Süddeutsche Zeitung

Wider das Vergessen:"Ich glaube, das verlässt einen nie"

Lesezeit: 3 min

Die 26-jährige Beata Tomczyk aus Warschau hat sich mit der NS-Vergangenheit auseinander gesetzt und Jugendliche durch die Gedenkstätte geführt. Jetzt beendet sie ihren Freiwilligendienst in der Versöhnungskirche - und ist sicher, dass sie nach Dachau zurückkehren wird

Interview Von Clara Nack

In der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) hat sich die junge Polin Beata Tomczyck, 26, schon mehrmals engagiert. Mit den 27 Rundgängen, die sie in der Dachauer Gedenkstätte führte, hat sie die Vergangenheit nicht nur Jugendgruppen näher gebracht, sondern auch sich selbst. Nach einem Jahr ist sie sich sicher, dass sie nach Dachau zurückkehren wird.

SZ: Waren Sie sich von Anfang an sicher, dass Sie sich während Ihres Freiwilligendienstes mit der deutschen nationalsozialistischen Vergangenheit und Zeitgeschichte auseinandersetzen wollten?

Beata Tomczyk: Meine Masterarbeit habe ich über die gegenwärtigen polnisch-jüdischen Beziehungen geschrieben und mich im Studium viel mit Holocauststudien beschäftigt. Von daher war mir das Thema schon sehr nah. Ich wusste auch, dass ich in Warschau mit Dokumenten zur deutschen Vergangenheit arbeiten können würde, aber eine solche Gedenkstätte konnte ich nur in Deutschland besuchen, dort mit Besuchern und Kollegen in Kontakt treten und Rundgänge führen. Ich wollte nach meinem Masterstudiengang unbedingt noch einmal ins Ausland gehen, aber für meinen Freiwilligendienst einen Ort wählen, der mit persönlichem Interesse verknüpft ist.

Was hat Sie an der Aufarbeitung dieser Vergangenheit besonders interessiert?

Die gesamte nationalsozialistische Zeit natürlich. Die gesamte Geschichte als Mahnung für die heutige Zeit, da möchte ich kein Detail wählen, das besonders heraussticht. Für mich ist vor allem wichtig den Prozess zu verstehen, wie es möglich war, dass solche Verbrechen begangen wurden und die Macht der Nationalsozialisten derartig ausgeweitet werden konnte. Wie die Machtübernahme überhaupt möglich wurde, daraus kann die nächste Generation sehr viel lernen. Mir wurden mehrere Gedenkstätten in Aussicht gestellt. Dachau erschien mir hinsichtlich meiner Arbeit am interessantesten. Die Anlage ist auch größer als viele andere Gedenkstätten.

Welche Projekte haben Ihnen im Laufe des Jahres am meisten Spaß gemacht oder Sie am stärksten vorangebracht?

Die Hauptarbeit war in der Versöhnungskirche auf dem Gelände der Gedenkstätte, wichtig waren auch die Mitarbeit an dem Gedächtnisbuch, die Jugendbegegnungen, die jährlich in Dachau stattfinden und die Rundgänge für Besucher. Die Rundgänge waren mein liebster Teil der Arbeit, da ich lieber mit Menschen arbeite als im Büro zu recherchieren. Ich fand es vor allem sehr bereichernd Jugendgruppen die Gedenkstätte näher zu bringen, die meisten sind einfach sehr interessiert. Es ist wohl so, dass ich lieber mit Menschen arbeite als mit Dokumenten.

Könnte n Sie sich eine Rückkehr vorstellen?

Im Rahmen der Jugendbegegnungen auf jeden Fall. Da gehörte ich einem Team an, und das würde ich sehr gerne wiederholen. Ich kenne einige ehemalige Freiwillige, die inzwischen seit fünf Jahren immer wieder kommen.

Welche Workshops haben Sie betreut? Konnten eigene Ideen eingebracht werden?

Ja, wir haben die Themen während zweier Vorbereitungswochenenden selbst entwickelt und dann immer zu zweit einen Workshop geleitet. Ich habe mich einem Kollegen bei seinem Workshop zum Widerstand im Nationalsozialismus, auch im Konzentrationslager, angeschlossen. Zusätzlich habe ich noch einen Workshop über die Erinnerungskultur geleitet, bei dem wir uns mit Begriffen wie kollektives oder individuelles Gedächtnis beschäftigt und hinterfragt haben, warum wir denken, dass ein Erinnern wichtig ist.

Gab es Momente, in denen Sie manchmal Abstand brauchten?

Ich muss sagen, dass ich positiv davon überrascht bin, dass die Arbeit nicht so sehr belastend für mich war. Ich habe sie nicht als traumatisch empfunden. Das hatte ein bisschen befürchtet, bevor ich nach Dachau kam. Die ASF kümmert sich mit vielen Vorbereitungsseminaren auch sehr gut um ihre Schützlinge. Aber die Freiwilligen selbst sind die Arbeit auch sehr professionell angegangen. Wir haben verschiedene Ausstellungskonzepte diskutiert und Dachau einfach als eine weitere Gedenkstätte wahrgenommen.

Was würden Sie zukünftigen Freiwilligen mit auf den Weg geben?

Das Leben im Ausland ist anspruchsvoller. Ich würde sagen, man muss mehr Energie investieren um neue Menschen kennenzulernen, aber es ist dann natürlich auch unglaublich bereichernd. Man muss nur realisieren, dass es mehr Aufwand erfordert diese Entdeckungen zu machen.

Viele nutzen ein Auslandsjahr direkt nach dem Schulabschluss. Wie haben Sie den Zeitpunkt gewählt?

Ich hatte eigentlich schon viel früher die Idee und die Lust das zu machen, aber wahrscheinlich haben der Mut und die Kraft gefehlt, als ich 19 war. Dann war es wohl auch nicht der richtige Zeitpunkt. Da ich es aber unbedingt noch ausprobieren wollte, dachte ich mir, warum nicht? Es passt doch eigentlich gerade perfekt, ich kann mich jetzt noch ausprobieren. Dass ich die Projekte der ASF aus einem Sommerlager schon kannte, das ich 2014 in Berlin besucht habe, hat mich noch einmal mehr überzeugt den Schritt zu gehen.

Wie geht es jetzt weiter? War der Freiwilligendienst auch eine Art Berufsorientierung für die eventuelle Arbeit in einer derartigen Einrichtung?

Meine Pläne stehen noch nicht fest, da ich mir genug Zeit nehmen will, mein Leben in Warschau wieder aufzunehmen. Ich würde gerne in anderen Kulturinstitutionen arbeiten oder könnte mir auch eine historische Forschung zu den Themen, mit denen ich mich in der Gedenkstätte auseinandergesetzt habe, vorstellen. Von einem bestimmten Zeitpunkt an wusste ich bereits, dass ich nach dem Freiwilligendienst erst einmal wieder nach Polen zurück möchte. Dementsprechend habe ich auch meinen Aufwand anders verteilt. Bei vielen anderen Freiwilligen, die hier im Anschluss vielleicht ein Studium beginnen, ist mir aufgefallen, dass sie das Ganze als Anfang ihres Lebens im Ausland wahrnehmen. Ich möchte eher die enge Beziehung zu Dachau halten, zumindest im Rahmen der Jugendbegegnungen. Ich glaube auch, das verlässt einen nie.

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Quelle:
SZ vom 27.08.2018
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