Süddeutsche Zeitung

Wider dem Insektensterben:Die Biene soll leben

Viele Insektenarten kämpfen damit, dass sie auf Wiesen und Feldern kaum noch Nahrung finden. Pestizide und Monokulturen setzen den Tieren zu. Naturschützer wollen der Entwicklung entgegensteuern

Von Christiane Bracht, Dachau

Wer früher eine Wiese betrat, sah das Leben. Es summte und brummte. Falter und Insekten aller Art saugten geschäftig an den Blüten oder flogen um die Gräser herum. Heute ist das anders. Heute freut man sich, dass es grün ist. Das vertraute Summen und Brummen ist selten geworden. Wiesen, Felder und Straßenränder leiden unter Artenarmut. Bienen, Hummeln, Schmetterlinge und Käfer müssen deshalb hungern. Doch je stiller die Natur geworden ist, um so lauter werden die Klagen der Naturschützer und Imker. Anfangs tat man ihre Warnungen als Hysterie ab, doch die Einstellung hat sich geändert. "Wir werden wahrgenommen", sagt der Kreisgruppenchef des Bundes Naturschutz Dachau, Roderich Zauscher.

Zu Veranstaltungen zum Thema Insektensterben kämen inzwischen viel mehr Interessierte als noch vor fünf Jahren. Es ist ein Problem, das die Leute bewegt. Und so ist es auch für den Bund Naturschutz eines der zentralen Projekte geworden. Der Verein lockt nicht mehr nur mit Vorträgen, sondern greift das Problem ganz praktisch an. So hat die Ortsgruppe Karlsfeld im Krenmoos und im Schwarzhölzl blühende Wiesen geschaffen, die sie fachgerecht pflegt. Auch die Hallenbadwiese ist inzwischen eine Insektenweide. Doch das allein reicht freilich nicht um die Tiere ausreichend zu ernähren. Gemeinden, Landwirte und Gartenbesitzer müssen ihre Flächen ebenfalls so bepflanzen, dass Bienen, Hummeln, Falter und Käfer nicht verhungern müssen. Nur dann kann die Kehrtwende glücken. Alle zu überzeugen ist aber nicht so einfach.

"Der Bürgermeister zeigt sich sehr aufgeschlossen", freut sich die Karlsfelder BN-Vorsitzende Marion Matura-Schwarz. Doch die Firma, die die gemeindlichen Flächen mäht, ist bislang weniger einsichtig. Sie bearbeitet den Auftrag, wenn es in ihren Zeitplan passt, nicht, wenn die Natur so weit ist, klagt Matura-Schwarz. Doch der richtige Zeitpunkt sei entscheidend, damit das Saatgut erhalten bleibt.

In Dachau kümmert sich seit vielen Jahren die Stadtgärtnerei Stadtgrün darum, dass das bienenfreundliche Begleitgrün an den Straßenrändern nicht zu oft und nicht zu früh gemäht wird. Außerdem hat sich Dachau verpflichtet, kein Glyphosat auf stadteigenen Flächen zu versprühen. Selbst bei den verpachteten landwirtschaftlichen Arealen darf das Gift nicht eingesetzt werden.

"Die Gifte, vor allem Neonicotinoide, sind am schlimmsten für die Bienen", klagt Zauscher. "Wenn sie verboten werden, ist ein großer Fortschritt gemacht." Er hofft auf die Europäische Union, die bis Ende April das Verbot erlassen will. Neonicotinoide sind das am meisten eingesetzte Pflanzenschutzmittel. Die Insekten verlieren dadurch ihre Orientierung und sterben, erklärt Peter Heller von der Ortsgruppe Dachau.

"Außerdem müssten die Maisfelder zurückgedrängt werden. Sie nehmen im Landkreis überhand", klagt Zauscher. Gut die Hälfte der Äcker sind mit der wuchtigen Pflanze "zubetoniert", nur um Biogas zu erzeugen. Insekten hätten dort keinen Platz mehr. "Das ist eine Fehlentwicklung", schimpft der Kreisgruppenchef. Artenvielfalt sehe anders aus. Sie zu erreichen, sei aber nicht allein Sache der Landwirte, der Verbraucher habe schon auch Einfluss darauf, sagt Zauscher. "Er kann zum Beispiel Biogemüse kaufen oder Biofleisch und damit was Gutes tun." Je mehr Leute sich von der konventionellen Landwirtschaft abwenden, um so mehr wirke sich das auch auf den Anbau der Ackerflächen aus, so der Naturschützer.

Wer einen Garten hat oder einen Balkon, kann sogar selbst bienenfreundliche Pflanzen ansäen. Eine kleine Ausstellung Anfang Mai in der Dachauer VR-Bank (Konrad-Adenauer-Straße) soll die Gartenbesitzer anregen, wie man die freien Flächen so gestaltet, dass sie keine Steinwüsten sind. Die Ortsgruppe Karlsfeld hat sich heuer sogar vorgenommen, das Insektensterben zum Hauptprojekt zu machen. Sie will die Leute beraten, vielleicht sogar mit einem Infostand, auf das Problem und die Folgen aufmerksam machen.

In Vierkirchen ist man schon weiter. Hier hat nicht der Bund Naturschutz die Initiative ergriffen, sondern der Bürgermeister selbst. Ein Gespräch mit einem Imker schreckte Harald Dirlenbach (SPD) auf. "Wenn die Biene ausstirbt, ist der Mensch nicht mehr weit weg davon", sagt er bei jeder passenden Gelegenheit. Vor drei Jahren hat sich die kleine Gemeinde in der Mitte des Landkreises der bundesweiten Initiative angeschlossen, seither heißt es: "Vierkirchen summt". Mit Veranstaltungen hat Dirlenbach die Bürger auf das Problem aufmerksam gemacht und ihnen Samentütchen geschenkt, damit sie einen Quadratmeter in ihrem Garten bienenfreundlich gestalten können. Jeder soll mithelfen, ist seine Botschaft. Die Gemeinde hat inzwischen Schaufelder angelegt, die farbenprächtig blühen. Am Naturbad wurde eine große Linde gepflanzt, die Insekten lieben. Und die etwa 100 Biotope sollen auch sukzessive umgestaltet werden. Selbst die Jäger sind inzwischen zu Bienenfreunden geworden, schwärmt der Bürgermeister. Die Wildäcker für Hasen, Kibitze und Fasanen sind mit Sträuchern, Bäumen und anderen insektenfreundlichen Arten bepflanzt und so zu "kleinen Lebensinseln" geworden. Und auch Landwirte haben begonnen, teureres Saatgut zu kaufen und zumindest einen Streifen in ihren Äckern damit zu bepflanzen und so einen Beitrag zur Artenvielfalt zu leisten, sagt Dirlenbach.

Seine Initiative zieht langsam Kreise, darauf ist der Vierkirchener besonders stolz. "Ich habe extra keine Werbung bei meinen Kollegen gemacht", sagt er. Er wollte nicht, dass sie die Augen verdrehen. Doch der Erfolg hat das Interesse geweckt. Landrat Stefan Löwl hat sich laut Dirlenbach bereits informiert und auch andere schielen nach Vierkirchen. Denn dort ist man dem Wunsch des Kreisnaturschützers Zauscher schon deutlich näher als anderswo. "Weniger Ordnung wäre gut", sagt dieser. "Nicht alles abschneiden und begradigen. Der Natur mehr freien Lauf lassen, das wäre gut."

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Quelle:
SZ vom 19.04.2018
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