MaibaumwacheNachtschicht am Albertshof

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Der Ebersbacher Freizeitclub arbeitet an ihrem Maibaum und bewacht ihn rund um die Uhr.
Der Ebersbacher Freizeitclub arbeitet an ihrem Maibaum und bewacht ihn rund um die Uhr. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Seit 50 Jahren stellt der Freizeitclub Ebersbach den örtlichen Maibaum. Das soll am 1. Mai gebührend gefeiert werden. Doch bis es so weit ist, muss der Baum noch fertig bemalt und geschmückt werden – und darf natürlich auch nicht gestohlen werden.  Die Vereinsmitglieder schieben deshalb Wache, Tag und Nacht. Ein Besuch.

Von Carolin Luttinger, Weichs

In einer Hofgarage stehen Bierbänke und Tische neben zwei Traktoren, einige Mitglieder des Freizeitclubs Ebersbach sitzen beisammen. Die Tür zum Nebenzimmer ist offen, das soll sie die Nacht über auch bleiben. Denn im größeren Teil der Garage des Weichser Albertshofs liegt eine 26 Meter hohe Tanne, die es zu bewachen gilt. Der Stamm ist entrindet und „geschepst“ – so nennt man es, wenn die Haut entfernt wird –, aber bisher nicht fertig bemalt. „Wir haben noch viel Zeit“, sagt Vereinsvorstand Günter Vorpagel zur Begrüßung. Die Maibaumwache geht schließlich noch die ganze Nacht.

Das typisch bayrische, weiß-blaue Spiralmuster ziert bereits große Teile des Holzes. Am Boden liegt der charakteristische grüne Kranz neben Schildern mit Malereien, die den Ort, seine Besonderheiten und sein Handwerk, abbilden. Ein Bild zeigt das Ebersbacher Museum, ein anderes den Heiligen Florian, Schutzpatron der Feuerwehr. Das alles soll am Donnerstag, 1. Mai, am Baum hängen. Bislang ist der Schmuck – Kranz, Schilder und Gockelhahn – aus gutem Grund nicht am Stamm angebracht. Falls Diebe den Maibaum zu stehlen versuchen, soll zumindest der Schmuck sicher bleiben. Wenn der nicht am Baum ist, darf der Schmuck nämlich nicht mitgenommen werden. Der jahrhundertealte Brauch des „Maibaumstehlens“ ist besonders im Süden Deutschlands sowie dem Nachbarland Österreich verbreitet und hat strenge Regeln.

Das Rautenmuster muss vor dem Anstrich abgeklebt werden.
Das Rautenmuster muss vor dem Anstrich abgeklebt werden. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Der Maibaum ist nicht ganz fertig, das Spiralmuster erkennt man aber bereits gut.
Der Maibaum ist nicht ganz fertig, das Spiralmuster erkennt man aber bereits gut. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Die zehn unterschiedlichen Schilder repräsentieren Vereine und Handwerk aus der Gemeinde.
Die zehn unterschiedlichen Schilder repräsentieren Vereine und Handwerk aus der Gemeinde. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Zum Beispiel dürfe ein Maibaum lediglich mitgenommen werden, wenn er sich im zugehörigen Ort befindet und noch nicht aufgestellt wurde, erklärt Vorstand Vorpagel, der einzige hier, von dem man den Nachnamen kennt. Die übrigen Mitglieder wollen ihn partout nicht verraten: Hier soll es nicht um das Individuum, sondern um die Gemeinschaft gehen.

Das Zeitfenster, in dem der Baum geklaut werden kann, unterscheidet sich von Ort zu Ort. Die Ebersbacher haben ihren Maibaum erst am vergangenen Sonntag in den Hof geschafft, seither halten sie Wache. „Wir sind rund um die Uhr da“, sagt Vorpagel. An diesem Montag um 21 Uhr sind noch über zehn Mitglieder am Hof, in der Nacht wird die Zahl auf vier Mann zusammenschrumpfen, die bis 6 Uhr früh vor Ort bleiben. Auf dem Biertisch liegt ein Schichtplan, der sicherstellt, dass immer jemand ein Auge auf den Maibaum wirft. Und die Taktik scheint aufzugehen: In fünf Jahrzehnten wurde ihnen noch kein Baum gestohlen. Doch „Versuche hat’s gegeben“, sagt Vorpagel.

