Vor ausverkauftem Haus:Die Monster

Angelika Mauersich inszeniert den "Besuch der alten Dame" als eindringliche Parabel auf die Verführbarkeit des Menschen

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Den Begriff "alte Dame" assoziiert man gerne mit Ladies, die entweder ihre Rosen im englischen Cottage pflegen oder mehr oder weniger exzentrisch ihre Umwelt in Atmen halten. Letzteres macht auch Friedrich Dürrenmatts alte Dame Claire Zachanassian. Allerdings möchte man die lieber nicht zur Feindin haben, denn sie ist eine Ausgeburt teuflischer Boshaftigkeit. Das zeigt die Ludwig-Thoma-Gemeinde Dachau gerade eindrücklich in ihrer jüngsten Produktion "Der Besuch der alten Dame". Am Freitag war Premiere im ausverkauften Stockmann-Saal der Ludwig-Thoma-Hauses.

Der Schweizer Dramatiker Dürrenmatt gehört neben Heinrich Böll und Max Frisch zu den Autoren, die mit ihrem messerscharfen Blick auf Gesellschaft und menschliche Abgründe die 68er Generation stark geprägt haben. Im kargen Bühnenbild, das eigentlich nur aus Packpapierrollen an den Wänden und Pappkartons als Requisiten besteht, zeigt Regisseurin Angelika Mauersich in ihrer Inszenierung, dass gerade der 1956 uraufgeführte "Besuch der alten Dame" nichts von seiner Wucht und seiner zeitlosen Gültigkeit verloren hat. Neben den bewährten Darstellern der Thoma-Gemeinde hat Angelika Mauersich Schülerinnen des Josef-Effner-Gymnasiums, an dem sie unterrichtet, ins makabre Geschehen eingebunden.

Generalprobe

Die Bosheit von Claire Zachanassian färbt schon bald sichtbar auf andere ab - siehe Schuhwerk.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Bianca Mössinger macht aus der unfassbar reichen Claire eine Frau, die von ihren Rachegelüsten aufgefressen wird. Perlenkette, schwarzer Seidenrock, Federhütchen, Gehstock mit Silberknauf und nicht zuletzt ihr geradezu royales Gefolge - ein Panoptikum seltsamster Figuren - heben diese Nemesis schon rein äußerlich von der farblosen, im Elend verdämmernden Bevölkerung Güllens ab. Stockgerade, mit der geduldigen Wachsamkeit einer Anakonda und ohne äußere Regung verfolgt sie ihre Pläne. Gefühle zeigt diese zur Soziopathin mutierte Frau nur, wenn sie sich an die Vergangenheit erinnert. In Güllen lebt nämlich der Auslöser ihres Vernichtungsfeldzugs: Ill (Wolfgang Möckl). Der "verkrachte Krämer in einem verkrachten Städtchen" hatte in längst vergangenen Jugendtagen mit ihr rumgemacht. Doch noch ahnt niemand, was Claire im Schilde führt, von wie langer Hand sie ihre Pläne vorbereitet hat. Die Güllener feiern sie als Erlöserin; hoffen sie doch ein Stück vom Milliardenkuchen abzubekommen.

Claire verspricht tatsächlich Millionen. Im Gegenzug will sie das, was sie unter "Gerechtigkeit" versteht: Ill soll sterben. Er hatte in einem Vaterschaftsprozess Zeugen bestochen, sodass Claire mit dem noch ungeborenen gemeinsamen Kind aus Güllen vertrieben wurde. Die (erste) Reaktion: moralische Empörung. Doch die Stimmung kippt. Brave Bürger werden zu monströsen Gestalten, Sprache, Gestus und Habitus der Darsteller zeigen das. Fröstelndes Unbehagen angesichts dieser zunächst nicht greifbaren Entwicklung macht sich breit. Die Verlockung des Geldes schlingt sich um jeden einzelnen, erwürgt Verstand, Gefühl und Moral - bis zum vorhersehbaren schauderhaften Ende.

Generalprobe

Die goldgelb gekleidete Claire Zachanassian (Bianca Mössinger) will sich am Krämer Ill (Wolfgang Möckl) rächen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Wolfgang Möckl zeichnet den auch von der eigenen Familie (Brigitte Fiedler, Anna Maria Hörl) gejagten Ill als Mann, der sich verzweifelt gegen sein Schicksal stemmt, der ausrastet, fliehen will - und im Grunde seines Herzen weiß, dass es kein Entkommen gibt. Mit fast stoischer Gelassenheit ergibt er sich schließlich in sein Schicksal. Ob das für ihn Erlösung oder ein Opfer für die ominöse Allgemeinheit ist, lässt Möckls plakatives und doch einfühlsames Spiel offen. Bürgermeister (Thomas Westermaier), Pfarrer (Hans-Jörg Berghammer), Lehrer (René Rastelli), Arzt (Edi Hörl) und Polizist (Tobias Kelakowski) sind Prototypen der Vertreter von Recht und Ordnung - und die ersten Umfaller. Wie aus ehrenwerten Bürgern ganz allmählich Bestien werden, die vor keiner Schweinerei zurückschrecken und jede Verantwortung für ihr Tun ablehnen ist einfach fabelhaft gespielt. Das Grauen kriecht unter die Haut. Das Lachen angesichts Claires seltsamer Entourage inklusive der Gatten VII bis IX (umwerfend: Bernhard Vieregg) bleibt einem im Halse stecken. Denn auch diese merkwürdigen Gestalten sind Opfer der alten Dame: Philipp Doben und Rainer Seuß spielen die beiden Kaugummi kauenden Knastbrüder und Sänftenträger Roby und Toby als gebrochene Vorstadt-Mafiosi. Fini Kron und Elena Schiffner sind als Eunuchen Koby und Loby von berührender Einfalt. Claus Weber könnte als Butler auch bei der Queen auftreten. Radioreporter Dominik Härtl sorgt für Clara-Columna-Feeling.

Angelika Mauersich führt dieses Panoptikum zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Sie erzählt den "Besuch der alten Dame" als Parabel auf die Verführbarkeit des Menschen. Sie setzt in der Ausstattung wenige aber unübersehbare Signale, wie etwa knallig-gelbe Turnschuhe als Metapher für glänzendes Gold, mit dem sich alles und jeder kaufen lässt - oder vielleicht doch nicht? Denn dieser "Besuch der alten Dame" lässt sich auch so sehen: Ethische Werte und Verantwortlichkeit sind immer noch die probatesten Mittel gegen Unmenschlichkeit jeder Art.

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