Weihnachtsfeier:Ein besonderer Verein

Andere bekommen mehr öffentliche Aufmerksamkeit, die Selbsthilfegruppe "Behinderte & Freunde Dachau" aber leistet enorm viel für das gesellschaftliche Leben in der Stadt. Das wird auch auf ihrer Weihnachtsfeier deutlich

Von Helmut Zeller, Dachau/Erdweg

Ein Teddybär, eine Antifaltencreme und ein PC - Stadträtin Gertrud Schmidt-Podolsky (CSU) liest Weihnachtsgeschichten vor, in denen diese drei Geschenke eine wichtige Rolle spielen. Das Stofftier stiftet eine Ehe zwischen einer jungen Frau und ihrem Freund, dem sie eigentlich gleich nach den Feiertagen den Laufpass geben wollte. An der Gesichtscreme, die unter dem Christbaum liegt, zerbricht, wenig verwunderlich, eine Freundschaft zwischen zwei Frauen - und der PC für den Vater...., aber das sollte man von Gertrud Schmidt-Podolsky hören, die gekonnt die humorvollen aber nachdenklich stimmenden Geschichten liest. Dazwischen spielt Stadtrat und Volksfestreferent Robert Gasteiger (Freie Wähler) auf der Zither.

Fünfzig Gäste im festlich dekorierten Nebenzimmer des Gartlerstüberls in Dachau lauschen ihnen gebannt. Der Verein "Behinderte & Freunde Stadt und Landkreis Dachau" hat zu seinem Weihnachtsfest eingeladen - an dergleichen Festen fehlt es zu dieser Jahreszeit nun wirklich nicht, und doch ist in diesem Fall etwas Besonderes daran. Vielleicht deshalb, weil es an diesem späten Nachmittag in einer Wirtschaft am Rande der Stadt Dachau um etwas eher Seltenes geht: Das Miteinander, wie die Vereinsvorsitzende, Stadträtin Christine Unzeitig (CSU), sagt. Da schleicht niemand, wie auf so mancher Firmenfeier die Gunst der Stunde nutzend, um den Chef herum, da wirft niemand über einem Mehr-Gänge-Menü hinweg dem politischen Gegner ein versteinertes Lächeln zu.

Weihnachtsfeier: Robert Gasteiger spielt Zither, Gertrud Schmidt-Podolsky liest Weihnachtsgeschichten vor. Die Stadträtin (CSU) und der Stadtrat (FW) schafften auf der Weihnachtsfeier des Vereins Behinderte und Freunde in Stadt und Landkreis Dachau eine besinnliche Stimmung.

Robert Gasteiger spielt Zither, Gertrud Schmidt-Podolsky liest Weihnachtsgeschichten vor. Die Stadträtin (CSU) und der Stadtrat (FW) schafften auf der Weihnachtsfeier des Vereins Behinderte und Freunde in Stadt und Landkreis Dachau eine besinnliche Stimmung.

(Foto: Toni Heigl)

Übrigens war auch die Tafel im Gartlerstüberl reich gedeckt, mit Plätzchen, Glühwein, Kuchen, Obst und Braten - und die sozial engagierte Wirtin Angelika Albertshofer ließ es sich nicht nehmen, die Gäste zu begrüßen. Die Atmosphäre ist locker, die Gesichter - auch der Kommunalpolitiker - sind entspannt. Deshalb glaubt man der stellvertretenden Landrätin Marianne Klaffki (SPD) aufs Wort, als sie sagt: "Ich fühle mich in dieser Runde wohl."

Das wertvollste Geschenk, meint Christine Unzeitig, sei Zeit für den anderen. Das erklärt auch schon den Vereinszweck, beschreibt den Schlüssel zum Verständnis seiner Bedeutung für Dachau und den Landkreis. "Der Verein lebt die Inklusion", sagt Marianne Klaffki. Und das schon lange, bevor das Konzept der Inklusion in der Politik richtig angekommen war. "Vereine bilden die Basis des Zusammenlebens", betont Gertrud Schmidt-Podolsky, die als Dritte Bürgermeisterin OB Florian Hartmann (SPD) vertritt. Der Verein, der im Juni 2002 gegründet wurde, ist für alle offen:

"Alle Menschen haben das gleiche Recht auf individuelle Entwicklung, soziale Teilhabe und sind als selbständige Mitglieder in der Gesellschaft anzuerkennen. Wie wir in unserem Namen schon festhalten, finden sich bei uns behinderte Menschen sowie Freunde und Förderer."