Um halb zehn am Abend schließt der Verein die Tore zur Garage, niemand soll unbemerkt hineingelangen. Einmal haben Räuber versucht, durch die Fenster einzusteigen und den Maibaum mitzunehmen, erzählt Vorpagel – erfolglos. Um einen Maibaum zu stehlen, muss er über die Ortsgrenze gebracht werden, ohne dass die Eigentümer den Stamm berühren. Bei 26 Metern Holz keine leichte Aufgabe. Wenn es aber gelingt, muss der bestohlene Verein eine Ablöse bezahlen, meistens in Form von Bier und Brotzeit.

Gemeinschaft und Tradition steht für den Ebersbacher Verein an erster Stelle.
Gemeinschaft und Tradition steht für den Ebersbacher Verein an erster Stelle. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Clubmitglied Tom arbeitet am Feinschliff des Maibaums.
Clubmitglied Tom arbeitet am Feinschliff des Maibaums. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Die Mitglieder vom Freizeitverein zeigen, wie der Maibaum am Ende aussehen soll.
Die Mitglieder vom Freizeitverein zeigen, wie der Maibaum am Ende aussehen soll. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Untertags kommen bis zu 20 Leute zusammen, um auf ihren Baum aufzupassen. Den Ebersbachern geht es bei ihrer Tradition schließlich vor allem ums Beisammensein, da darf auch das ein oder andere Bier nicht fehlen. „Man zieht’s miteinander durch“, sagt Vereinsmitglied Andreas, während er mit seinen Kollegen bei Tisch sitzt. Für die Maibaumwache und die Vorbereitungen zum Fest scheuen er und seine Kameraden keine Mühen. Der ganze Vorstand rund um Vorpagel hat sich für eine Woche Urlaub genommen: „Ma machts gern, da fragt ma ned ob’s anstrengend is.“

Für den Freizeitclub ist klar, warum sie auf Schlaf verzichten. „Weil’s Brauchtum ist“, sagt Vorpagel. Kollege Hans erklärt fast gleichzeitig: „Weil’s Tradition ist.“ Eine, die sie bewahren wollen: Deshalb liegt ihnen auch die Vernetzung von Jung und Alt am Herzen. Immerhin soll die Maibaumwache in die nächste Generation weitergetragen werden. Denn sie sind sich sicher: „Wenn’s einmal weg is’, is’ vorbei.“

Abgeschnitten haben sie die Tanne bereits im Januar

Die Tradition gibt es in Ebersbach bereits seit 1975, dieses Jahr feiert der Verein das 50-jährige Bestehen. Zum runden Geburtstag veranstalten sie erstmals ein öffentliches Maibaumfest. Für die Besucherinnen und Besucher gibt es Verpflegung und eine Hüpfburg. Einer aus der Truppe spielt seine Quetschn. Der Höhepunkt des Tages ist allerdings – na klar – das Aufstellen des Maibaums, und das machen die Ebersbacher noch per Hand. Mit den „Schweibal“, langen Stangenpaaren, heben etwa 30 Leute den Maibaum langsam an. Unterstützt und abgesichert wird das Ganze von einem Frontlader. Der Baum steht anschließend für zwei Jahre, nächstes Jahr gibt es in Ebersbach also keinen neuen Baum, die Orte wechseln sich mit dem Aufstellen ab. Wegen des 50. Jubiläums der Ebersbacher verzichtet Weichs heuer sogar ganz auf einen Maibaum.

Noch steht der Ebersbacher Baum allerdings nicht, sondern liegt auf fünf Stelzen in der Garage des Albertshof. Mit Klebeband bereitet jemand die letzten Anstricharbeiten vor. Abgeschnitten hätten sie die Tanne bereits im Januar, erzählt Vorpagel. Schon da gab es einiges zu beachten: Die Tanne sollte gerade stehen, die richtige Länge und keine „Buckerl“ oder Risse im Stamm haben.  Nachdem der perfekte Baum aufgespürt ist, muss man ihn während der sogenannten Lostage fällen. „Das ist nach Weihnachten und vor den Heiligen Drei Königen“, sagt ein Mann mit grünem Trachtenhut. Da ist der Baum saftlos und daher nicht zu schwer. Den gefällten Stamm entrinden und schepsen die Ebersbacher noch im Wald.

Die darauffolgenden drei Monate lag der Stamm im Weichser Forst, gerade gelagert damit er sich nicht verformt, bis der Verein ihn am Sonntag mit einem Zugfahrzeug zum Albertshof geschafft hat. Da liegt er nun gut bewacht bereit für seinen großen Auftritt am Donnerstag. Sofern er bis dahin nicht gestohlen wird, versteht sich.

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