Süddeutsche Zeitung

Wegen Scheinselbständigkeit:Neues Angebot für Referenten der KZ-Gedenkstätte

Stiftung bessert aufgrund massiver Kritik nach. Aber die Mitarbeiter sind verunsichert und beklagen undurchschaubare Kriterien der tariflichen Einstufung

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Die Stiftung Bayerische Gedenkstätten ist den freien Mitarbeitern der KZ-Gedenkstätte Dachau entgegengekommen und hat ihnen ein verbessertes Angebot für eine Festanstellung vorgelegt. Gleichwohl ist die Verunsicherung unter den Referenten weiter groß. Viele Rundgangsleiter beklagen insbesondere aus ihrer Sicht undurchschaubare Kriterien, die darüber entscheiden, in welche Gehaltsstufe des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst sie gelangen und damit, wie viel jeder am Ende verdient. "Wir sind weit entfernt von Transparenz", sagt eine Referentin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, um es sich, wie sie sagt, mit der Gedenkstätte angesichts eines künftigen Anstellungsverhältnisses nicht zu verscherzen.

Um Scheinselbständigkeit bei den freien Mitarbeitern zu vermeiden, will die KZ-Gedenkstätte ihre freiberuflichen Referenten, die Besuchergruppen über das Gelände führen, festanstellen und ihnen Sozialabgaben zahlen. Hintergrund der Umstellung ist ein einstimmiger Beschluss des Stiftungsrates, in dem Vertreter des Bundes und Freistaats sowie von Kommunen, Kirchen und Opfergruppen sitzen. Ein Dachauer Jurist hatte dem Gremium diesen Schritt empfohlen, um die Gedenkstätten in Dachau und Flossenbürg rechtlich absichern soll. In Dachau sind von der neuen Regelung etwa 150 Referenten betroffen.

Die Umstellung der Arbeitsmodelle und ihre Umsetzung haben bei vielen Referenten für Kopfschütteln gesorgt. Der Schritt bedeutet für einige einen gravierenden Einschnitt im Berufsleben. Auf Informationsveranstaltungen im Oktober äußerten sie sich verärgert über die vorgelegten Konditionen des Arbeitsverhältnisses, insbesondere wurde kritisiert, dass nur 2,75 Stunden für einen Rundgang samt Vor- und Nachbereitung angesetzt worden sind. Viele freie Mitarbeiter fühlen sich und ihre Arbeit nicht wertgeschätzt und befürchten, dass sie fortan weniger verdienen. Bisher bekommen die Honorarkräfte pro Rundgang 85 Euro.

Im Zuge der Kritik modifizierte die Gedenkstättenstiftung das Angebot. Ende Oktober schrieb die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Gabriele Hammermann in einer E-Mail an die Referenten, dass diese nicht schlechter gestellt werden sollten. Die Referenten haben Freitag vor einer Woche das neue Angebot erhalten. Demnach bekommen Interessierte einen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst in der Entgeltgruppe 9. Wer in welche Gehaltsstufe kommt, berechnet sich nach "der bisherigen Honorartätigkeit", wie es in dem Schreiben der Stiftung heißt. Außerdem sind nicht mehr 2,75, sondern 3,2 Stunden für einen Rundgang inklusive Vor- und Nachbereitung angesetzt. Wer Interesse an einer Anstellung hat, muss bis Mittwoch, 28. November, einen Fragebogen ausfüllen und an die KZ-Gedenkstätte schicken. "Wir haben uns bewegt", sagt Hammermann.

Viele Referenten haben für sich durchgerechnet, was sie am Ende auf dem Gehaltszettel stehen haben. Nina Schiffner, die jährlich weit mehr als 100 Rundgänge leitet, sagt, das neue Angebot komme immer noch nicht an das heran, "was wir bisher gekriegt haben". Die Zusicherung von Hammermann, dass keiner mit der Festanstellung schlechter gestellt werden solle als bisher, "ist damit nicht eingetroffen". Ein anderer Referent sagt, dass man erst in der vierten Gehaltsstufe die Grenze von 85 Euro erreiche. Die Verunsicherung sei auch deshalb so groß, weil die Gedenkstätte dürftig kommuniziere. "Das ist unprofessionell. Der ganze Laden ist schlecht geleitet."

Die Eingruppierung in die Gehaltsstufen ist auch ein Thema innerhalb der KZ-Gedenkstätte gewesen. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung störte sich Hammermann daran, dass einige Honorarkräfte in eine höhere Gehaltsstufe kommen könnten. Dazu sagt sie der SZ, sie sei an einer Gleichbehandlung der unterschiedlichen Abteilungen in der Gedenkstätte interessiert. "Wir wollen ein Team werden." Sie freue sich, dass Referenten nun fest angestellt würden. Deren Mitarbeit sei "wertvoll". "Die Referenten machen die Arbeit vor Ort."

Der Protest der Referenten hat inzwischen die politische Ebene erreicht. Mehrere Rundgangsleiter haben Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) um Hilfe gebeten. Hartmann zeigte sich überrascht, dass die Referenten ein zweites Angebot erhalten haben. Das sei "hochinteressant", sagte er und ärgerte sich, dass er als Mitglied des Stiftungsrates nicht in Kenntnis gesetzt worden sei. Er will nun dem Kultusminister und Stiftungsratsvorsitzenden Michael Piazolo (Freie Wähler) sowie Stiftungsdirektor Karl Freller (CSU) schreiben. Er werde bei den beiden Politikern sein "Missfallen" ausdrücken. "Es kann nicht sein, dass die Referenten schlechter gestellt werden." Gerade in Zeiten "aufkeimenden Rechtsradikalismus" würden die Referenten eine wichtige Arbeit leisten, die man wertzuschätzen habe. In anderen KZ-Gedenkstätten Deutschlands beobachtet man die Entwicklung in Dachau sehr genau. Ein Sprecher der Gedenkstätte Buchenwald sagt: "Wir sind interessiert an den Erfahrungen, die die Kollegen machen." Es gehe nicht darum, die Referenten auszubeuten, sondern einen geeigneten Rahmen ihrer Beschäftigung herzustellen. Die Konsequenz dürfe nicht sein, "dass wir gute Leute verlieren".

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Quelle:
SZ vom 24.11.2018
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