Vögel und Corona:Tiere leiden unter Spaziergängern

Kohlmeise

Noch sind die Meisen im Landkreis Dachau gesund und munter, doch der LBV ist bereits alarmiert.

(Foto: Tim Brakemeier/dpa)

Naturschützer mahnen zu mehr Vorsicht in Wäldern, Moosen und auf Wiesen und machen auf Meisenseuche aufmerksam

Von Johanna Hintermeier, Dachau

Im Wald ist es ruhig. Gelegentlich hört man das Zwitschern der Vögel. Das Holz ist noch nass vom Regen der vergangenen Tage. Zapfig kalt war es da gelegentlich. Da verirrten sich nur wenige in den Wald. Roderich Zauscher etwa, der Vorsitzende des Bundes Naturschutz Dachau. Er beobachtet einen Bussard, der das Nest von Wacholderdrosseln angreift. Zauscher versucht, sich ruhig zu verhalten, die Tiere nicht zu stören. In den Tagen vor der Kältewelle hätten die Tiere gelitten - vor allem die Wiesenbrüter, sagt Zauscher. Denn diese würden aufgeschreckt, wenn mehr Menschen als sonst über die Wiesen ziehen und Hunde frei herumliefen.

In den ersten Frühlingstagen, als es noch sonnig warm war und die Leute wegen der Corona-Krise noch an ihre Wohnungen und Häuser gefesselt waren, haben viele die Zeit genutzt, um spazieren zu gehen. Und so herrschte großer Andrang in den Moosen, Wäldern und auf den Wiesen des Landkreises, ebenso am Amper-Ammer-Radlweg. "Es war ein ungünstiger Zeitpunkt, dass die Pandemie und die Ausgangsbeschränkungen auf die Brutzeit der Vögel fiel", sagt Cyrus Mahmoudi, der Vorsitzende der Ortsgruppe Dachau des Landesverbundes für Vogelschutz (LBV). Er beklagt, dass sich einige allzu unvorsichtig in der Natur bewegt hätten: "Gartenmüllablagerung, Löwenzahnpflücken auf Ökowiesen, Mountainbiker in Schutzgebieten - leider wurden so viele Vögel gerade in der Brutzeit belästigt und verschreckt". Aber auch manche Zugvögel, die gerade aus dem Süden zurückkehrten, seien so gezwungen gewesen, sich ungewohnte Plätze zu suchen. Ob die Vogelbrut dieses Jahr tatsächlich geringer ausgefallen ist, wird sich erst im nächsten Jahr zeigen, wenn die Daten geprüft werden.

Sollte sich diese Befürchtung bewahrheiten, wäre das schlecht für das gesamte Ökosystem, so Mahmoudi. Ein ausgeglichenes Vorkommen an Vögeln verringere zum Beispiel den Befall von Bäumen mit Käfern, wie dem Borkenkäfer. Dieser ist nämlich Mitschuld am Waldsterben - aber er gilt auch als beliebte Nahrung bei Vögeln. "Umgekehrt gilt, dass ein gesunder Mischwald ein attraktiverer Lebensraum für Vögel ist, als eine Fichtenmonokultur", sagt Mahmoudi.

Doch die Vögel sind heuer nicht nur von allzu neugierigen Menschen gestört, speziell auf Meisen lauert noch eine andere Gefahr: Ein Bakterium namens Suttonella ornithocola, das eine Lungenentzündung bei Blaumeisen hervorruft, geht in Mittel- und Westdeutschland um. Bundesweit sind laut Bund Naturschutz bereits 300 000 Vögel daran gestorben. In Dachau gab es laut LBV aber noch keinen Fall. "Blaumeisen, die das ganze Jahr vor allem in Gärten leben, sind eher sesshafte Tiere, die Verbreitung des Bakteriums wird dadurch verlangsamt", erläutert der Vorsitzende. Die Blaumeise sei immer noch die sechst häufigste Vogelart im Landkreis. Man vermutet, dass sich die Tiere an Futterstellen anstecken. Mahmoudi rät daher, den Futterplatz sehr hygienisch zu halten oder noch besser, ihn ganz abzubauen, denn das sind Sammelplätze, wo die Meisen sich mit der Seuche infizieren können. Social Distancing hilft laut LBV also auch bei Vögeln.

Sorgen macht sich Vogelschützer Mahmoudi jedoch, wenn er an die Zukunft denkt. Er fürchtet, dass nach der Coronakrise im Naturschutz gespart wird. "Schon jetzt haben wir etwa 75 Prozent Agrarflächennutzung im Landkreis und nur vier Prozent Schutzflächen". In den vergangenen Jahren sei viel erreicht worden, das dürfe jetzt nicht aufgegeben werden, warnt er.

Aber die Pandemie hat auch positive Seiten: "Durch den gedrosselten Autoverkehr konnten wir mehr Zugvögel beobachten, etwa Nachtigallen und den Schwarzstorch", sagt Mahmoudi. Und sein Kollege Roderich Zauscher vom Bund Naturschutz hat beobachtet, dass "das Interesse an der Natur und an der Wahrnehmung der Wunder vor der eigenen Haustür neu entfacht wurde". Und so bitten die Naturschützer Spaziergänger mitzuhelfen und kranke oder offensichtlich an Krankheit verstorbene Meisen beim Naturschutzbund Deutschland zu melden: www.NABU.de/meisensterben. Mahmoudi ist angesichts der neuen Faszination für die Natur noch skeptisch: "Die Menschen bleiben egoistisch, sie wollen sich selbst etwas Gutes tun, erweisen damit der Natur und den Vögeln aber keinen Dienst", fürchtet er.

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