White Paper Festival:Unter Freunden

Das Dachauer White Paper Festival lockt mehr als 2300 Besucher auf das MD-Gelände.

Von Viktoria Großmann, Dachau

Cool. Ein treffenderes Wort lässt sich für die Location des White Paper Festivals in Dachau nicht finden. Eine zu einer Seite offene Industriehalle, die an diesem lauen Freitagabend wirkt wie eine Riesen-Loggia mit Blick ins Grüne. Biertische auf der Festivalwiese. Abendrot hinter dem stillgelegten Kraftwerk, alle 20 Minuten fährt im Hintergrund ein Zug vorbei. An diesem Wochenende ist wohl niemand traurig, dass der Holzlagerplatz des ehemaligen MD-Geländes noch nicht bebaut ist. Einmal mehr wird das unglaubliche Potenzial des Geländes deutlich. Im Zentrum, dennoch im Grünen, mit Ausblick auf den Altstadtberg. Lässiger geht es nicht.

Jennifer Stolle hat an ihrem Stand "Kuss&Kuss" eine kurze Atempause. Die Festival-Besucher sind für den Moment mit genügend Couscous marokkanischer und indischer Art versorgt. Die junge Frau ist Hobbyköchin, das White Paper Festival gibt ihr am Freitag und Samstag das erste Mal die Gelegenheit, mit ihren Künsten in die Öffentlichkeit zu treten. Ihre jüngere Schwester übernimmt die Ausgabe, ihr Freund macht die Kasse. Er hat auch den Stand gezimmert, seine Schwester hat die Schilder gemalt. "Meine Mutter hilft auch mit", sagt Jennifer lachend. "Ohne Freunde und Familie hätte ich das nicht stemmen können."

Das beschreibt den Geist dieses Festivals: Hier haben Freunde mit Freunden von Freunden, mit Bekannten und Familien zusammen gearbeitet. Genauso fühlt es sich an: warm, freundlich, individuell. Auch die fünf Organisatorinnen des gemeinnützigen Vereins "Wir sind Paul" treten zum ersten Mal auf die große Bühne. Entstanden ist ein lässiges Event mit richtig guten Konzerten bekannter und nicht so bekannter Bands. Begleitet von einem Programm aus Blumensteckkursen und Siebdruck-Workshops. In einem Zelt schauen Leute Kurzfilme, in der Halle bieten ein paar Stände hübschen Designkram an. Zugegeben, so ganz konnte sich aus dem kunterbunten Programm vielleicht vorher keiner vorstellen, wie sinnvoll und passend sich das alles zueinander fügen würde. Einigen Besuchern kommt der Vergleich mit dem Münchner Tollwood in den Sinn. Aber es will nicht passen: Hier gibt es keine Massenware und keine Routine. Dass hinter all dem wenig Erfahrung steckt, ist dem Festival absolut nicht anzumerken. Schon gar nicht, dass Lina und Alice Homann, Lena Heilein, Ines Bugner und Annika Wenzel das alles innerhalb von acht Monaten in ihrer Freizeit organisiert haben. Neben Familie und Vollzeitjobs. Sie haben nicht nur Zeit, sondern auch ordentlich Geld investiert. Technik, Strom, Security, Toiletten, jede Menge Helfer für Einlass und Bars: Ohne Vorleistung ist das nicht zu haben. Und auch wenn man ein Mitglied der Band Kofelgschroa über zwei Ecken kennt: Bezahlt wird der Auftritt trotzdem. Die fünf Frauen selbst wollen an dem Event nichts verdienen. Die Kosten müssen gedeckt werden; was nach dem Kassensturz übrig bleibt, wird gespendet.

Den wichtigsten Dienst erweisen die fünf mit ihrem Verein der Stadt Dachau selbst. Kulturamtsleiter Tobias Schneider ist schlicht begeistert. "Die Stadt braucht eine neue Generation von Leuten, die etwas für das Kulturleben tun." Das Festival ziehe offensichtlich ein neues Publikum an. Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) fasst seinen Eindruck in einem Wort zusammen: "Gigantisch." Selbst nicht gerade jemand, der sich in den Vordergrund drängt, zwingt er die fünf Frauen geradezu, sich zu zeigen und bittet sie nach ein paar Worten zum Festivalbeginn auf die Bühne. Die fünf verneigen sich artig und mischen sich wieder unter die Leute. "Extrem professionell" sei das alles organisiert, lobt Bündnis-Stadtrat Michael Eisenmann und träumt von einem dauerhaften Festivalplatz auf dem Areal. Hausherr Herbert Ullmann, der mit seiner Dachau Entwicklungsgesellschaft das Gelände verwaltet, schmunzelt nur. Anfragen, das Industriegelände zu nutzen, gibt es viele. "Jetzt werden es vermutlich noch mehr." Sein langjähriger Geländeverwalter Josef Baur, früherer MD-Mitarbeiter, sagt nur: "Gut, dass ein Freigelände oben an der Thoma-Straße eingeplant ist, das noch viel größer ist, als das hier."

Die Organisatorinnen haben sich mit dem Festival einen Traum erfüllt. Etwa mit dem umjubelten Haupt-Act des Samstagsabends, Roo Panes, einem Singer-Songwriter aus London. "Den wollten wir einfach hier erleben", sagt Lina Homann. "Gut schaut er außerdem aus." Die Dachauer - in absolut jedem Alter - zeigen sich als feierfreudiges, neugieriges und entspanntes Publikum. Die vorsichtigen Besucherwartungen werden übertroffen: Statt 1000 kommen insgesamt 2300. "Wir mussten sogar vorübergehend die Kasse schließen", sagt Homann am Sonntag und bilanziert knapp und bescheiden: "Ausverkauft, ein schönes Ziel."

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