Süddeutsche Zeitung

Wasserturm Dachau:Lichtspieler

Hanne Geng, Andreas Meissner und Cyrus Mahmoudi, allesamt herausragende Grafiker und Fotografen, loten ihre technischen Möglichkeiten und Raffinessen in einer gemeinsamen Ausstellung im Wasserturm aus.

Niels P. Jørgensen

Eine weiße Fläche, auf der dick aufgetragene weiße Farbe kleine Erhebungen bildet - mit ein wenig Vorstellungsvermögen könnte das eine Blüte sein. Ihr Geheimnis lüftet "Die weiße Blume" aber erst, wenn die Künstlerin Hanne Geng das Licht im Ausstellungsraum löscht. Plötzlich beginnt das Weiß in allen Farben zu leuchten, rote, blaue und grüne Farbflecken lassen eine ganze Blumenwiese erscheinen und ganz langsam wieder verschwinden, wobei sich der Bildeindruck ständig verändert. Diese schattierende Wirkung haben die Arbeiten aller drei im Wasserturm ausstellenden Künstler gemeinsam. Darüber hinaus sind Hanne Geng, Andreas Meissner und Cyrus Mahmoudi Grafiker und Fotografen, die ihre freien Arbeiten zeigen.

Fluoreszierende Pigmente haben Hanne Geng schon immer fasziniert. Und viele Jahre hat sie nach einem Weg gesucht, diese Pigmente vermalbar zu machen. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass die daraus entstandenen Arbeiten zu bewegten Bildern geworden sind, die während des Betrachtens immer neue Variationen zeigen, wie das "Blaue Pferd ohne Reiter" oder die "Turmbesetzer - nicht aus Bremen", bei dem zunächst die übereinander gestapelten Stadtmusikanten den Wasserturm zu bevölkern scheinen, bevor ihre Umrisse sich im Antlitz eines Ungeheuers auflösen. Die Dachauer Künstlerin hat fast dreißig Jahre lang als Grafikerin für das Bayerische Fernsehen gezeichnet, von der Wetterkarte bis zum Filmvorspann.

Ihre Leuchtbilder laden dazu ein, hinter die Oberfläche zu schauen: Nichts ist so, wie es scheint. Und so stehen die Besucher mit der Taschenlampe in der Hand im abgedunkelten Raum und laden die Objekte mit Licht auf, um sie anschließend geheimnisvoll aus dem Dunkel schimmern zu sehen. Neben den gemalten Arbeiten zeigt Geng in kleinen Rahmen auch Kompositionen aus leuchtenden Plastik- und Metallteilen, die sie aus Spielzeugen und Geräten heraus montiert und neu gruppiert hat. So entstand eine Sammlung skurril anmutender Kunststoff-Wesen unter transparenten Hauben beispielsweise als "Konservierte Urahnen". Die Ausstellung "Engel, Mörder und Poeten", die noch bis zum 10.März im Dachauer Wasserturm zu sehen ist, geht auf Gengs Initiative zurück. Sie hat sie sich selbst als Geschenk zum siebzigsten Geburtstag gemacht.

Hanne Geng ist die Poetin. Ihr Neffe Andreas Messner der Ironiker. Der einstige Schüler eines Kunst-Leistungskurses im Ignaz-Taschner-Gymnasium ist seit 1994 als Autor und Producer für Werbefilme tätig und heute als Fotograf weltweit für große Kampagnen unterwegs. An das esoterisch befrachtete Thema Engel geht Messner augenzwinkernd und ironisch heran. Auf einem Tableau aus sechs Motiven, entstanden 1992 an einem italienischen Strand, tauchen seine Engel gleich gruppenweise auf. Als Lichtzeichnungen, präzise in eine einzige Langzeitbelichtung hineinkomponiert, schweben sie über Strand und Meer, scheinen auf den Betrachter zuzukommen. Der Bruch mit der Idylle passiert in einer ganz neuen Arbeit auf der gegenüberliegenden Wand. Wieder ein Tableau aus sechs gleich großen Bildern, aber statt ätherischer Lichtzeichnung schockierend konkrete Realität: Ein gefallener Engel in Gestalt eines nur teilweise gerupften Huhnes, das auf dem Küchentisch sitzt wie ein übernächtigter Partygast, eine Zigarettenkippe in der Kralle, ein Glas Jägermeister vor dem Schnabel. Die Bilder sind mit dem Zeichenstift überarbeitet und machen klar: das ist kein Engel!

Auch die beiden anderen Bildpaare spielen mit dem Kontrast Lichtzeichnung versus Realbild. Die Umrisse eines Engels, mittels Wunderkerze ins Fenster des Wasserturms gezeichnet und in den Schnee darunter geworfen oder der Münchner Friedensengel in goldenem Glanz auf der Säule und mit der nüchternen Präzision eines Tatortfotos auf dem Pflaster des Platzes: Die Umrisse mit Kreide gezeichnet, die Flügel aus echten Federn kleben noch an den Blutresten auf der Silhouette. Das aufwendig realisierte und mit der zurzeit besten verfügbaren Finishing-Technik produzierte großformatige Foto löste bei seiner Entstehung gleich einen SEK-Einsatz aus, denn Andreas Messners Blitze riefen die Polizei auf den Plan, die sich wegen der gleichzeitig stattfindenden Sicherheitskonferenz in höchster Alarmbereitschaft befand. Das Bild vereinigt die Symbolik von Schuld und Unschuld auf einen Blick.

Der Grafiker Cyrus Mahmoudi, der mit Andreas Messner aufs ITG ging, ist in Dachau vor allem als Rocksänger bekannt. Schon immer aber ist er auch ein Naturliebhaber und Kenner. Schmetterlinge fangen und fachgerecht präparieren, wie er es in seiner Kindheit noch getan hat, würde er heute nicht mehr. Aber die Funde von damals werden in seinen Makro-Fotoarbeiten zu Zeugen. Seine Bilder sind nicht einfach nur perfektionierte Dokumentarfotografie, "Glutamat fürs Auge", wie er sagt, sondern aufwendig gestaltete Kunstwerke, die Mahmoudi auf einer eigens erstellten Website sachkundig erläutert.

Neben den ausgestellten Bildern hängt ein kleiner QR-Code, der mittels Smartphone spannende Hintergrundinformationen zu jedem Motiv liefert. Wer weiß schon, dass Drosophila Melanogaster, die gemeine Fruchtfliege, ihren Liebeskummer gerne in Alkohol ertränkt und dabei - ganz menschlich - manchmal selbst ums Leben kommt? Das lästige Insekt spielt als Kulturfolger des Menschen eine wichtige Rolle bei der Verbreitung wichtiger Hefen für Gärungsprozesse und bekommt in Mahmoudis Bild "Beaujolais Primeur" die verdiente Würdigung. In der sehr gelungenen Ausstellung bietet der Förderverein Wasserturm eine Fülle an visuellen Überraschungen, der Besuch bei Hanne Geng, Andreas Messner und Cyrus Mahmoudi lohnt sich auf jeden Fall.

Wasserturm: Freitag und Samstag 16-19 Uhr, Finissage am Sonntag, 10.März von 14-19 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 07.03.2013
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