuschung". Ihren massiven Unmut gegen solche Vorwürfe hatten die Stadträte bereits in der vergangenen Sitzung des Bau- und Planungsausschusses geäußert. Nun wendet sich auch Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) mit einer öffentlichen Stellungnahme gegen solche Vorwürfe.

"Die Stadt Dachau hat Herrn Lauth bereits mehrmals und bei verschiedenen Anlässen sachlich und ausführlich Antwort gegeben. Dies scheint er nicht zur Kenntnis zu nehmen", schreibt Hartmann. Doch Bernhard Lauth, der an der Ludwig-Maximilians-Universität Philosophie lehrt, bleibt bei seinen Vorwürfen. "Es gibt keine einzige realistische Prognose", sagt er im Hinblick auf vorliegende Verkehrsgutachten. Die geplanten Gewerbegebiete an der Schleißheimer Straße, südlich der Siemensstraße und möglicherweise ein weiteres in Karlsfeld müssten zusammen betrachtet werden.

Die Stadt weist darauf hin, dass in die Berechnungen beide Dachauer Gebiete einbezogen wurden. Bislang aber noch nicht das diskutierte Areal an der Karlsfelder Bajuwarenstraße. Die Planungen seien noch nicht mit der Stadt abgestimmt gewesen, als die Dachauer Gutachten erstellt wurden. Das Gutachten, das die Gemeinde Karlsfeld für ihr gewünschtes Gewerbegebiet erhalten hat, spricht eine eindeutige Sprache: Die Straße kann keinen weiteren Verkehr aufnehmen. Die Stadt lehnt die Pläne der Nachbargemeinde ab.

Aus Sicht der Anwohner sind die Gutachten für die Schleißheimer Straße genauso eindeutig, werden aber bewusst ignoriert. Vielleicht enthalte die Verwaltung gar den Stadträten Informationen vor, sagt Gerhard Schlabschi, ebenfalls in der BI aktiv. Er sei nicht grundsätzlich gegen das Gewerbegebiet. Aber gegen die geplante Dichte. "Vernünftig wäre, nur ein Fünftel oder ein Viertel des Geplanten umzusetzen."

Von den Stadträten können die Bürger quer durch die Fraktionen wenig Verständnis erhoffen. Nicht einmal von den Grünen. Thomas Kreß sieht die Pläne pragmatisch: "Ins Grüne zu bauen, ist keine Alternative." Es sei sehr sinnvoll ein bestehendes Gebiet zu reaktivieren und dort dann so dicht zu bauen, wie möglich, statt anderswo weitere Flächen zu versiegeln. Kai Kühnel vom Bündnis erklärt, die Stadt sei den Bürgern bereits entgegen gekommen. Etwa mit der Zusage, dass der ans Seeber-Gelände angrenzende Acker auf keinen Fall verbaut werde. Zudem sei ein früheres Industriegebiet zum Gewerbegebiet umgewidmet worden. Schlabschi entgegnet: Aus dem einst etwa 2,2 Hektar großen Industriegebiet sei per Flächennutzungsplan bereits 2010 ein 6,8 Hektar großes Gewerbegebiet gemacht worden.

Skeptisch ist Kühnel allerdings, was die statistischen Berechnungen zur Luftverschmutzung angeht. Da werde möglicherweise von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Schließlich wisse mittlerweile jeder, dass einige Autos mehr Schadstoffe ausstoßen, als vom Hersteller angegeben. Er möchte daher die Schadstoffbelastung auch messen lassen - um zu prüfen, ob sie überhaupt zu den Formeln passt, mit denen gerechnet wird. In einem Punkt gibt Kühnel zudem den Anwohnern recht: "Die Einkünfte aus Steuereinnahmen der neuen Gewerbebetriebe sind ungewiss."

Gewiss ist die Zunahme des Verkehrs. Nach einer Verkehrszählung des Ingenieurbüros Ingevost waren im Juni 2016 auf der Schleißheimer Straße Höhe Reismüller-Straße 17 500 Fahrzeuge täglich unterwegs. Etwa 3700 sollen durch das Gewerbegebiet hinzukommen. Die Gutachter empfehlen "Ertüchtigungsmaßnahmen aufzuzeigen, die ... einen verträglichen Verkehrsablauf gewährleisten". Doch diese vermissen die Anwohner. "Es wird bald nicht mehr fließen", sagt Kai Kühnel. "Wir sind hier in der Stadt. Es wird enger und dichter", sagt Thomas Kreß. Beide verweisen auf Alternativen zum Auto. Das Gewerbegebiet sei auch mit S-Bahn und Bus oder Fahrrad gut zu erreichen. Für Gerhard Schlabschi ist das keine Lösung: "Der Verkehr wird magisch angezogen. Das kann man gar nicht wegradeln."

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