Das unterschreibt der Erdweger Altbürgermeister Michael Reindl, Fraktionssprecher der Freien Wähler im Kreistag, sofort - denn schließlich engagiert er sich als Vorsitzender der "Selbsthilfegruppe für Menschen mit Handicap - Stadt und Landkreis Dachau e.V." (SHG) auch für die gleichberechtigte Teilhabe behinderter und nicht behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben. Im Gasthaus Doll in Ried feierte die SHG mit 70 Gästen vor zwei Wochen ihre Weihnachtsfeier, unter anderen mit Christine Unzeitig. Jetzt ist Reindl zum Gegenbesuch gekommen. Die SHG konzentriert sich auf sportliche Aktivitäten, vor allem den Rollstuhlbasketballsport, und die Musikförderung durch die im Verein integrierte Musikgruppe "Das grüne Klapprad".

Rette die Welt

Die stellvertretende Landrätin Marianne Klaffki (rechts) würdigt die bedeutsame Arbeit der Selbsthilfegruppe Behinderte und Freunde in Stadt und Landkreis Dachau.

(Foto: Toni Heigl)

Bei allen Fortschritten der Inklusion sind behinderte Menschen in ganz Deutschland noch weit entfernt von einer Gleichberechtigung. Auch auf dem Arbeitsmarkt: Die Beschäftigung schwer behinderter Menschen ist in den vergangenen Jahren zwar kontinuierlich gestiegen, die Arbeitslosigkeit ging 2016 sogar stärker zurück als bei nicht schwerbehinderten Menschen. Trotzdem gelingt es schwer behinderten Arbeitslosen seltener, eine Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt aufzunehmen - die Dauer der Arbeitslosigkeit und der Anteil der Langzeitarbeitslosen sind jedoch deutlich höher, wie die Arbeitsagentur mitteilt.

Die Teilhabe am wirtschaftlichen oder auch kulturellen, sportlichen Leben hängt stark von den rechtlichen Rahmenbedingungen ab, die von der Politik geschaffen werden. Und auf die wollen beide Selbsthilfegruppen einwirken: Der Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath (CSU) bekräftigte die Wichtigkeit der Behindertenarbeit in der Gesellschaft in Ried. In Dachau kam die Bundestagsabgeordnete Katrin Staffler (CSU). Sie betonte das ehrenamtliche Engagement, das für Kommune, Land und Bund von großem Wert sei. Im Landkreis ist eine Vielzahl von Einrichtungen für Behinderte tätig, auch Banken wie die Sparkasse Dachau und die Raiffeisen Volksbank Dachau, die Vertreter geschickt hatten, sponsern die beiden Vereine. In der Dachauer Kommunalpolitik sind sie anerkannt: Silvia Kalina, Vorsitzende der Frauenunion, Vorstandsmitglied Johanna Mertl, Stadtrat Horst Ullmann (Bürger für Dachau), der spontan eine 200-Euro-Spende ankündigte, und Stadt- und Kreisrat Edgar Forster von den Freien Wählern Dachau drückten ihre Anerkennung aus.

Weihnachtsfeier: Stadtrat Horst Ullmann (links), Silvia Kalina von der Frauenunion (dritte von links), Erdwegs Altbürgermeister Michael Reindl (rechts hinten) und die Stadträtin und Vereinsvorsitzende Christine Unzeitig (rechts vorne).

Stadtrat Horst Ullmann (links), Silvia Kalina von der Frauenunion (dritte von links), Erdwegs Altbürgermeister Michael Reindl (rechts hinten) und die Stadträtin und Vereinsvorsitzende Christine Unzeitig (rechts vorne).

(Foto: Toni Heigl)

Es fehlt auch nicht an Unterstützung aus der Bevölkerung: Unter anderen brachten Irene Schuster und Susanne Reichl von der LAD, einem Zusammenschluss von Geschäftsleuten, eine Spende von 500 Euro. Und schließlich noch The Botchers, die Kultband aus Dachau, hatte bei einem kostenlosen Auftritt im Gartenstüberl 300 Euro an Spenden eingenommen, Bandleader Reinhold Pernpeintner überreichte sie Christine Unzeitig.

Die Selbsthilfe nimmt andere Aufgaben wahr als etwa Wohlfahrtsverbände; sie muss deshalb eine eigenständige verlässliche finanzielle Unterstützung erhalten. Ihre Organisationen setzen Initiativen und Maßnahmen um, die von betroffenen und behinderten Menschen selbst gewollt und organisiert werden. Insofern war die Weihnachtsfeier des Vereins eine politische Veranstaltung - eine erfolgreiche.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: